DFB-Pokal
Renaissance eines Wettbewerbs
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| Montag, 28. Mai 2007Die Presse verteilt das Lob für das sportlich tolle Pokalfinale in gleichem Maß an Sieger und Verlierer und läßt die Stuttgarter Sünder Cacau und Fernando Meira mit einer Rüge davonkommen
Sven Goldmann (Tagesspiegel) dankt Nürnberg und Stuttgart: „Das Finale war sportlich das beste der vergangenen Jahre, es steht für die Renaissance eines Wettbewerbs, an die noch vor ein paar Jahren nicht zu denken war.“ Christof Kneer (SZ) führt die Qualität des Spiels auf die zwei Trainer zurück: „International ist der Einfluß des Trainers schon immer prägender gewesen, als die Bundesliga wahrhaben wollte, wo die Aufgabe der trainierenden Folkloristen viel zu lange darin bestand, die Aufstellung zu machen und Sprüche zu klopfen. Der Liga könnte nichts Besseres passieren als zwei Pokalfinalisten, die stilbildend wirken. Hans Meyer und Armin Veh haben Teams erschaffen, die im hochklassigen Cupfinale noch einmal zur besten Sendezeit vorführten, daß strukturiertes und spektakuläres Spiel keine Gegensätze sind. Beide Teams sind von ihren Trainern zu so präzisem taktischen Pflichtbewußtsein erzogen worden, daß sich die Kür fast von selbst ergibt.“
Gerd Schneider (FAZ) behält die Gesamtlage im Blick und läßt sich von dem Saison-Finish nicht Sand in die Augen streuen: „So aufregend und unterhaltsam Meisterschaftsfinale und Pokalendspiel auch waren: Man darf sich von ihnen – wie von den Rekordzuschauerzahlen – nicht blenden lassen. Aufs Ganze gesehen, war das spielerische Niveau dieser Saison in der Liga wie im Pokal schwach. Noch immer ist der Modernisierungsstau im deutschen Fußball nicht aufgelöst. Noch immer lähmt man den Reifeprozeß junger Kräfte, indem man sie zu wenig einsetzt und ihnen keine Fehler erlaubt. Noch immer haben die Fußballprofis zu viel Freizeit, anstatt sie zumindest tageweise in eine Ganztagesarbeit einzubinden, wie es Hans Meyer tut. Und noch immer dominiert der Hang zu Bewährtem, gerade bei der Besetzung der Trainer- und Managerstellen. Dabei haben gerade Stuttgart und Nürnberg gezeigt, daß Mut zu unkonventionellen Lösungen sich manchmal doch auszahlt.“
Ein Spiel, das Maßstäbe setzt
Volker Kreisl (SZ) würdigt Hans Meyers Realitätssinn und klugen Fleiß: „Über drei Jahrzehnte scheiterte der Club an Großmannssucht, sich selbst überschätzenden Spielern und Trainern, die vom ’schlafenden Riesen‘ redeten und letztlich mit einschliefen. Erst mit dem unprätentiösen, direkt denkenden Duo Martin Bader und Hans Meyer arbeitet beim Club wieder jeder konzentriert an seiner Stelle. Meyer lebt das vor, indem er sich jeglicher Überhöhung widersetzt. Auch seine Augen waren etwas feucht, auch er ballte nach dem Schlußpfiff die Fäuste, aber letztlich blieb er ruhig. Mit 64 Jahren und einem Hüftproblem springt man nicht mehr wie ein Bock über den Rasen. Er ist der erste Titeltrainer seit etlichen Jahren, der sich nicht mit Bier überschütten ließ, auch das bestätigte seine Ankündigung, daß ein Titel dem Verein viel mehr bedeuten würde als dem Trainer. (…) Endlich hat eine Club-Elf die Sehnsüchte ihrer Anhänger adaptiert, das war wohl der Hauptgrund für den knappen Sieg gegen technisch und gesundheitlich leicht überlegene Stuttgarter.“
