Champions League
Milans Fußball war Schach mit Messern
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| Freitag, 4. Mai 2007Die deutsche Presse staunt Bauklötze über die Schönheit des AC Mailand, die englische wird schwermütig angesichts der Blässe Manchester Uniteds / Vorsichtiger Hinweis auf Mailands Gunst bei den Richtern im Manipulationsprozeß vor der Saison
Christian Eichler (FAZ) schließt aus dem Finaleinzug Mailands und Liverpools: „Immer mehr zeichnet sich ab, daß die Champions League ein Eigenleben führt, das sich von nationalen Ligen abkoppelt. Wer sie gewinnen will, kann das nur, wenn er entweder in der heimischen Liga so überlegen ist, daß er sich dort schonen kann – oder weil er dort ohnehin keine Titelchance mehr hat. Wo Teams bis zum Ende in den heimischen Wettbewerben alles geben müssen, wie Chelsea und Manchester, reicht die Energie nicht für die letzten Hürden in Europa.“
Gleichzeitig findet Eichler ein paar Härchen in Mailands Suppe: „Daß es hilfreich ist, die richtigen Leute auf seiner Seite zu haben, beweist die Saisonvorgeschichte des AC Mailand. Ursprünglich vom Zwangsabstieg bedroht, war Milan für die jahrelange Beteiligung an Spielmanipulationen mit einem Abzug von 44 Punkten der letzten Saison bestraft worden. Dann wurde der Verlust in der Berufung auf jene 30 Punkte reduziert, mit denen Milan einen Platz in der Champions League behielt. Um das Erreichen des Finales von Athen haben sich also nicht nur Kaka & Co. verdient gemacht. Auch ein paar nachsichtige Richter.“
Eine Sturmwelle über ein Schlauchboot
Birgit Schönau (SZ) wirft der Mannschaft Kußhände zu: „Diese Elf spielt spektakulären Fußball. Sie steht zu Recht im Finale von Athen. Ihr jetzt zuzuschauen ist ein Genuß. Es geht den Milan-Profis, unter ihnen fünf italienische Weltmeister, in gewisser Weise ähnlich wie der Squadra Azzurra bei der WM 2006: Sie spielen im langen Schatten des Skandals. Und sie zeigen: Ihre Wahrheit liegt unantastbar auf dem Platz. (…) Neben Kakà sah Ronaldo aus wie ein Hütchenspieler neben Magier Merlin. Ronaldos vielgepriesene Kunst löste sich im Mailänder Dauerregen auf wie ein flüchtig hingeworfenes Aquarell.“
Eichler liest Mailands Sieg als Widerlegung der Italien-Klischees: „Das Bild des guten alten italienischen Fußballs, es hat reichlich Risse bekommen in den letzten zwei Jahren. Italiener geben keinen 1:0-Vorsprung mehr her? Dafür aber ein 3:0, so wie der AC Mailand im Champions-League-Finale 2005. Italiener mauern sich zum Titel? Sie wechseln drei Angreifer ein und stürmen zum Sieg über Deutschland im WM-Halbfinale 2006. Italiener verschleppen am liebsten das Spiel? Nein, sie entfachen ein solches Tempo wie am Mittwoch, als Milan im strömenden Regen von San Siro über Manchester United kam wie eine Sturmwelle über ein Schlauchboot.“
Vorsichtig, nervös und naiv
In England ist man sich darüber einig, daß Milan eine Klasse besser gewesen ist. Laut Daily Mirror setzte es für United gestern „eine Tracht Prügel von gewaltigem Ausmaß“. Der Daily Telegraph geht noch einen Schritt weiter: „Milans Fußball war Schach mit Messern. United wurden von Gattuso und seinen Gefährten in kleine Stücke gehackt”. Ernüchternd fällt auch die Einschätzung von Sam Wallace (Independent) aus: „Der Festzug zu Ehren des englischen Fußballs kann abgesagt werden, die Annexion des europäischen Fußballs durch die Premier League muß bis auf weiteres verschoben werden. Man kann es durchaus peinlich nennen, wie Fergusons Spieler zu Lehrlingen degradiert wurden, von einem (von Kakà dirigierten) AC Mailand, der atemraubend spielte und stets die Kontrolle über die Partie zu haben schien. Nun steht nur noch der alte Spielverderber Benitez zwischen diesem großartigen italienischen Team und seinem siebten Champions- League-Titel. Liverpools Trainer hat schon einmal ein Wunder vollbracht, aber einen AC Mailand in dieser Form zu schlagen, wäre eine noch beeindruckendere Leistung als das Comeback in Istanbul vor drei Jahren.“
Der ehemalige Chelsea-Profi Tony Cascarino (Times) erkennt United nicht wieder und stellt Alex Fergusons Marschroute in Frage: „Es war die Rache der Serie A. United war spielerisch und kämpferisch völlig unterlegen, und das 7:1 gegen Rom scheint nur noch eine alte Erinnerung zu sein. Die Chelsea-Fans singen gerne ‚Darum sind wir Meister‘ – vorgestern waren es die Milan-Fans, die im Auftrag ganz Italiens sangen ‘Darum sind wir Weltmeister’. United sah aus wie eine Mannschaft, die in diesem Jahr schon gegen Rom, Kopenhagen und Glasgow verloren hat: vorsichtig, nervös und naiv. Ferguson hatte vor der Partie gesagt, United würde risikofreudig auftreten. Doch davon war absolut nichts zu sehen, bis sie keine andere Wahl mehr hatten. Weshalb hat Ferguson seine Mannschaft, die mit derartigem Flair spielen kann, mit dem Vorhaben aufs Feld geschickt, das Spiel zu ersticken?“
Bearbeitung und Übersetzung der englischen Presse durch Alexander Neumann (London)
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