Deutsche Elf
Quell der Freude
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| Montag, 9. Oktober 2006Die deutsche Presse saugt erstaunlich viel Optimismus aus dem 2:0 gegen Georgien / Verschwörungstheorien um Timo Hildebrand
Philipp Selldorf (SZ) stellt, den Vergleich mit anderen Ländern im Sinn, die Nationalmannschaft als Aushängeschild des deutschen Fußballs hin: „Daß Liga- und sonstige Quervergleiche in die Irre und die Nationalteams ein Eigenleben führen, sieht man nicht nur am Beispiel Spanien, sondern auch an der EM-Kampagne von Italien, Frankreich, England – und an Deutschland. Dort beklagte man zuletzt hohe Verluste im Uefa-Cup und graust sich, weil Rumäniens Liga im Begriff ist, internationale Startplätze streitig zu machen. Aber Joachim Löws Nationalelf siegt und siegt und präsentiert sich als der am besten funktionierende Betrieb des deutschen Fußballs.“
Andreas Lesch (BLZ) staunt, wie schnell Löw Kredit gewonnen zu haben scheint: „Als während der Weltmeisterschaft über mögliche Nachfolger von Jürgen Klinsmann diskutiert wurde und der Name von Joachim Löw fiel, hieß die Frage: Kann der das? Ist der Job des Bundestrainers für den nicht eine Nummer zu groß? Nach den ersten vier Länderspielen, die Löw zu verantworten hat, wirken diese Fragen wie eine längst vergangene Absurdität. Löws Leistung spiegelt sich nicht nur in den Statistiken, die ihm einen historischen Wert bescheinigen: den besten Auftakt aller deutschen Bundestrainer und Teamchefs. Sie zeigt sich in vielen Facetten seiner Arbeit. Er führt das Werk von Klinsmann fort, aber er ist mehr als ein braver Erbverwalter. Er verwandelt Freundschaftsspiele in einen Quell der Freude.“
Neuer, alter Mut
Peter Heß (FAZ) zollt Löw dafür Respekt, daß er vier Neuen die Chance zum Einsatz gibt: „Es gab Zeiten, da wäre dem Bundestrainer ein solcher Personalplan als Ausdruck seiner Sehnsucht nach einem neuen Arbeitsplatz ausgelegt worden, als verklausuliertes Kündigungsersuchen. Nach der Ära Klinsmann und dem glücklichen Beginn der Zeitrechnung Löw wird dieser Mut fast schon als Selbstverständlichkeit hingenommen. Der Mut, konsequent die Zukunft zu planen und nicht nur dem nächsten Ergebnis hinterherzuhecheln. Man erinnere sich an die Zeiten, als die Teamchefs Ribbeck und Völler hießen. Damals wurde der Sinn der Testspiele generell in Frage gestellt, weil die in der Liga gestressten Nationalspieler sich den Schongang auferlegten, sobald es nicht um Punkte ging. Ein Nutzen, eine Entwicklung des Spiels und der Spieler waren kaum einmal zu entdecken. Heutzutage reut es niemanden mehr, den Fernseher einzuschalten, wenn die Nationalhymne erklingt. Löw hat es verstanden, die von Klinsmann geweckte Begeisterung der Profis für das Nationalteam am Leben zu erhalten.“ Heß gibt aber auch zu bedenken: „Die Frage wird sein, ob der Nachfolger die Zähigkeit und das Format besitzt, seine Vorstellungen durchzusetzen, wenn ihm das Spielglück einmal nicht mehr zur Seite steht. Die Begegnung mit Georgien hätte anders enden können.“
Zentralorgan des deutschen Fußballkollektivs
In der Einzelkritik gibt es Gewinner und Verlierer: Dem Debütanten Piotr Trochowski bescheinigt die FAS: „Entdeckung des Spiels. Mittelfeldspieler mit Esprit und Dynamik. Gleichermaßen starke Szenen in Offensive wie Defensive. Blick für die Situation. Harmonierte auf Anhieb mit Ballack.“ Thomas Hitzlsperger hingegen bekommt von derselben Zeitung zu lesen: „Langsam im Denken, langsam im Handeln. Blockierte mit seinen ungenauen Alibi-Pässen eher das deutsche Spiel, als daß er es förderte.“ Die FR fügt an: „Hitzlsperger verteidigte in einer Position, die seine übersichtlichen Stärken vollends verdeckt.“ Michael Ballack wird von der FAS geadelt: „Das Zentralorgan des deutschen Fußballkollektivs. Wirkte spritziger und fitter als bei der WM. Präsent in jeder Region des Spielfeldes.“
Saustark, saudumm
Im Blickpunkt sind auch Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski, die bekanntermaßen in einem Atemzug genannt werden. Doch ihre Verfassung könnte unterschiedlicher kaum sein. Stefan Hermanns (Tsp) vergleicht den Rotsünder mit dem Torschützen: „Podolski und Schweinsteiger sind gleichzeitig – kurz vor der Europameisterschaft 2004 – in die Nationalmannschaft berufen worden, sie haben anschließend beide unter dem EM-Blues gelitten, sie haben annähernd gleich viele Länderspiele gehäuft, waren im Sommer 2005 die großen Entdeckungen des Confed-Cups und hatten danach erneut Schwierigkeiten, sich an den Ligaalltag zu gewöhnen. Nach der Weltmeisterschaft scheint nun zumindest Schweinsteiger die Post-Turnier-Depression erspart zu bleiben. Lukas Podolski aber fällt zurzeit wenig leicht. “ Die Bild am Sonntag bringt es auf den Punkt: „Schweini saustark, Poldi saudumm!“
