Deutsche Elf
Weltspitze
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| Freitag, 13. Oktober 2006Glückseligkeit allerorten – die Sportpresse windet nach dem 4:1 in der Slowakei der deutschen Elf und ihrem Trainer Kränze. Nur die Ausschreitungen der deutschen Hooligans stimmt sie nachdenklich
Jörg Hanau (FR) schwärmt: „Das Sommermärchen des deutschen Fußballs scheint sich zu einer unendlichen Geschichte auszuweiten.“ Peter Heß (FAZ) singt in den höchsten Tönen: „Jede Warnung, demütig und vorsichtig zu bleiben, wirkt lächerlich nach dem Auftritt der deutschen Auswahl. Sie dominierte einen Gegner der gehobenen europäischen Mittelklasse in einer Art, die nur eine Wertung zuließ: absolute Weltspitze. Da diese Leistung nicht aus dem Nichts entstanden ist, sondern den Höhepunkt der stetigen Vorwärtsentwicklung der vergangenen Monate darstellt, gibt es keinen Grund zu fürchten, es handele sich um eine einmalige Darbietung. Joachim Löw kann ernten, was Jürgen Klinsmann mit ihm als Assistenten gesät hat.“
Stefan Hermanns (Tsp) spielt Löw gegen Klinsmann aus, ohne den Löw übrigens nie Bundestrainer geworden wäre: „Es ist bemerkenswert, mit welcher Selbstverständlichkeit die Nationalmannschaft inzwischen ihren Weg geht, und nichts illustriert den Fortschritt besser als der Vergleich mit dem Spiel in der Slowakei im September 2005. Wenn die Mannschaft so weitermacht, wird selbst die Ära Klinsmann, der das 0:2 in Bratislava vor einem Jahr zu verantworten hatte, als dunkles Mittelalter in die Geschichte des deutschen Fußballs eingehen. Löw hat das von Klinsmann initiierte Projekt nicht nur zum Dauerzustand gemacht. Er hat es auch vom Kopf auf die Füße gestellt.“ Heß gibt zu bedenken: „Es ist die letzte Qualität, die Löw noch nachweisen muß: ob er auch in schlechten Momenten die Festigkeit und Dickköpfigkeit besitzt, die Mannschaft zu leiten und seinen Weg weiterzugehen.“
Zauberhaft elegant
In Andreas Lesch (BLZ) hat Löw einen Fürsprecher im Dialog mit der Liga gefunden: „In ihrer derzeitigen Form könnte die Nationalmannschaft stilbildend für den deutschen Fußball wirken, aber dazu müßten die Vereine sich auch bilden lassen wollen. In der Vergangenheit sind viele Klubs hierzulande eher durch Mosereien aufgefallen, sie haben sich als Bewahrer ihrer überkommenen Arbeitsweise gegenüber dem Reformer Klinsmann positioniert. Spätestens jetzt sind sie zum Schweigen verdammt. Sie werden nicht auch Klinsmanns Nachfolger dafür kritisieren können, daß er die Nationalspieler demnächst wieder einmal zum Fitnesstest bittet – zumal Löw deutlich diplomatischer als Klinsmann agiert und die Klubs besser einbindet. Wer sich einem so erfolgreichen Bundestrainer wie Löw, seinen Wünschen, Methoden und Ideen ernsthaft entgegenstellt, der läuft Gefahr, sich lächerlich zu machen.“
Volk ohne Raumdeckung grenzt die Mannschaft von allem Übel ab: „Es ist lange her, daß eine Auswahlmannschaft des postfaschistischen Deutschland so zauberhaft eleganten, coolen, modernen Fußball gespielt hat. Eigentlich müßte man wegen der nazideutschen Hooldeppen das Spiel 4:0 für die Slowakei werten und Deutschland von der EM ausschließen, aber von diesen sportpolitischen Grundsatzerwägungen mal abgesehen – das, was auf dem Rasen geschah, war toll.“
Beschämendes Publikum
Philipp Selldorf (SZ) verweist auf die prügelnde Horde im Fanblock und meint, daß diese Elf ein besseres Publikum verdient hätte: „Die deutsche Mannschaft hat inzwischen einen verläßlichen, zukunftsfähigen Grad von Stabilität erreicht, sie hat eine Spielkultur entwickelt, die nicht mehr wie bei der WM auf Euphorie beruht, sondern auf eigenständiger Qualität. Schade, daß der Polizeiknüppel durchsetzen mußte, daß dieses gute Spiel zum Ende kam. (…) Niemand will ein solches Publikum haben. Verhindern läßt es sich aber offenbar nicht, daß diese Leute im Gefolge der Auslandsauftritte die deutschen Gäste beschämen. Mit diesem Phänomen muß sich der Fußball buchstäblich herumschlagen, und es ist kein Trost, daß dieses Problem nicht nur in Deutschland existiert.“
Die Einzelkritik kennt fast nur Sieger. Über Lukas Podolski heißt es in der FAZ: „Von wegen Krise. Zeigte es den Kritikern mit seinem vierten Doppelpack. Immer anspielbar und mit großem Laufpensum.“ Jens Lehmann hingegen schreibt sie hinter die Ohren: „Schwächstes Länderspiel als Nummer 1. Ungewohnter Fehlgriff beim ersten Gegentor unter Löw. Wirkte nachlässig.“ Clemens Fritz attestiert die SZ: „Agierte sehr diszipliniert und bereits erstaunlich souverän. Fand stets die Balance zwischen Offensive und Defensive und scheint die Lösung der Zukunft auf der bisherigen Problemposition des rechten Außenverteidigers zu sein.“ Auch Arne Friedrich erhält gute Zensuren: „Wurde der Aufgabe als Abwehrchef diesmal absolut gerecht. Sehr aufmerksam und mit souveränem Stellungsspiel“ (FAZ). Und die SZ vergibt Miroslav Klose gute Kopfnoten: „Sollte beim FC Bayern nach einer Prämie für die freundlichen Dienste fragen, die er Podolski erweist. Legte ihm zwei Tore auf und bemühte sich auch sonst immer wieder, seinen Sturmpartner in Szene zu setzen. Wirkte selbst nicht so spritzig wie so oft bei Werder Bremen. Dennoch wichtigster deutscher Stürmer.“
taz: Die deutsche Mannschaft trat noch kompakter und forscher auf als in der Sommermärchenzeit. Kompakt und forsch waren leider auch gewaltbereite Fans
NZZ: Das neue Ballgefühl – Deutschland entdeckt den Nutzen des Kombinationsspiels
Tsp: Kommentar zum Verhalten des DFB und der Mannschaft gegenüber den Hooligans
BLZ: Hooligans beschäftigen Polizei und Wissenschaftler
BLZ: Im Prozeß um die antisemitischen Pöbeleien gegen TuS Makkabi geht es um mehr als um Fußball
FAZ-Interview: Forscher Gunter Pilz über Schwulenfeindlichkeit und Sexismus unter Fußballfans
Tsp: Ergebnis einer Studie: Pilz sagt, Hooliganismus sei ein Auslaufmodell
SpOn: Fan-Studie: Rassismus vorwiegend in unteren Ligen