Deutsche Elf
Ich habe in Chelsea noch nicht die Anerkennung, wie ich sie mir wünsche
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| Mittwoch, 6. Juni 2007Ein offener und gelassener Michael Ballack gibt in der FAZ Auskunft über seinen harten Kampf in Chelsea, seine Meinung zum Konflikt zwischen Torsten Frings und Miroslav Klose und seinen Willen, bei der WM 2010 dabeizusein / Fazit ein Jahr Bundestrainer Joachim Löw: „Er hat seine Mannschaft nach dem Rausch der WM in den Alltag geführt, ohne daß sie einen Kater bekommen hat“ (BLZ), doch Kritik an Löws „leistungsfeindlichen, unerschütterlichen Treue zu Klose“ (StZ)
Aus dem FAZ-Interview mit Michael Ballack sprechen Vernunft, Souveränität und Offenheit. Auf die Frage, ob das erste Jahr in Chelsea ein „verlorenes Jahr“ gewesen sei, gesteht er ein, erst Teilziele, die aber immerhin, erreicht zu haben: „Es ist eingetroffen, was ich erwartet hatte: daß es schwierig wird. Dreimal in vier Jahren hatten wir bei Bayern das Double gewonnen, das Umfeld war schön, die Familie hatte sich wohlgefühlt. Aber ich habe eine neue Herausforderung gesucht und auch gefunden – das ist mit Höhen und Tiefen verbunden. Das ist auch gut so. Dadurch kann man sich weiterentwickeln. Ich habe zum Beispiel erfahren, wie andere Weltklassespieler aus anderen Ländern in Fragen wie Spielweise, Motivation und Teamumgang ticken. Das erweitert die Sichtweise. Sportlich mußte ich mir in diesem Jahr meine Position, die ich bei Bayern und in der Nationalelf sicher hatte, neu erarbeiten. Das ist ein Prozeß, der mich noch weiter herausfordert. Ich habe in Chelsea noch nicht die Anerkennung, wie ich sie mir wünsche. Ich bleibe aber ruhig, weil ich weiß, was ich kann. Ich habe nichts von meiner Spielstärke verloren, ich habe mich in England sogar weiterentwickelt. Aber das auch zum Tragen zu bringen fällt mir in der Nationalmannschaft, wo ich meine Position habe und die Spieler mich kennen, derzeit noch leichter als bei Chelsea. Das habe ich in dieser Saison bei den Länderspielen auch immer wieder gezeigt. Diese Rolle künftig auch bei Chelsea zu spielen ist meine große Herausforderung der nächsten Jahre.“ Zudem verrät Ballack, daß er plane, seine Nationalmannschaftskarriere nach der EM 2008 fortzusetzen: „Wenn ich gesund und fit bleibe, gehe ich fest davon aus, daß ich auch noch bei der WM 2010 dabei bin.“
In Sachen Klose/Frings bezieht Ballack behutsam Stellung für Klose: „Es ist eigentlich ein Bremer Thema, das jetzt in die Nationalmannschaft getragen wird. Beide hatte ja Wechselabsichten – der eine jetzt nicht mehr, der andere stärker denn je. Ich finde es aber gut, daß Miro nun mal was dazu gesagt hat. Das mußte er auch. Er hat das Alter und das Standing in der Mannschaft dazu – und er hat meine volle Unterstützung, auch was die Sache mit Torsten betrifft. Ich habe auch mit Torsten darüber gesprochen, es hätte mich auch gestört, wenn Torsten das über mich gesagt hätte. Es ist ja gut, daß er sich als Bremer Führungsspieler Gedanken über seinen Klub macht, aber solche Aussagen sind jetzt ein dankbares Thema für die Medien. Das ist nicht förderlich. Miro ist ein ehrlicher Spieler, der da in etwas reingeschlittert ist – und nach meiner Erfahrung wird sich das Wechselthema nach dem Länderspiel sowieso ganz schnell klären. In so einer Situation, in der Miro jetzt ist, kann man im Moment wenig gewinnen. Das ist so, damit muß er leben.“
Erbärmliches Niveau
