Ball und Buchstabe
Hat doch mit Fußball zu tun
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| Freitag, 27. Oktober 2006Die Schlagzeilen und Leitartikel der Sportseiten gehören heute dem Becherwurf von Stuttgart; die Presse kritisiert die Funktionäre, weil sie das Problem Fan-Gewalt auf die Gesellschaft abwälzen wollen
Michael Horeni (FAZ) findet die Routine, mit der Fußballfunktionäre diese Tat und jede andere Form von Fan-Gewalt als Problem der Gesellschaft abtun wollen, falsch und faul: „Die Distanzierungsrituale sind nur zu bekannt. Rassistische Schmähungen, die zuletzt auch wieder in deutschen Stadien zu hören waren – hat mit Fußball nichts zu tun. Die seit Jahren bei Auswärtsspielen der Nationalmannschaft rassistischen und nazistischen Parolen der Glatzenträger – hat mit Fußball nichts zu tun. Die Probleme im Fußball, so die gängige Praxis, werden vergesellschaftet; die positiven Seiten privatisiert. Die Begeisterung in den Stadien jedenfalls hat noch kein Fußballfunktionär als gesellschaftliches Phänomen zu deuten versucht. Die Probleme auf den Rängen wären natürlich noch keineswegs gelöst, wenn sich der deutsche Volkssport auch zu denen bekennen würde, die in seinem Namen Schaden anrichten. Es gehört dazu, die Existenz der Unbelehrbaren und Schwererziehbaren in den eigenen Reihen zu akzeptieren und sich für sie verantwortlich zu fühlen. Das schafft zwar noch keine Ruhe im Stadion – aber es stärkt die Glaubwürdigkeit in diesem Kampf ungemein.“
Michael Kölmel (BLZ) fügt den Vergleich mit anderen Sportarten hinzu: „Es ist eindimensional, die Tat isoliert als die eines Spinners zu betrachten. Ebenso unzureichend ist die Sicht von Hertha- und Kickers-Funktionären, die in dem Vorfall nur ein gesellschaftliches Problem sehen, das dem Fußball aufgebürdet wird. Vom Handball oder Basketball sind solche Vorgänge hierzulande nicht bekannt, trotz krasser Fehlentscheidungen. Es ist traurige Tradition im Fußball, daß immer andere schuld sind – besonders gern der Mann mit der Pfeife. Nur die Beschimpfungen wechseln. Die Tat in Stuttgart entsprang der dem Fußball eigenen, aufgeladenen Atmosphäre, in der Verunglimpfungen allgegenwärtig sind, auf den Rängen wie auf dem Rasen.“ Da bin ich mir nicht so sicher. In den Handballhallen Mittelhessens, vermutlich nicht nur dort, kann es schon mal vorkommen, den Schiedsrichter, wenn man wütend auf ihn ist, nach dem Spiel mit Münzen zu bewerfen. Die Verletzungsgefahr beim Fußball ist wegen der Schwerkraft freilich größer, da der Gegenstand meist von einer Höhe von mehr als 10 Metern geworfen wird.
Kölmel nimmt diese archaische Form der Schiedsrichterschelte, wie sie nun in Stuttgart vorgekommen ist, zum Anlaß, den Videobeweis einzuführen: „Daß einige Kickers-Fans die Attacke auf den Linienrichter nicht dulden wollten und den Täter anzeigten, gibt Hoffnung. Aber der DFB muß dafür sorgen, daß die Referees mehr Respekt und Schutz genießen. Da ist der Videobeweis überfällig – weil er viele strittige Situationen von vornherein entschärfen kann.“
Reinhard Sogl (FR) hebt die Aufrichtigkeit hervor, mit denen Umstehende auf die Tat reagiert haben: „Es ist ein löblicher Akt von Zivilcourage und hat nichts mit Denunziantentum zu tun, daß Fans der Polizei die entscheidenden Hinweise gaben. Die in solchen Fällen von Hooliganismus oft praktizierte Wagenburgmentalität hatte keine Chance, weil verantwortungsbewußte Zuschauer beispielhaft handelten. Die jahrelange Aufklärungsarbeit von Verbänden und Fanprojekten, vielleicht auch die rigorose Bestrafung der in solchen Fällen ihrer Verantwortung offiziell nur unzureichend nachgekommenen Heimmannschaft, scheint Wirkung gezeigt zu haben. Als Kavaliersdelikt wird derartiges Rowdytum von der Mehrzahl der Fans nicht mehr sanktioniert. Die Botschaft lautet: Kein Krawallbruder darf sich seiner Anonymität in der Masse Mensch mehr sicher sein, er wird für seine Taten büßen müssen. Leider, und das ist die betrübliche Erkenntnis, gibt es aber immer noch genug sogenannte Fans, die sich als unbelehrbar erweisen.“
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