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Bundesliga

Ein Traditionsverein wird zur Skandalnudel

Oliver Fritsch | Mittwoch, 13. Dezember 2006 Kommentare deaktiviert für Ein Traditionsverein wird zur Skandalnudel

Ausnahmslos werten es die Redaktionen als Zeichen von Chaos und Unseriosität, daß es den „HSV-Supporters“, einer großen Fan-Gruppierung, gelungen ist, die Journalisten von der Hamburger Mitgliederversammlung von der Sitzung auszuschließen

Nico Stankewitz (stern.de) sieht schwarz: „Die beispiellose Krise des hanseatischen Traditionsklubs hat den Tiefpunkt erreicht. Nach beschämenden sportlichen Leistungen, einer Flut von Roten Karten aufgrund haarsträubender Unsportlichkeiten und zuletzt der Publikumsbeleidigungen durch den Spieler Atouba, zeigen nach der Mannschaft jetzt auch Teile der Mitglieder, daß sie nicht bundesligatauglich sind. Das Abrutschen in Richtung Liga Zwei scheint sich zu beschleunigen.“

Philipp Selldorf (SZ) reiht den Vorfall ein in die lange Liste der Hamburger Fehltritte: „Woche für Woche kam ein neues spektakuläres Geschehnis hinzu, das den Sportunfall zur Groteske machte. Aber in all der Finsternis blieb doch auch immer ein kleines Licht. Es entstand aus der Loyalität und dem nicht zu brechenden Glauben der Anhängerschaft. Nun ging ein kleiner, aber maßgeblicher Teil dieser Anhänger daran, auch den letzten Rest Halt zu zerstören, der dem Hamburger SV geblieben ist. Nun hat der HSV also noch das: einen Putsch gegen die Vereinsobrigkeit; ein die handelnden Akteure entwürdigendes Chaos; eine Erschütterung in den Grundfesten des Klubs; eine nie erlebte Identitätsstörung. Man könnte nun meinen, der Tiefpunkt sei erreicht. Aber diesen Eindruck hat der Hamburger SV schon öfter erweckt. Das macht Sorge.“

Carsten Harms (Welt) fragt, wie der HSV die Geister, die er rief, wieder loswerden will: „Es sind die Supporters, zu Mitgliedern gewordene Fans, die heute bestimmen können, wo es lang geht. Dieses Mal warfen sie die Presse aus dem Saal. In zwei Jahren, wenn es bei der Neuwahl des Aufsichtsrats, der dann den Vorstand bestellt, um viel mehr geht, könnte es dramatischer werden. Ihr Frust hat Gründe, die nicht allein in der sportlichen Talfahrt liegen. Sie fühlen sich vom Vorstand, der lieber Vip-Bereiche als Stehplatztraversen vergrößert, nicht ernst genommen, ja geradezu unbeachtet. Es wird daher nicht der letzte denkwürdige, aber wenig würdige Abend im Vereinsleben des HSV gewesen sein.“

Von den Fans der Lächerlichkeit preisgegeben

Karsten Doneck (Tsp) fügt hinzu: „Der HSV hat sich seine Probleme selbst aufgehalst. Kein Heimspiel vergeht, in dem nicht der zum Vorstand zählende Christian Reichert neue Bestmarken bei der Mitgliederwerbung kundtut. Aktuell hat der HSV über 40.000 Beitragszahler. Da ist es nicht schwer, daß sich Interessengruppen bilden, die dann auch mal nahezu geschlossen auf den Versammlungen auftreten und ihre Vorstellungen mit dem Stimmzettel durchdrücken. (…) Diesmal war Hamburg sogar peinlicher als Schalke.“

Jörg Hanau (FR) hält den Rebellen falsche Schuldzuschreibung vor: „Sie bilden, wie sich nun zeigte, einen Klub im Klub mit erschreckendem Machtpotential. In fast schon krankhaften Nibelungentreue stellen sich Fans nicht nur in Hamburg vor ihre kriselnden Kicker, schmähen die Reporter und verwechseln dabei schlicht Ursache und Wirkung. Ein Phänomen, das Schule macht. Wenn Journalisten ihre Finger in offene Wunden legen, werden sie als Nestbeschmutzer verunglimpft – Berufsrisiko. Schuld an der Misere beim HSV sind sie nicht. (…) Die eigenen Fans haben den Hamburger SV der Lächerlichkeit preisgegeben.“

Basisdemokratisches Chaos

Jan Kahlcke (taz) stellt klar: „Das Verhältnis zu den Medien hat gelitten in der sportlichen Krise. Vor allem die Bild-Zeitung, die in den vergangenen Wochen penetrant ein zertümmertes HSV-Logo druckt, stößt auf Unmut. Der Presseausschluß darf aber vor allem als Machtdemonstration der Supporters gegenüber dem Vorstand interpretiert werden, einer äußerst aktiven Gruppe. Ihr Signal: Ohne uns geht hier nichts! So hatte der Coup eher den Effekt, daß die Mitglieder im Saal an der Presse ihr Mütchen kühlten. (…) Die komplette Presse zog ab, die taz blieb unerkannt im Saal.“

Frank Heike (FAZ) schreibt: „Das basisdemokratische Chaos des HSV – wie schützt man einen Verein vor seinen Mitgliedern? In dieser Form macht sich der HSV lächerlich und verliert auf Sicht seine Handlungsfähigkeit.“ Ralf Wiegand (SZ) hat eine Intervention des Vorstands für notwendig gefunden: „Fast widerstandslos sieht die Führung des Hamburger SV zu, wie ihr Traditionsverein zum Skandalklub wird. Vor der Abstimmung wies niemand die Mitglieder daraufhin, daß es ein undemokratisches, peinliches Bild zeichnen könnte, wenn der stolze HSV seine Versammlung der Öffentlichkeit entzieht, als verhandle man vor Gericht gegen einen Kinderschänder und müsse dessen Opfer schützen. Die Nacht, in der sich der HSV vom Traditionsverein der Bundesliga, der sich als Reminiszenz auf 43 Jahre Erstklassigkeit einen Dinosaurier als Maskottchen hält, zur Skandalnudel der Branche verwandelt hat, wird in die Geschichte des 119 Jahre alten Klubs eingehen.“

SpOn: Hamburger Schluder Verein – das Chaos beim HSV ist perfekt
Welt: Hamburger SV gerät außer Kontrolle

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