Per Mertesacker sagt im Tagesspiegel: „Ich hätte mir auch gewünscht, daß der Miro rechtzeitig und klar sagt, was ist. Am liebsten wäre mir gewesen, daß er einfach gesagt hätte, daß er in Bremen bleibt. Er trägt ja auch eine große Verantwortung für andere Spieler.“ Frings hat gestern auf der Pressekonferenz über Kloses Entgegnung gesagt: „Ich bin ja froh, wenn er mal was sagt und ein Lebenszeichen von sich gibt. Ich habe kein Problem mit ihm, im Gegenteil: Ich mag ihn ganz gerne. Aber wenn er unzufrieden ist, dann soll er wechseln. Ich bleibe bei meiner Meinung und werde sie nicht ändern – auch wenn er das immer sagt.“ Gregor Derichs (FAZ) muß im Archiv kramen, um einen vergleichbaren öffentlichen Konflikt zu finden: „In der Nationalmannschaft ist ein jahrelang gepflegtes Tabu gebrochen worden. Der Streit zwischen Frings und Klose ist eskaliert und hat gegen die Richtlinien der Teamleitung zur kollegialen Friedenspflicht verstoßen, weil er zudem noch über die Medien ausgetragen wird. Eine Auseinandersetzung von dieser Härte hatte es im DFB-Team zuletzt bei der EM 1996 gegeben, als Mario Basler gegen Andreas Möller stänkerte. Deswegen schickte Bundestrainer Berti Vogts den meckernden Basler nach Hause.“
Andreas Lesch (Berliner Zeitung) schreibt genervt: „Das Gezerre um die Frage, ob er sofort nach München geht oder nicht, erreicht langsam ein erbärmliches Niveau. Und Klose, der sich mit der öffentlichen Bekundung seiner Wechselabsichten ohnehin deutlich von seinem Arbeitgeber distanziert hat, zeigt nun weitere Anzeichen von Entfremdung. Es sind mittlerweile so viele böse Worte gefallen, daß ein Verbleib in Bremen kaum mehr möglich scheint.“
Fürsorglich statt leistungsfreundlich
Oskar Beck (Stuttgarter Zeitung) hätte Mario Gomez statt Klose aufgestellt, läßt seinen Kommentar aber mit einem Augenzwinkern ausklingen: „Löw zieht seinen Pflegefall durch, ohne Wenn und Aber – auf dem schmalen Grat zwischen Für und Wider. Das Leistungsprinzip, geben die Kritiker kontra, kommt bei Löw im Moment zu kurz. Da war sein Vorgänger aus härterem Holz. Bei Klinsmann galt kein Treuebonus, sogar den verdienten Olli Kahn hat er in den Nervenkrieg und die Materialschlacht gegen Lehmann gejagt, auf der gnadenlosen Suche nach dem Stärkeren. Nähere Auskünfte zu Klinsmanns Stahlbad gibt gerne auch Kevin Kuranyi. Der ist heute noch dabei, sich von seiner verpaßten WM zu erholen – und unter dem humanen, fürsorglichen Aspekt kann Löw auch ihn jetzt nicht weglassen. Für die Ersatzbank bleibt also nur Gomez – der zurzeit vermutlich beste unter den Stürmern, der das Tor sogar blind mit der Hacke trifft. Für diese leistungsfeindliche, unerschütterliche Treue zu Klose ist der Bremer Trainer Schaaf unlängst bitter bestraft worden. Aber das war in der Bundesliga, nicht gegen San Marino – und vielleicht platzt der Klose-Knoten ja heute. In dem Fall nehmen wir dieses rigorose Bekenntnis zum Leistungsgedanken zurück – und behaupten fortan das Gegenteil.“
Löws Kunststück
Philipp Selldorf (SZ) läßt sein Fazit über ein Jahr Joachim Löw nicht von der Tagesaktualität trüben: „Typisch ist, daß in seiner Zeit der Verantwortung eine geradezu tibetanische Friedfertigkeit um die Nationalmannschaft eingekehrt ist. Während der streitbare Klinsmann im ständigen Kampf mit den Beharrungskräften in der Liga und im Verband einen Wechseltanz aus Fort- und Rückschritten praktizierte, hat Löw in seiner unaufdringlichen, ruhigen Art widerstandsfrei seiner Linie folgen können. Seine Höflichkeit und sein Charme haben ihm dabei geholfen – und natürlich die Tatsache, daß der Projektarbeiter Klinsmann seinem Mitstreiter und Nachfolger eine gute Arbeitsgrundlage hinterlassen hat. Löw hat dazu mit Selbstsicherheit und Gelassenheit die passende Atmosphäre geschaffen.“ Auch Lesch lenkt schließend den Blick anerkennend aufs Sportliche: „Tatsächlich hat Löw ein Kunststück geschafft: Er hat seine Mannschaft nach dem Rausch der WM in den Alltag geführt, ohne daß sie einen Kater bekommen hat. Die Mannschaft ist an ihm und mit ihm gewachsen, ihr Stil wirkt jetzt reifer, gelassener, stabiler als bei der WM. Der klarste Beleg für die positive Entwicklung der Mannschaft ist, daß sie – anders als bis zur WM – nun auch auswärts souverän auftritt und gewinnt. Sie ist nicht mehr auf die Euphorieschübe angewiesen, die ein Weltturnier im eigenen Land erzeugt. Sie kann auch mal unspektakulär spielen. Aber sie weiß immer, was sie will.“
FAZ-Portrait Mario Gomez
FR-Portrait Jan Kocian, Trainer der Slowakei
FAZ-Portrait Kocian