Champions League
Tradition gegen Geschäft
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| Mittwoch, 23. Mai 2007Vorberichterstattung zum Finale
Michael Horeni (FAZ) erzählt das Duell Liverpool gegen Mailand als das Duell Tradition gegen Geschäft, Erdverwurzelung gegen Snobismus, Gut gegen Böse: „Wie vielleicht keinem anderen europäischen Spitzenklub ist es dem FC Liverpool gelungen, die urwüchsige Kraft des einstigen Arbeitersports zu bewahren und in sein Geschäftsmodell zu integrieren. Wenn die Vorstellung von Fußball pur unter den in den letzten Jahren dramatisch veränderten Bedingungen noch irgendwo zu Hause ist, dann an der Anfield Road. Daß der legendäre ‚Roar‘ auch in der künftigen Arena, so die Herausforderung an die Konstrukteure, nach dem Umzug weiterleben soll, ist dabei nur ein Ausdruck einer gelebten, bodenständigen Beziehung – auch wenn der Klub gerade für 430 Millionen Dollar an amerikanische Investoren ging. Der Zuschauer als vielzitierter zwölfter Mann, in Liverpool hat er trotzdem noch einen Stammplatz. Auf der anderen Seite eignet sich kein anderer Klub besser als Milan als Projektionsfläche, um die Versuchungen und Abgründe in diesem Multimilliardengeschäft zu illustrieren – und die Distanz, die in der Europaliga auch zwischen Potentaten und Publikum liegen kann. Nach den Verwicklungen in den Manipulationsskandal war es vielleicht nur Silvio Berlusconis Einfluß geschuldet, daß sein Klub von den Sportrichtern nachsichtig behandelt wurde und überhaupt in der Champions League mitmachen durfte. Juristisch stand Milan zwar nicht im Mittelpunkt des Skandals, doch für viele trägt der frühere Regierungschef und reichste Mann des Landes die politische Verantwortung für die Korruption im Calcio, weil seine grenzenlose Instrumentalisierung des Fußballs dem Betrug den Boden bereitete.“
Dirk Schümer (FAS) beleuchtet den Energiesparmodus des AC Mailand: „Sollte der Klub Berlusconis tatsächlich Europas Meisterklasse als Sieger abschließen – dann hätte das abgebrühte Ensemble das höchste Saisonziel erreicht: nämlich den Meistertitel von Inter in den Schatten zu stellen. Niemand in Italien hätte dem überalterten Ensemble von Milan ein internationales Durchstarten zugetraut. Doch nun zeigt sich, daß die Vereinsführung genau darauf hingeplant hatte. Alles sieht nach einer Punktlandung aus: In vier glanzvollen Spielen gegen Bayern München und Manchester United rafften sich Altstars jenseits der dreißig zu Großtaten auf, die sie in den langweiligen Partien gegen Chievo oder Empoli schon lange nicht mehr zeigen. Die taktisch ausgebufften, oft verletzten Altstars wie Nesta, Maldini oder die müden Weltmeister Pirlo und Gattuso schonten sich im Liga-Alltag aber so gründlich, daß sie nun sogar als Favoriten gelten können. Warum in einer endlosen Liga Kraft verpulvern, wenn wenige Partien der Champions League dasselbe Geld und denselben Ruhm einbringen? Aus der nationalen Rehaklinik direkt in Europas fußballerischen Jetset – noch nie hat ein Traditionsverein das gewachsene Prestige der Champions League untermauert und das eigene Land links liegenlassen.“
Benítez hat an alles gedacht
Flurin Clalüna (NZZ) schreibt Mailand etwas gut: „Milan hat zuletzt alle Beton-Konzepte über die Sterilität und den Negativismus des italienischen Fußballs aufgebrochen. Vor allem wegen des letzten Auftritts gegen Manchester United sind die Mailänder die Favoriten. Die Italiener gelten als erfahrener und auch als talentierter als die Reds. Doch vielleicht gibt es einen Spielverderber: Benitez.“ Hanspeter Künzler (NZZ) gibt einen Einblick in Benitzez‘ Arbeit: „Seit er sich im Alter von 26 Jahren dazu entschied, die (mittelmäßige) Spielerkarriere zu beenden und sich zum Coach und Manager ausbilden zu lassen, legt er höchsten Wert auf genaue Statistiken. Der Manager macht sich mit geradezu obsessiver Genauigkeit an die Planung der Matches – sogar während der Flitterwochen soll er Trainingsmethoden studiert haben. Nach einer Computeranalyse verbot Benitez den spanischen Spielern den Konsum von Paella, weil dies nicht in seine Vorstellung einer ausgeglichenen Ernährung passe. Einzig und allein auf die Computeranalyse Benitez‘ ist auch zurückzuführen, daß Steven Gerrard seinem eigenen Instinkt zum Trotz immer wieder am rechten Flügel statt in der Mitte eingesetzt wird: Der Computer habe gezeigt, daß er auf diesem Posten eine bessere Wirkung erzeuge.“
Jörg Kramer (Spiegel) fügt hinzu: „Der beleibte Mann mit den weichen Zügen und den weiten Anzügen ging den Profis anfangs mit seiner Detailversessenheit auf die Nerven, inzwischen liegt ihm ganz Liverpool zu Füßen. Benítez ist ein Buchhalter des Fußballs, seine Ideen kommen aus dem Computer. Die Spieler sind sein Material. Es ist ein gerechneter Fußball, den er lehrt, der kann durchaus leidenschaftlich sein, hart und athletisch. Aber dazu braucht Benítez keine besondere Lautstärke, keine Psychotricks, eigentlich keine Emotionen. (…) Für eine Woche hat Benítez‘ Team ein Trainingslager in der Provinz Murcia im Südosten Spaniens bezogen. Sie hatten ermittelt, daß dort um diese Zeit exakt die gleichen Bedingungen herrschen wie am Endspielort Athen. Temperatur, Niederschlag, Luftfeuchtigkeit: Benítez hat an alles gedacht.“
BLZ: Neue Besitzer wollen den FC Liverpool modernisieren
Tsp: Jamie Carragher soll dazu beitragen, daß Liverpool heute die Champions League gewinnt
Tsp: Kätzchen oder Pitbull – Englands Presse reibt sich an Milans Gattuso
NZZ: Ein sehr liebenswertes Portrait von Carlo Ancelotti
BLZ: Der Grenzgänger Paolo Maldini, bald 39, wird noch ein Jahr spielen
FAZ-Interview mit Urs Siegenthaler über seine Prognose für das Endspiel
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