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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Vorteil Nord

Oliver Fritsch | Montag, 23. Oktober 2006 Kommentare deaktiviert für Vorteil Nord

Im Blickpunkt des 8. Spieltags: der 3:1-Sieg Werder Bremens gegen Bayern München, dem die Presse viel Aussagegewicht über die gegenwärtigen und künftigen Kräfteverhältnisse der beiden Konkurrenten beimißt / Schalke mit zwei Gesichtern / Bert van Marwijk in Bedrängnis?

Das 3:1 gegen Bayern München – keine Eintagsfliege, meint Ralf Wiegand (SZ) und prophezeit, daß sich Werder Bremen dauerhaft als ebenbürtiger Konkurrent Bayern Münchens etabliert haben wird: „Im Kosmos Bundesliga ist der FC Bayern nicht mehr der einzige Fixstern. Die Bremer haben – erstmals seit den guten Zeiten von Borussia Mönchengladbach – einen tragfähigen Gegenentwurf zum Modell Bayern entwickelt. Dortmund oder Leverkusen versuchten noch, mittels überdehnter Etats den Bayern am Zeug zu flicken, kamen kurz auf Augenhöhe – und fielen tief. Werder saß die Preistreiberei aus, nahm aber dankbar das Geld der anderen für ihre gut ausgebildeten Spieler an.“ Den wirtschaftlichen Rückstand habe Werder durch Klugheit und Wagemut wettgemacht: „Seit nicht einmal mehr das Kapital der Bayern ausreicht, um unermeßlich teure internationale Stars zu ködern, sind sich Nord und Süd in ihren Möglichkeiten etwas ähnlicher geworden. Sie bedienen sich auf denselben Märkten, wo nicht allein Geld gefragt ist – sondern die Kreativität der Team-Architekten. Die Bayern folgen da einem langweiligen Muster: Sie schauen, wer sich in der Bundesliga einen Namen gemacht hat, momentan finden sie Klose ganz toll. Werder hingegen beschäftigte sich mit dem Thema Klose, als der in einem Tief steckte, niemand ihn haben wollte – und erst die Bremer sein Potential zum Leben erweckten. Wo die Bayern reflexartig einen van Bommel kaufen, um die Not im Mittelfeld zu lindern, beobachtete Werder drei Jahre lang das Talent Diego: Werders Mittelfeld funktioniert, das Münchner nicht.“

Frank Hellmann (FR) ergänzt: „Wohl kaum ein Klub hat in der jüngeren Vergangenheit mit seinen Zukäufen so viel richtig und so wenig falsch gemacht. Den völlig unerwarteten Titelgewinn 2004 nennt Bremens Geschäftsführer Allofs einen ‚entscheidenden Knalleffekt‘, begünstigt auch durch Zufall und ein bißchen Glück, der dem Klub einen Schub gegeben habe. 2006/2007 stecken offenkundig die pure Absicht und ein detaillierter Plan dahinter.“ Stefan Hermanns (Tsp) kritisiert die Personalpolitik der Bayern: „Daß sie Michael Ballack nicht halten konnten, ist ihnen nicht vorzuwerfen; daß sie ihn anschließend aus Trotz auf Roque-Santa-Cruz-Niveau heruntergeredet haben und sich nicht rechtzeitig um Ersatz bemüht haben – das allerdings werden sie inzwischen selbst als Fehler erkannt haben.“

Werder spielt den schöneren Fußball

Roland Zorn (FAZ) läßt seine verträumte Erinnerung an die WM durch Werder Bremen auffrischen: „Ein paar Wochen nach der wunderbaren Weltmeisterschaft setzen allein die Bremer dem deutschen Vereinsfußball nationale Glanzlichter auf. Stabil und gefestigt in der Abwehr, dynamisch und phantasievoll im Mittelfeld, agil und umtriebig im Angriff wirbelt Werder zur Freude des Publikums – und gewinnt damit bundesweit Sympathien. Die Bremer zeichnet im Augenblick eine Extramischung aus unbedingtem Siegeswillen und phantasievoller Gestaltungskraft aus. Mit Grün-Weiß geht es im Zweifel immer voran; die Bayern dagegen müssen Abschied nehmen von ihrem Prozentfußball, denn die Genügsamkeitsrechnungen sind schon dreimal, so oft wie in der gesamten vergangenen Spielzeit, danebengegangen.“ Wiegand fügt hinzu: „Spielerisch ist im Süd-Nord-Gefälle der Liga oben nun dort, wo das Land am flachsten ist. Im direkten Vergleich bewiesen die Bremer erneut, was in den Fernduellen der letzten Wochen schon festzustellen war: Sie spielen den inspirierteren, kreativeren, planvolleren, kurz: den schöneren Fußball.“