Kneer lobt die Verlierer: „In taktischer Hinsicht hat diese junge Elf das nächste unverschämt reife Spiel hinterlassen, und wer nicht ständig nachzählte, konnte die Nürnberger Überzahl fast übersehen. Mit fast beängstigender Coolness hat Armin Vehs Zehn, angeleitet vom 20-jährigen Sami Khedira, dreimal im Spiel die Taktik gewechselt.“ Volk ohne Raumdeckung, der Blog eines bekennenden Nürnberg-Fans, pflichtet bei: „Jeder konnte sehen, warum sie Meister sind: Sie haben die technischen und taktischen Mittel, über die volle Distanz nach vorne zu spielen, sie sind großartig, wenn es darum geht, in ein Spiel zurückzukommen, sie haben außergewöhnliche Spieler, ohne dauernd von Leadership, Alphatieren und solchem Quark zu faseln: Khedira, Hitzlsperger, Hilbert und Meira. In diesem Endspiel trafen zwei der drei spielstärksten Mannschaften der vergangenen Saison aufeinander, das war zu sehen. Daß es nicht nur ein verdienter Sieg der Nürnberger, sondern auch ein Spiel war, das Maßstäbe gesetzt hat, macht den Gewinn des Pokals noch schöner.“
Ein Tritt wie ein Attentat
Die zwei Stuttgarter Sünder, Cacau, der seinen Gegenspieler geschlagen hat, und Fernando Meira, der seinen Gegenspieler vom Platz getreten hat, lässt die Presse mit schlechten Kopfnoten davonkommen. Andreas Lesch (Berliner Zeitung) schreibt: „Die Stuttgarter haben bewiesen, daß sie fußballerisch für ihre Jugend schon erstaunlich erwachsen sind, daß sie charakterlich aber noch reifen müssen.“ Die FR rügt Meira: „Die häßlichste Szene des Finals, vielleicht sogar die der gesamten Saison, leistete sich VfB-Kapitän Meira. Der Portugiese, stärkster Stuttgarter der abgelaufenen Saison, trat, nur wenige Minuten nach dem Platzverweis für Cacau, Marek Mintal mit einer auf hiesigen Fußballplätzen selten gesehenen Brutalität ins Krankenhaus. Es war das pure Frustfoul, mit den Stollen zuerst, rücksichtslos, rüde, respektlos.“ Schneider fügt hinzu: „Während Cacaus Aussetzer keinen großen Schaden anrichtete, ließ sich Meiras Attacke, das vielleicht übelste Foul der ganzen Saison, schwer ertragen. Warum ihn Michael Weiner nicht vom Platz stellte, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Zu allem Unglück mußte sich der arme Mintal beim Hinaustragen von Stuttgarter Fans beschimpfen und mit Bier begießen lassen. (…) Ein brutales Foul, das wie ein Attentat aussah.“
Kneer mißt den Sympathieverlust der Stuttgarter: „Eine Woche lang hat sich der VfB Stuttgart zurecht bestaunen lassen dürfen für diese Meisterschaft, die er mit diszipliniertem Spiel errungen hatte. Diesmal aber beschränkte sich die Disziplin aufs Fußballtaktische, sonst schien es fast so, als wehrte sich diese Elf gegen die Vereinnahmung als everbody’s darling; falls dies der Plan war, ist er dank Meiras Tritt und Cacaus Faustaktion recht gut aufgegangen. Auch die Verantwortlichen waren einigermaßen überrascht von den unfeinen Mitteln, zu denen ihre feinen Fußballer gelegentlich griffen. (…) Meiras Tritt hat ihn mit einem Schlag in die Ruhmeshalle der Rauhbeine befördert, direkt neben Camacho, Gentile oder Goicoechea.“ Volk ohne Raumdeckung gewährt Milde: „Meira, einer der fairsten Innenverteidiger der Liga, war übrigens untröstlich und beging in den restlichen 90 Minuten kein einziges Foul mehr, das sollte man auch erwähnen.“
Mentalitätswandel
Stefan Hermanns (Tagesspiegel) hebt die unspektakuläre Art des Nürnberger und künftigen Stuttgarter Torhüters heraus: „Wie sehr Klinsmann als Bundestrainer die Sicht des Landes auf den Fußball verändert hat, läßt sich auch an der Personalie Raphael Schäfer belegen. Dessen nüchterne Interpretation des Torwartspiels entspricht nicht der traditionellen Vorstellung der Deutschen, die die Qualität eines Torhüters vornehmlich an seinen Flugeigenschaften festmachten. Schäfer war selbst in Nürnberg am Anfang seiner Zeit nicht unumstritten, in den ersten beiden seiner insgesamt sieben Jahre beim Club bestritt er ganze drei Spiele. Welche Wertschätzung der Torhüter inzwischen genießt, läßt sich schon daran ablesen, daß er vom Deutschen Meister VfB Stuttgart für gut befunden wurde, Timo Hildebrand zu ersetzen. Es ist auch Ausdruck eines allgemeinen Mentalitätswandels.“