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Deutsche Elf

Der Sommer war groß – und lang, aber jetzt reicht es auch langsam

Oliver Fritsch | Freitag, 17. November 2006 Kommentare deaktiviert für Der Sommer war groß – und lang, aber jetzt reicht es auch langsam

Über das schwache 1:1 der Deutschen in Zypern sehen fast alle Redaktionen mit Milde hinweg; zu dankbar sind sie der Mannschaft und ihren Trainern für das schöne Jahr 2006 / Timo Hildebrand in der Kritik

Philipp Selldorf (SZ) vermißt sie jetzt schon: „Fast drei Monate geht die Nationalelf jetzt in die Länderspielpause, und beinahe möchte man beim DFB nachfragen, ob der Verband nicht schnell noch eine kleine Südamerika- oder wenigstens Asien-Tournee einbauen möchte, damit die Zeit der Trennung nicht so lang ist. Diese Mannschaft genießt inzwischen viel Vertrauen, und das ist ja das Entscheidende, wenn sich Anfang Februar alle wiedertreffen: Es gibt gute Gründe, zu glauben, daß der Aufschwung in Deutschlands wichtigster Fußballmannschaft mit all seinen Heranwachsenden und seinen Reserven aus den Aufbauteams stabil bleibt.“

Marko Schumacher (StZ) pflückt der DFB-Auswahl zum Jahresabschluß Blumen und schickt einen großen Strauß nach Kalifornien: „Das Team befindet sich auf einem Niveau mit den Topnationen des Fußballs, und es verfügt in Lehmann, Lahm, Frings, Ballack und Klose über ein Spielergerüst von internationalem Format. Das verspricht Erfolge, auch über 2006 hinaus. Selten ist die Identifikation der Deutschen mit ihren besten Fußballern so groß gewesen. Zu verdanken ist der Stimmungswandel zuvorderst Jürgen Klinsmann, der mit aller Konsequenz und gegen alle Widerstände die notwendigen Reformen auf den Weg gebracht hat. Seine Maßnahmen – die Installierung eines neuen Spielsystems, der Einbau junger Spieler oder der Aufbau eines neuen Betreuerstabs – waren wichtig und richtig. Daß sich der Aufschwung im grauen Alltag namens EM-Qualifikation fortgesetzt hat, ist Joachim Löw zu verdanken. Der Analytiker Löw hat das Team weiterentwickelt. Der Erfolg basiert nicht mehr wie bei der WM auf grenzenloser Leidenschaft, einem enthusiastischen Heimpublikum und einem fanatischen Trainer – ihm liegt mittlerweile kühle Präzision, ein strukturiertes Spielsystem und stetig wachsendes Selbstbewußtsein zu Grunde.“

Wer an deutschen Fußball denkt, meint die Nationalmannschaft

Selbst die taz reiht sich ein in den Kreis der Gratulanten; Andreas Rüttenauer resümiert: „Es waren die Erfolge der Nationalmannschaft in diesem Jahr, die dem deutschen Fußball international wieder zu mehr Reputation verholfen haben. Die Klubs haben zum Großteil versagt auf internationaler Bühne. An sie wird keiner denken, wenn er das Fußballjahr Revue passieren läßt. Wer an deutschen Fußball denkt, meint derzeit meist die Nationalmannschaft. Ein Unentschieden auf Zypern wird das nicht ändern können. Und wenn das Team weiter an sich arbeiten darf, könnte es auch so bleiben.“ Klaus Bellstedt (stern.de) fügt hinzu: „Um die Nationalmannschaft muß man sich keine Sorgen machen, nach der Winterpause werden Ballack und Co. mit mehr Power zurückkehren.“ Und der Tagesspiegel erwartet den Winter mit Rilke, Stefan Hermanns wird in den Alleen hin und her unruhig wandern: „Herr, es ist Zeit, der Sommer war groß – und lang, aber jetzt reicht es auch langsam.“

Schwacher Ausklang eines grandiosen Jahres

Matti Lieske (BLZ) jedoch will über die Mängel im allgemeinen, speziell im Zypern-Spiel, nicht hinwegsehen: „Daß die im Nachhinein deutlich gewordene Hauptrolle Löws während der Ära Klinsmann auch Verantwortung für diverse taktische Desaster einschließt, spielt ebenso wenig eine Rolle wie der Umstand, daß sich in Nikosia so ziemlich jede seiner Maßnahmen als Fehlschlag erwies. Im Moment hat Joachim Löw einen gewaltigen Kredit bei der Fußballnation. Es wird noch einiger solcher Spiele bedürfen, bis das Land irgendwann den Mist-und-Käse-Löw kennenlernt.“ An anderer Stelle schreibt er: „Fast wirkte es wie in der Rudi-Völler-Ära, als hohe Bälle auf Ballack nahezu die einzige Offensiv-Variante bildeten.“

