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Champions League

Die Last Champions League

Oliver Fritsch | Freitag, 3. November 2006 Kommentare deaktiviert für Die Last Champions League

Das 1:3 der Hamburger gegen Porto hat herbe Bestandsaufnahmen zur Folge, die Vorwürfe der Presse zielen in erster Linie auf die Spieler; Kritik am Trainer Thomas Doll verkneift sie sich meist

Die Hamburger Himmelsstürmer finden sich im Himmel nicht zurecht, gibt Axel Kintzinger (FTD) zu verstehen: „Manche, die sich aufmachen zu ganz großen Zielen, verblüffen ihr Publikum, wenn sich am Ende herausstellt, daß der Weg schon das Ziel war. So sieht das aus bei Angela Merkel, die genau wußte, wie sie ins Kanzleramt kommt. Und nicht so genau weiß, was sie dort soll. Beim Hamburger SV liegen die Dinge ähnlich. Da wurde die Teilnahme an der Champions League zum Maß aller Dinge, und um sie zu erreichen, spielte die Mannschaft ihre Gegner in der letzten Saison häufig schwindelig. Angekommen in der Königsklasse, blamierte sich der Klub bis auf die Knochen.“

Christian Zaschke (SZ) vermutet, daß die Champions League manchen Hamburgern zur Last geworden ist: „Die Mannschaft zeigte die mittlerweile bewährte Mischung aus Pech, Fehlern und Unfähigkeit. Einige Spieler resignierten, wohl auch, weil die Champions League in der derzeitigen Lage ein Klotz am Bein ist.“ Patrick Krull (Welt) geht die Fünfjahreswertung der Uefa nicht aus dem Sinn: „Drückt man es positiv aus, dann haben die Hamburger den Charme von Lewski Sofia: Sie dürfen mitmachen, obwohl sie gewogen und für zu leicht befunden wurden. Sieht man es realistisch, dann verbauen Klubs wie der HSV dem deutschen Fußball die Zukunft.“

Dolls integrative Fähigkeiten überschätzt

Kritisch kommentiert Martin Sonnleitner (FR) die Regression der Hamburger: „Die Mannschaft, die in der vergangenen Saison zu einem furiosen Ritt an die Tabellenspitze der Bundesliga ansetzte, ist innerhalb eines halben Jahres zu einem losen Konstrukt begabter Individualisten mutiert. Die einst im Takt einer Nähmaschine mit starker Frequenz surrenden Kombinationen sind zu Stückwerk verkommen.“ Frank Heike (FAZ) tadelt erstens die Spieler, zweitens die Vereinsführung und drittens den Trainer: „Was eine Belohnung für die begeisternde Saison 2005/06 sein sollte, ergab eine Blamage für ein Team. (…) Nun weht ein anderer Wind beim HSV. Den Profis sind Rahmenbedingungen am Rande der Perfektion hingestellt worden. Das muß auch so sein, will man ein internationaler Großklub werden. Doch offensichtlich haben alle Verantwortlichen des HSV die Legionärsmentalität einiger Großverdiener aus aller Herren Länder unterschätzt (und Dolls integrative Fähigkeiten überschätzt).“

Andreas Lesch (BLZ) warnt vor einer Spaltung der deutschen Fußball-Gesellschaft: „Die Misere des HSV wirkt umso krasser, wenn man sie gegen die Ergebnisse schneidet, die der FC Bayern und der SV Werder erreicht haben. Die Münchner und die Bremer dürfen sich in dieser Liga zur Mittelklasse zählen. Die Hamburger aber müssen vorerst der fußballerischen Unterschicht zugerechnet werden. Dieser Gegensatz zeigt, wie kraß die Leistungsunterschiede in der Bundesliga mittlerweile sind: Sie ist keine Zwei-, eher eine Drei- oder Vier-Klassen-Gesellschaft. Sie ist im europäischen Vergleich so weit abgerutscht, daß nur ihre stärksten Vertreter in Bestform sich international behaupten können. Sie hat brauchbare Spitzenklubs zu bieten, aber keine vorzeigbaren, willensstarken Verfolger.“

Schwellenklub

Besonnen faßt Jan Christian Müller (FR) die Lage in Hamburg zusammen und macht die schwierigen Umstände, die einem Verein der Aufstieg in die Champions League bereitet, mitverantwortlich für die Baisse: „Der Hamburger SV gehört allenfalls zu den Schwellenklubs im internationalen Spitzenfußball. Begabte Spieler kommen gerne, wegen des Geldes und sicher auch wegen der Reize der Stadt, sie stellen sich in Hamburg ins Schaufenster und hoffen, daß sich ein Käufer aus der Beletage findet. Folglich zerstört ein solcher Schwellenklub mit seinen eigenen Erfolgen mittelbar auch die Teamstruktur. Dann, unter Zeitdruck, menschlich und sportlich passenden Ersatz zu finden, ist eine hohe Kunst, die der HSV – im Gegensatz zu Werder Bremen – noch nicht beherrscht. Und dennoch ist dem Triumvirat Hoffmann/Beiersdorfer/Doll zuzutrauen, daß es eigene Fehler messerscharf analysiert und daraus lernt. Es sollte niemanden verwundern, wenn die Hamburger zumindest in der Bundesliga noch die Kurve kriegen. Die Voraussetzungen dafür sind vor allem deshalb gut, weil die drei Hauptverantwortlichen für den Aufstieg und den Fall sich gegenseitig vertrauen. Das war in dem unruhigen Umfeld in Hamburg oft schon ganz anders.“

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