Michael Ashelm (FAZ) drückt seine Sorge über Podolski aus: „Bei seinem neuen Arbeitgeber in München vermeintlich vernachlässigt, unglücklich in der Rolle des Reservisten, verunsichert in der Nationalelf – eine Serie von Enttäuschungen, die eine belastende Wirkung auf die atemraubend steile Karriere Podolskis haben könnten. Die Verantwortlichen in der Nationalmannschaft versuchen den Fall unaufgeregt zu behandeln. Sie sprechen von einer Affekthandlung. Doch auch sie erkennen, daß der Nationalstürmer zwischen eigenem Ehrgeiz, den Erwartungen des professionellen Umfelds und dem Anspruch der Fußball-Öffentlichkeit nicht zur erwünschten Stabilität findet.“
FR: Trochowski traut sich bei seinem Debüt gleich ziemlich viel zu
SZ-Interview mit Lukas Podolski
Splitter: Hartmut Scherzer (FAZ) findet: „Die Georgier entpuppen sich stärker, als sie ihr Trainer vorher gemacht hat.“ Selldorf hat ein Extra-Lob übrig: „Dem österreichischen Linienrichter Reimund Buch gebührt die goldene Plakette des Optikerverbandes, weil er vor der Pause die Abseitsstellung des Torschützen Kaladze erkannte.“
Und: Wird das jetzt eigentlich zum Ritual der deutschen Fans, daß sie Lieder der Boehsen Onkelz singen, einer höchst mittelmäßigen Band, die seit mehr als zwei Jahrzehnten dem Vorwurf ausgesetzt ist, rechtsextremistisch zu sein und die von den meisten Radiostationen geächtet wird? „Mexiko“, der neue Hit der deutschen Anhänger, ist zwar ein unverdächtiges Fußball-Stück aus dem Jahr 1985 – aber ihrem Musikgeschmack tun sie damit keinen Gefallen.
Verschwörungstheorien um Hildebrand
Die Torfrage hat sich darauf reduziert, wer die Ersatztorhüter werden. Andreas Lesch (BLZ) vermißt ein wenig die Brisanz: „Die neue T-Frage wirkt wie der Gegenentwurf zur alten T-Frage. Sie trägt nicht mehr die Züge des klassischen Duells, das zwingend einen Sieger und einen Verlierer hervorbringt. Sie handelt nicht mehr von zwei Konkurrenten, die sich im Alter, in der Erfahrung, im Ehrgeiz ähnlich sind. Sie kommt entspannter daher, sie birgt keine akute Kratz-, Beiß- und Würge-Gefahr mehr.“ Michael Ashelm (FAZ) billigt die Abschaffung des Anciennitätsprinzips im deutschen Tor: „Die Besetzung der Torhüterposition funktionierte über Jahre wie in einer Behörde. Wer lange genug im zweiten Glied ausgeharrt hatte ohne besonders laut aufzubegehren, wurde irgendwann nach dem altersbedingten Rückzug der Nummer 1 zum neuen Chef erklärt. Ein festgefügtes Hierarchiespiel das die Beständigkeit des deutschen Fußballs symbolisieren sollte. Mit den einschneidenden Veränderungen unter dem WM-Projektleiter Jürgen Klinsmann wurde jedoch auch dieses ungeschriebene Gesetz kurzerhand abgeschafft und durch ein anderes Bewertungssystem zur internen Beförderung ersetzt.“ Mit Blick auf die zunehmenden Zweifel an Timo Hildebrand berichtet Ashelm: „Im Hintergrund kursieren Verschwörungstheorien, angeblich wollten bestimmte Interessengruppen den Torwart durch gezielte Kritik ins Hintertreffen bringen bei der Nationalmannschaft.“
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Jetzt kommen auch mal junge Spieler dran
Torsten Frings blickt in einem Interview mit dem Tagesspiegel kritisch zurück: „Es gab früher Spieler, die hier nichts zu suchen hatten und trotzdem immer eingeladen worden sind. Jetzt liegt es an jedem selbst, wie lange er bei der Nationalmannschaft dabei ist. Wir haben einen Trainer, der jedem eine Chance gibt, wenn er auf Dauer gute Leistungen in der Bundesliga bringt. Das war nicht immer so. Wenn man dich früher nicht haben wollte, bist du eben nicht eingeladen worden. Da ist immer auf dieselben Leute zurückgegriffen worden, egal, ob sie verletzt waren, in einem Tief steckten oder den größten Käse gespielt haben. Ich mußte fast 150 Bundesligaspiele bestreiten, bevor ich zur Nationalmannschaft eingeladen wurde. Heute bist du schon langsam, wenn du zehn Bundesligaspiele brauchst. Früher gab es eben keinen, der gesagt hat: So, jetzt kommen auch mal junge Spieler dran. Ich bin froh, daß sich das geändert hat.“
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