Christian Gödecke (SpOn) führt mit Löw das Gestochere der Deutschen auf die Ausgelaugtheit der Spieler zurück: „Das Team glänzte zwar nicht, aber es war auch keine – wie von den zuspitzenden Medien schon beobachtete – ‚Rückkehr zum Rumpelfußball‘. Eher eine Sammlung von müden Kickern, die wollten, aber nicht konnten. Die Belastung von Bundesliga, Pokal, Champions League, dazu die immer noch nicht verkrafteten Anstrengungen während der WM – all das forderte nun seinen späten Tribut. (…) Erschöpft, uninspiriert, langsam: Die Leistung war ein schwacher Ausklang eines grandiosen Jahres.“

Hildebrand wie ihrerzeit Burdenski und Nigbur

Michael Horeni (FAZ) wirkt der blinden Liebe zur Jugend, etwa zu Bastian Schweinsteiger und David Odonkor, entgegen: „Das junge Gesicht des deutschen Fußballs besitzt trotz enormer Anziehungskraft und bester Perspektiven noch keine entscheidende Prägekraft. Die Nationalmannschaft ist weiter abhängig von den erfahrenen Profis, den Spielerpersönlichkeiten im reifen Fußballalter, der Generation der Dreißigjährigen. Es gibt noch niemanden aus der jüngeren Generation, der eine Mannschaft in schwierigen Momenten führen könnte. Das braucht noch Zeit. Alles andere wäre auch zuviel verlangt.“

In der Einzelkritik schauen alle ins Tor, Horeni schreibt: „Die Diskussionen konzentrierten und verengten sich auf die Rolle von Timo Hildebrand. Er hatte keinen guten Tag, doch damit taucht in Zukunft noch lange kein Torwartproblem auf, gleichgültig, wer Lehmanns Nachfolge nach der EM-Endrunde 2008 antreten wird.“ An anderer Stelle spießt er Hildebrands Floskel auf, das Gegentor könne man halten, müsse man aber nicht: „Sollte man halten, ließe sich hinzufügen, wenn man sich als künftige Nummer 1 weiter im Spiel halten will. Nicht nur das Gegentor war geeignet, die Rolle der Nummer 2 in den Vordergrund treten zu lassen. Auch als konstruktiver Spielaufbauhelfer, der Hildebrand nach Rückpässen eigentlich ist, fiel er diesmal aus. Als sicherer Rückhalt einer müden Mannschaft, die für jede Hilfe dankbar gewesen wäre, ging Hildebrand jedenfalls nicht mehr durch.“

Jan Christian Müller (FR) bemüht den historischen Vergleich, die Post-Sepp-Maier-Phase: „Nun schickt sich Timo Hildebrand nach einem unglücklichen Auftritt im Oktober gegen Georgien und einem mißglückten Spiel auf Zypern an, seine ihm ursprünglich zugedachte Rolle als Nachfolger Lehmanns zu verspielen, ganz so, wie es seinerzeit Burdenski und Nigbur getan haben. Ein internationaler Klassekeeper hält einen Schuß wie jenen von Okkas.“ Selldorf ergänzt: „Die unverhoffte Chance hat Hildebrand nicht zur Stärkung seines Ansehens nutzen können. Sein Auftritt taugte weder als Argument in der von ihm selbst erfundenen Kampagne, die Nummer 1 im deutschen Tor werden zu wollen, noch zur überzeugenden Abwehr des allgemein hochgeschätzten Torwarts Nummer 3, Robert Enke.“ Stefan Osterhaus (NZZ) kann Hildebrand auch nicht richtig in Schutz nehmen: „Es war ein Tor, wie man es bei jedem britischen Nationalgoalie als unhaltbar empfunden hätte, aber von einem deutschen Torhüter sind Experten wie Anhänger freilich andere Fang-Eigenschaften gewohnt.“

Die SZ würde Schweinsteiger beim Laufen gerne die Schuhe neu besohlen: „Schweinsteiger schien mit jedem Schritt lauter nach Urlaub zu schreien, bei ihm nimmt die saisonale Erschöpfung allmählich behandlungsbedürftige Formen an.“ Über Klose heißt es in der FAZ: „Der WM-Torschützenkönig war nach vielen Einsätzen von seiner WM-Form weit entfernt.“ Über Lahm lesen wir in der SZ: „Wie ernst es um die physischen Reserven mancher Spieler bestellt ist, erwies sich auch an Philipp Lahm, der von den Zyprern mehrmals ausgespielt wurde, als wäre er ein ganz normaler Außenverteidiger und nicht Philipp Lahm, der Unausspielbare.“

FR: Ein Fazit 2006

BLZ: Hollands Fans wenden sich gegen Marco van Basten

BLZ-Bericht Schweiz–Brasilien (1:2)

SZ-Interview mit Dunga

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