Boris Herrmann (BLZ) schildert das Spitzenspiel der Bundesliga als Duell zwischen Fortschritt und Stillstand: „Der FC Bayern tut sich ja traditionell schwer mit der Fehleranalyse. So wurde Felix Magath auch nicht müde zu betonen, daß er vor dem Freistoßtor von Womé kein Foul gesehen habe. Daß Bayerns Anschlußtreffer auch aus einem unberechtigten Freistoß resultierte, sagte er nicht. Genausowenig wie er davon sprach, daß die verzweifelten Versuche, das Bremer Spielgefüge mit Flanken aus dem Halbfeld zu überlisten, wie Slapstick aus einem alten Schwarz-Weiß-Streifen wirkten. Der FC Bayern war mit dem modernen Spiel des SV Werder hoffnungslos überfordert.“

NZZ: Bayern in Bremen chancenlos

Teilzeitkräfte

2:1 gegen Hannover – Richard Leipold (FAZ) hat sich zunächst von dem einen von zwei Schalker Gesichtern täuschen lassen: „In Schalke wird es so schnell nicht langweilig. Auch sogenannte Arbeitssiege wie das überwiegend in Grau gehaltene 2:1 über Hannover liefern genug Stoff für Rätselfreunde und Fußball-Analytiker. Eines der Mysterien, die noch nicht entschlüsselt sind, trat wieder deutlich zutage. Nicht zum ersten Mal erledigten die Schalker ihren Job in der Manier hochbezahlter Teilzeitkräfte. In der ersten Hälfte beherrschten sie den Gegner meist nach Belieben. Im Abschluß zelebrierten die Schalker das Wahre, Schöne und Gute des Fußballs. Vor allem der zweite Treffer bot einen Kunstgenuß: Kevin Kuranyi (er war es wirklich!) kickte mit der Hacke zu Lincoln; der Brasilianer leitete den Ball auf die gleiche Art weiter zum Schützen, der das Meisterwerk mit Wonne zu Ende brachte. Ist Schalke also doch schon eine Spitzenmannschaft, die imstande ist zu halten, was der zweite Tabellenplatz verspricht, den sie in inzwischen erklommen hat? Es schien so, aber es war nicht so – nicht in der zweiten Halbzeit. Die schlechte Gewohnheit, nach formidablem, mitunter famosem Beginn nachzulassen, war wieder zu stark. Der Kabinenaufenthalt in der Pause erweist sich für Schalke oft als störende Unterbrechung, um Spiele mit Glanz und Gloria zu gewinnen. (…) Noch ist es möglich, den Status einer Bundesliga-Spitzenmannschaft zu erreichen, ohne wie eine Spitzenmannschaft zu spielen.“

SZ: Schalke beklagt einen seltsamen Rhythmus: Nach der Pause lauert immer Gefahr

Ausgerechnet Cottbus

Alexander Westhoff (FAZ) beobachtet hängende Schultern in Aachen nach dem 1:2 gegen Cottbus: „Die Enttäuschung stand den Aachener Spielern und Offiziellen ins Gesicht geschrieben. In Sachen Coolness und Cleverness war Petrik Sanders systemtreues Kollektiv den weitaus spielfreudigeren Aachenern überlegen. Daß ‚es‘ – eine Niederlage – irgendwann wieder passieren würde, davon sprechen sie in Aachen schon seit Wochen. Aber daß ‚es‘ ausgerechnet gegen Cottbus geschah, stieß den Beteiligten übel auf.“

Mehr Phantasie der VfB-Aktie

1:1 zwischen Wolfsburg und Stuttgart, welchen Schluß darf man aus diesem Resultat ziehen, Arne Böker (SZ)? „Als um 17.15 Uhr der Vorhang fiel, blieben viele Fragen unbeantwortet, eine Spekulation scheint dieses Spiel aber doch zu erlauben: Wären der VfL Wolfsburg und der VfB Stuttgart börsennotierte Unternehmen, würden die Analysten der VfB-Aktie bestimmt mehr Phantasie zubilligen als in der VfL-Aktie.“

Arbeitet zu wenig

Mehrere Zeitungsberichte lassen darauf schließen, daß es Bert van Marwijk an den Kragen gehen könnte. Freddie Röckenhaus (SZ) mutmaßt, daß „nach dem erneuten Gruselauftritt in einem Heimspiel“, dem 1:1 gegen Bochum, „van Marwijks Tage in Dortmund gezählt sein dürften.“ Die Gegner hielten Dortmunds Trainer vor, zu wenig zu arbeiten: „Er hat die ganze Woche über lediglich zweimal für jeweils 60 Minuten trainieren lassen. Kritiker werfen dem Trainer bereits seit seinem Amtsantritt vor, daß er die Trainingspläne besonders lässig gestaltet, um so häufig wie möglich an seinem Wohnort in Holland sein zu können.“ Richard Leipold (FAZ) fügt an: „Bert van Marwijk gilt als unbeugsam. Einflußreiche Leute im Klub mögen ihn nicht besonders. Das angespannte Verhältnis zu seinen Chefs mag van Marwijk belasten, aber“, wirft Leipold ein, „er scheint immer noch stark genug, Unangenehmes an sich abprallen zu lassen.“

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