Champions League
Art Déco gegen Bauernschrank
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| Donnerstag, 7. Dezember 2006Die Presse ringt um Fassung, weil ihr Liebling Werder Bremen von Barcelona den Tarif bekanntgegeben bekommen hat
Werder Bremen würden die Mittel fehlen, urteilt Ronald Reng (FTD) wissend, um Barcelona in deren Heimat zu bezwingen und entlarvt alle, die auf Werder gesetzt hatten, als Träumer: „Werder ist eine der besten 16 Mannschaften Europas, auch wenn es nun nicht die Runden der besten 16 erreicht hat. Sie sind gegen zwei der besten vier oder fünf ausgeschieden, Chelsea und Barça, und das einzige Irritierende daran war, wie viele in Deutschland vor dem Dienstag überzeugt waren, Werder könnte im Camp Nou bestehen. Diese Elf hat nicht die Charakteristiken, um in Barcelona Gewinn zu machen. Werder ist am stärksten, wenn es den Ball schneller und sicherer paßt als der Gegner – aber das schafft niemand in Barcelona. Dort braucht es ein Team, das Barça den Spielraum erstickt, das mit neun perfekt gestaffelten Männern die 20 Meter vor dem eigenen Strafraum besetzt. So durchlitt Werder eine Identitätskrise: Es wußte nicht mehr, was für eine Elf es sein wollte; die bekannte, die den Ball und den offenen Vergleich sucht, oder eine, die sich gegen ihr Naturell einigelt. Am Ende war Werder dann gar nichts.“
Deprimiert und gequält gesteht Ralf Wiegand (SZ) eine ästhetische Niederlage ein: „Der FC Barcelona, der Klub aus der Stadt, in der Gaudi wirkte und Picasso sein Studium der Künste begann, diese begnadeten Meister also haben nur ein kleines bißchen mit den Formen und Farben spielen müssen, um die Bremer wie primitive Landschaftsmaler aus der Provinz aussehen zu lassen, deren plumpe Motive der röhrende Hirsch und die grasende Heidschnucke sind. Ein Spiel, eine Halbzeit nur – und der deutsche Fußball steht dem spanischen Art-Déco-Stil mal wieder gegenüber wie ein alter Bauernschrank. Als wäre das nicht alles schon schlimm genug, diese Dilettanten-Tournee im Uefa-Cup, die sagenhaft peinliche Punkteverweigerung des HSV in der Champions League. Nun ist sich auch noch Werder Bremen, die Schöne unter lauter Bundesliga-Biestern, beim Abschlußball selbst auf die Schleppe getreten, gestolpert und mit dem Kopf in die Torte gefallen.“
Wille zum Lernen
„Weiter so, Werder!“, ruft Peter Heß (FAZ) den Bezwungenen Mut zu, an ihrer – vorbildlichen – Strategie festzuhalten: „Werder Bremen hat sich ehrenvoll aus der Champions League verabschiedet. Zwar wurde die Mannschaft zeitweise vorgeführt, aber solche Minuten muß man manchmal wie ein Naturereignis über sich ergehen lassen, ohne in übergroße Selbstzweifel zu stürzen. In seinen genialen Momenten ist Barcelona unschlagbar. (…) Bei Werder ist der Wille zum Lernen spürbar, der vielen Klubs in der Bundesliga abhanden gekommen ist. Nicht Bayern München ist ihr Maßstab oder die Leistung, die genügt, gerade noch den Einzug in irgendeinen Europapokal zu ergattern. Werder will so gut sein wie die Besten und tut alles dafür. Wer diesen ehrgeizigen Weg eingeschlagen hat, darf zwischendurch ruhig einmal scheitern.“
Neue Aufgabe: Retter des deutschen Fußballs
Javier Cáceres (SZ): „Als die ersten Minuten gespielt waren, schien es, als sei sich Werders Elf auf dem Platz plötzlich gewahr worden, mit wem man sich eingelassen hatte, welche Dimension der Gegner, sein Rasen, sein Stadion hatte. Aggressivität, Courage, Selbstvertrauen und Klasse waren von Beginn an blaurot eingefärbt, die Werderaner wirkten bar jeder Grandezza und vom gewaltigen Bühnenbild ebenso überfordert wie vom Gegner.“ Frank Hellmann (SpOn) notiert unerbittlich: „Alles hatte sich der Bundesliga-Tabellenführer für diesen Abend vorstellen können, nur das nicht: von Barca teilweise der Lächerlichkeit preisgegeben zu werden, streckenweise eine Lektion erteilt zu bekommen.“ Und in der FR schreibt Hellmann: „Man mag im Weserstadion die Unterschiede verwischen können, doch die Erkenntnis des lehrreichen Abends lautet: Wenn Ronaldinho oder Drogba unter Siegzwang stehen, dann wirken ihre Teams unverwundbar und der national belobigte Vorwärtsfußball à la Bremen wenig durchschlagskräftig.“
Steffen Hudemann (Tsp) kann der Bremer Niederlage etwas Vorteilhaftes abgewinnen, nämlich Bremens Aussicht, im Uefa-Cup für die deutsche Fünfjahreswertung zu punkten: „Dem deutschen Fußball konnte nichts besseres passieren. Denn die Bremer können ein Unheil abwenden, das der Bundesliga droht: der Verlust eines Startplatzes in der Champions League. Die Wertung ist nicht fair, weil Punkte im Uefa-Cup genauso viel zählen wie in der Champions League. Vor allem Rumänien punktet fast ausschließlich im Uefa-Cup. In der Champions League wäre wohl im Achtel- oder Viertelfinale Schluß gewesen, im Uefa-Cup kann Werder bis ins Finale kommen – und sich anschließend einen neuen, ebenfalls schönen Titel auf den Briefkopf setzen: Retter des deutschen Fußballs.“
NZZ: Die Leiden der Jungen von Werder in Barcelona
BLZ: Der den Ball zum Sprechen bringt – Ronaldinhos Freistoßtor verzückt ganz Spanien