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Internationaler Fußball

Peter Pan des Fußballs

Oliver Fritsch | Dienstag, 8. Mai 2007 Kommentare deaktiviert für Peter Pan des Fußballs

Die englische Presse ehrt den Meistertrainer Alex Ferguson und mischt etwas Spott dabei / Das unterlegene Chelsea in der Mißgunst aller Journalisten; Schelte für Michael Ballack und Andrei Schewtschenko – Real Madrids überraschende Rückkeher ins Titelrennen

Kevin McCarra (Guardian) goutiert die Meisterschaft Manchester Uniteds: „In dieser Saison ist die Mannschaft mit ihrem elanvollen und temporeichen Fußball sämtlichen Rivalen weit überlegen. Es wäre deprimierend gewesen, wenn dieses Team für ihre die Massen beglückende Fußballphilosophie nicht belohnt worden wäre.“ Matt Dickinson (Times) gibt zu bedenken, daß Manchester erst den ersten von zwei Teilen seines ehemaligen Terrains zurückerobert habe: „Uniteds Erfolge werden normalerweise von einer tief verwurzelten Mißgunst begleitet, doch diese Meisterschaft wird ihnen von vielen gegönnt. Dabei hilft zum einen, daß sie nicht mehr das alleinige Monopol auf die Meisterschaft haben, wie es in den 90er Jahren der Fall war, und zum anderen, daß Chelsea ihnen als meistgehaßter Verein Englands den Rang abgelaufen hat. Man darf davon ausgehen, daß man bei United darum bemüht ist, sich auch diesen Titel zurückzuholen, auch wenn das – sollte Mourinho in London bleiben – noch ein paar Jahre dauern dürfte.“

James Lawton (Independent) portraitiert Manchesters Trainer als literarische Figur: „In dem Moment als Alex Ferguson wußte, daß er den Titel von den Rubelkönigen an der Stamford Bridge zurückgewonnen hatte, machte jedes Detail seiner Körpersprache deutlich, daß er sich völlig dessen bewußt war, etwas historisches geleistet zu haben. Und man wurde unweigerlich daran erinnert, was es ist, das Alex Ferguson so einzigartig macht in diesem Geschäft: Er ist der Peter Pan des Fußballs. Die Jahre ziehen an ihm vorüber, doch älter wird er nicht. Als sein damals junges Team 1999 im Finale der Champions League stand, rannte er an der Seitenlinie auf und ab, wie ein Schuljunge auf dem Weg in die Sommerferien. Im Spiel gegen Manchester City, als United den Vorsprung auf Chelsea auf acht Punkte vergrößerte, tat er genau das gleiche. Er war zurück in Nimmerland.“ Sam Wallace (Independent) hält Old Trafford für das Hacienda des 21. Jahrhunderts: „Ferguson hat sich erneut selbst übertroffen. Während er seine siegreichen Teams der vergangenen Jahre immer wieder umbaute, folgte er dieses Mal einer anderen Taktik: Er vertraute darauf, daß sein Team gut genug wird, solange man den Spielern nur die nötige Zeit gibt. (…) Was wird von der Meistermannschaft des Jahres 2007 am meisten in Erinnerung bleiben? Daß Nemanja Vidic und Rio Ferdinand das großartigste Duett sind, das Manchester seit Morrissey und Marr gesehen hat?“

Die Insel mit kontinentaler Spielkultur verzückt

Raphael Honigstein (Tagesspiegel) erörtert die Logik und die Unlogik des Titelgewinns: „Als einziger ernstzunehmender Herausforderer des FC Chelsea hatte das einst übermächtige United erstmals auch neutrale Beobachter auf seiner Seite – der einfallsreiche, fließende Angriffsfußball bereitete mehr Freude als der brutale Gewaltmarsch der Blues. Chelsea stand meist mit vier zentralen Mittelfeldspielern auf dem Platz und versuchte, die Gegner mit kollektivem Kampf zu erdrücken; United setzte auf die individuelle Brillanz von Rooney und Ronaldo und hatte in dem Serben Nemanja Vidic einen der meist unterschätzten Verteidiger Europas als Faustpfand. Überraschend war es trotzdem, wie entschieden Fergusons Elf in der harten, rauhen Premier League ihr feines Spiel durchdrücken konnte. Denn ohne einen echten Ballwinner, einen Grätscher im defensiven Mittelfeld, ist in England nie jemand Meister geworden. Ausgerechnet Fergusons United, die Elf des letzten britischen Spitzentrainers der Liga, verzückte die Insel mit kontinentaler Spielkultur und schnellem, effizienten Direktspiel.“

