Ball und Buchstabe
Extrem verjüngter Horizont
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| Mittwoch, 8. November 2006American Arena, der sehr lesenswerte Blog des New Yorker FAZ-Korrespondenten Jürgen Kalwa, nimmt eine fragwürdige Analyse der Londoner Times über die Schwäche des deutschen Vereinsfußballs zum Anlaß, die Bremsen des deutschen Fußballs bloßzulegen. Kalwa gibt drei Beobachtungen zum besten: „Die stärkste Macht in der Liga, Bayern München, hat kein Interesse daran, irgendetwas zu tun, was dem ganzen System helfen könnte. Was unter anderem daran liegt, daß der Club von Leuten gemanagt wird, deren Horizont extrem verjüngt ist“, spottet er erstens. Zweitens zweifelt er an der allgemeinen Qualität deutscher Fußballtrainer: „Solange die Liga nichts auf die Beine stellt und der DFB nur zuschaut, anstatt weitreichende Innovationen anzupacken (nein, nicht s o weitreichend wie der Sammer-Plan), fehlt es an Druck auf den Trainerbereich, in dem sich die sportliche Krise manifestiert. Gebraucht werden keine Motivationshampler, die ein paar Wochen lang ihre Spieler auf der emotionalen Schiene in Schwung bringen, sondern kreative Fußball-Ingenieure.“
Kalwas dritte und letzte Behauptung hat es weiß Gott in sich – das Gespann aus Fernsehen und Business trage Schuld am Stillstand der Bundesliga: „Das hauptsächlich über das Fernsehen finanzierte System kann auf Dauer nicht verkraften, daß Städte wie Leipzig, Dresden, Düsseldorf, Köln, Frankfurt nicht in der obersten Klasse vertreten sind. Warum nicht? Weil die Fans aus Aue und Burghausen und Siegen und Paderborn und anderen Käffern nicht das Geld haben, um Pay-TV-Projekte und andere Konzepte zu finanzieren.“ Wobei nicht klar wird, ob Kalwa damit auf angebliche Strippenzieher anspielt oder auf systemimmanente Mängel. Als Vorbild empfiehlt er den Blick nach Amerika: „Amerikanische Clubs zeigen seit Jahren, daß es Mittel und Wege gibt, mit präzisen Analysen der Leistungsparameter einzelner Spieler preiswerte Profis zu finden, die auf höchster Ebene mitkämpfen können.“
Wortgewalt
Jörg Hanau (FR) hält den Befehl Franz Beckenbauers, eine Deutschen-Quote in der Bundesliga durchzusetzen, für wohlfeil, aber rechtlich nicht haltbar: „Die Politik hält das Heft des Handelns in der Hand. Seit dem Bosman-Urteil 1995 gibt es kein Zurück mehr. Das weiß auch Beckenbauer, der es dennoch nicht lassen kann, Jahr für Jahr zu fordern, was das geltende EU-Recht klipp und klar untersagt. Sonderregelungen für den Profisport darf es nicht geben, einer Insellösung wird die EU-Kommission in Brüssel kaum zustimmen. Dem Patrioten aus Kitzbühel mag das nicht passen, und er darf dies auch gerne wortgewaltig in seinen Kolumnen zum Ausdruck bringen. Ändern wird es nichts.“
Altes, neues Problem
Häuft sich die Gewalt im Amateurfußball? Stefan Osterhaus (NZZ) tendiert zu der Beobachtung, daß bloß das Thema zurzeit Konjunktur habe: „Überraschend ist die gegenwärtige Verwunderung ob des altbekannten Phänomens. Noch im Sommer wollte kaum jemand wahrhaben, daß die WM-Feierlichkeiten latent aggressive Untertöne enthielten. Sicher, die WM war im großen und ganzen ein Fest mit wenigen Zwischentönen, was auch der Arbeit der Sicherheitskräfte zuzuschreiben war. Aber es hat sie gegeben, und so sehr die Leugnung aggressiver Anteile den Wunsch nach friedlichen Spielen reflektierte, so sehr half sie für die Dauer von wenigen Monaten dabei, das Treiben derjenigen zu decken, die sich nun brandschatzend Aufmerksamkeit verschaffen. Der DFB hat erste Maßnahmen ergriffen, um langfristig eine Milderung herbeiführen zu können. Das alte, neue Problem aber wird ihn noch sehr lange beschäftigen.“
Tsp: Deutschlands bester Fußballreporter arbeitet fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Warum tut er das? Ein Tag mit Marcel Reif