Chelsea voller Power, aber ohne Flair

Christian Eichler (FAS) streicht die Eindimensionalität Chelseas heraus: „Unerklärlich blieb, wie wenig spielerische Überraschungsmomente der teuerste Kader der Welt hat. Mourinhos Mannschaft fehlte die Finesse, die hilft, wenn die Beine einmal schwer sind. Sie mußte vom ersten Tag an auf die Rolle als wuchtige Siegmaschine programmiert werden, da blieb keine Zeit für das Reifen von Spielkunst. Roman Abramowitsch hat ein Vermögen ins Team gesteckt und dafür zwei Meistertitel bekommen, aber nicht den Fußball, den er wollte. Chelsea spielt meist beeindruckend, aber nie begeisternd; voller Power, aber ohne Flair. Ein englischer Kommentator drückte es so aus: Chelsea spiele Fußball so, wie der größte und stärkste Kerl auf dem Schulhof die anderen herumschubst. Wenn so einer hinfällt, dann freuen sich alle. Den Aufstieg zum Weltklub wird es nicht aufhalten, aber bremsen. In China und anderen Wachstumsmärkten hat der Verein enorm investiert und eine große Fan-Basis aktiviert. Während in England außerhalb Süd-Londons kaum ein Anhänger der ‚Blues‘ zu finden ist, macht der Klub in Asien dem bisherigen Marktführer Manchester United Konkurrenz.

Englands Zeitungen berichten, noch einmal werde Abramowitsch diesen Sommer viel Geld für neue Spieler bereitstellen – noch genau ein Jahr gebe er Mourinho, ihm endlich den großen Skalp zu liefern: den Gewinn der Champions League. Noch ein Jahr Zittern für jene Fußballfreunde, die eine altmodische Hoffnung hegen: daß man im Fußball nicht alles kaufen kann.“ An anderer Stelle schreibt Eichler über Manchesters unterlegene Rivalen: „Arsenal hat ein junges Team im Umbruch, das für den größten Teil der Saison auf Thierry Henry verzichten mußte. Liverpool fehlt ein Torjäger von Weltklasse. Und Chelsea lag mit den Einkäufen Schewtschenko und Boulahrouz daneben, auch Ballack blieb weitgehend blaß.“

Schelte für Ballack und Shewtschenko

Nachdem sich José Mourinho negativ über einige, nicht namentlich genannte, Spieler geäußert hat, ist ein großer Teil der englischen Presse der Meinung, die Tage von Andrei Schewtschenko und Michael Ballack beim FC Chelsea seien gezählt. So heißt es im Daily Mirror: „Mourinho hat deutlich gesagt, daß sich bestimmte Mitglieder seines aktuellen Kaders an der Partie gegen Arsenal ein Beispiel bezüglich ihrer Einstellung nehmen sollten. Adressaten dieser Kommentare scheinen Schewtschenko und Ballack zu sein, deren Mittelmäßigkeit in dieser Saison zu Chelseas enttäuschendem Abschneiden beigetragen hat. (…) Vermißt hat die Mannschaft Ballack oder Schewtschenko gestern nicht. Und die Wahrheit ist: Sie ist ohne sie sogar besser.“ Henry Winter (Daily Telegraph) sieht das ähnlich: „Mourinhos Worte waren eine absichtliche und ernste Warnung an gewisse Überbezahlte ‚under-achievers‘. Wenn Mourinho bleibt und seine Transferpolitik selbst bestimmen darf, ist es kaum vorstellbar, daß Ballack und Schewtschenko bleiben. Sie haben nie in seine Philosophie gepaßt, junge und hungrige Spieler zu kaufen.“ Auch Matt Scott vom seriösen Guardian kann sich den Abgang der beiden vorstellen: „Wenn Mourinho davon spricht, für die nächste Saison zwei bis drei personelle Wechsel vorzunehmen, dann dürfte das bedeuten, daß er sich darum bemühen wird, Ballack und Schewtschenko loszuwerden.“

Bearbeitung und Übersetzung der englischen Presse durch Alexander Neumann (London)

Stockholm-Syndrom in der Fachpresse

Javier Cáceres (SZ) beschreibt die Rückkehr Real Madrids ins Titelrennen mit dem FC Barcelona: „Daß sich der Kampf um die Meisterschaft auf den Showdown der Erzrivalen zuspitzt, ist allein schon wegen der Distanz überraschend, die noch vor wenigen Wochen zwischen ihnen lag. Verblüffender aber ist, daß dem bislang für seinen ungedeihlichen Fußball geschmähten Trainer Fabio Capello in der Fachpresse Hymnen gedichtet wurden. Ein Kommentator sah sich genötigt, für alle Fälle zu leugnen, dem Stockholm-Syndrom verfallen zu sein – jenem psychologischen Phänomen, bei dem Geiseln Sympathien für ihre Peiniger entwickeln. Gleich darauf ging er in die Knie und gestand: ‚Nie hätte ich gedacht, daß ich folgendes schreiben würde: Capello war stupend.‘“

BLZ: Emerson führt Real Madrid zum 3:2 gegen den FC Sevilla und besiegt die Angst vor den eigenen Fans

Die Tore

NZZ: Giovanni Trapattoni nach dem 22. Titelgewinn mit Salzburg weiterhin voller Energie

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