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Internationaler Fußball

Sieg dank großer Reserven

Oliver Fritsch | Dienstag, 19. Juni 2007 Kommentare deaktiviert für Sieg dank großer Reserven

Die Presse gratuliert Real Madrid zum Titelgewinn, erwartet von den „Königlichen“ jedoch mehr als Rennen und Kämpfen / Uneinige Urteile über den scheidenden David Beckham

Paul Ingendaay (FAZ) beschreibt die Meisterschaft Real Madrids als Lohn eines Kampfs: „Die spanische Liga endete auf der Note der letzten Monate: Kampf, Nervenflattern, Hochspannung bis fast zur neunzigsten Minute. Doch das Ergebnis bestätigt den Trend: Der FC Barcelona hat den Meistertitel aus Arroganz oder Langeweile verspielt, während Real Madrid ihn mit Gier, Leidenschaft und grauenhaftem Fußball an sich riß. Die Männer in Weiß glauben einfach an sich. Oder sie wissen immer, wo die Brechstange liegt. Seltsamerweise ist die innere Stärke umso größer, je mehr die spielerischen Mängel ins Auge springen. So ähnlich könnte sich 2004 der Europameister Griechenland gefühlt haben. Aus dem Bewußtsein, nicht die beste Mannschaft zu sein, erwachsen Löwenkräfte.“ Ralf Itzel (taz) ergänzt: „Erfolgreicher Fußball – das ist in Spanien eine durchaus neue Erkenntnis – muß nicht zwangsweise auf Feintechnik und tollen Kombinationen gründen.“

Georg Bucher (NZZ) fügt hinzu: „Es grenzt an Masochismus, wie die Madrilenen regelmäßig einem Rückstand nachlaufen, diesen drehen und Emotionen vermitteln. Mit solch opferbereiten ‚Arbeiter-Aristokraten‘ kann sich das Volk identifizieren, Ressentiments gegen willensschwache Mimosen gehören der Vergangenheit an. Während die Konkurrenz auf dem Zahnfleisch ging, zapfte Capello unbegrenzt scheinende Reserven an. Nicht spielerisch, sondern physisch und mental verdiente sich Real den 30. Landestitel. Anderen Einflüssen ist er ebenfalls geschuldet, namentlich dem Faktor Glück. (…) Letztlich muß sich Barça an der eigenen Nase nehmen. Wer einen Zehn-Punkte-Vorsprung verspielt, dem ist nicht mehr zu helfen.“

Josef Kelnberger (SZ) schreibt der Vereinsführung Realitätssinn ins Stammbuch: „Von Deutschland aus betrachtet ist in Madrid immer noch ein Ensemble von Hochkarätern am Werk, aus Real-Sicht aber kam der 30. Titelgewinn einem Wunder gleich. Zu bezweifeln ist, daß der Verein die Botschaft kapiert. Präsident Calderon kündigte an, ‚das große Real Madrid‘ kehre zurück, deshalb will er Kaká für 80 Millionen Euro aus Mailand holen; die Einkaufstour des FC Bayern nimmt sich vergleichsweise aus wie Aldi-Shopping. Doch auch dem besten Fußballer der Welt droht in Madrids Größenwahn der Untergang.“ Ingendaay weist auf den Reibungspunkt Trainer hin: „Niemand will den öden Capello-Stil sehen. Tatsächlich haben sich die Capello-Einkäufe – allen voran der italienische Weltfußballer Cannavaro und der Brasilianer Emerson – als Schwachpunkte der Saison herausgestellt. Auch daß David Beckham so stillos abgeschoben wurde, muß der Trainer verantworten. Der Brite geht als Held, weil er vorbildlich gekämpft und in der Schlußphase noch einige große Partien geliefert hat.“

Fußballdarsteller

Christian Eichler (FAZ) hat für David Beckham nicht viel übrig: „Beckham ist der Weltstar des Schnipsel-Fußballs, des kurzen, separierbaren und reproduzierbaren Ausschnitts des Spieles, den man Standardsituation nennt. So wurde er der passende Held für die reizüberfluteten, ungeduldigen Zapper-Hirne der modernen Mediennutzer-Generation. Deshalb ist er in Amerika perfekt aufgehoben, wo man kein Gespür für die leisen Schwingungen und Strömungen eines Spiels hat und deshalb mit Fußball bisher nichts anfangen konnte; wo man im Football und Baseball um zwei, drei sehenswerte Aktionen herum stundenlange Übertragungen bastelt – und wo man es versteht, aus ein, zwei bekannten Gesichtern und ein, zwei Gags einen ganzen Hollywood-Film zu drehen. All das ist wie gemacht für den Fußballdarsteller Beckham.“

Zu unrecht reduziert

Mathias Klappenbach (Tagesspiegel) bricht eine Lanze für Beckham: „Egal, ob ihn die Fans in England nach seiner Roten Karte bei der WM 1998 als Verantwortlichen für das Aus ächteten, ob ihm sein erzürnter Trainer Alex Ferguson bei Manchester United einen Schuh an den Kopf schoß, ob er aus der Nationalmannschaft geworfen wurde oder bei Real Madrid zu Jahresbeginn auf die Tribüne verbannt wurde: David Beckham ist jedes mal in die Gegenwart zurückgekommen. Und hat gezeigt, daß er nicht nur eine der weltweit bekanntesten Werbefiguren ist. Sondern ein Fußballer, der viel mehr kann als angeschnittene Freistöße und Flanken schlagen, worauf er oft zu unrecht reduziert wurde. Das alleine hätte niemals gereicht, um bei großen Klubs und im Nationalteam eine Führungsrolle einzunehmen. Nicht immer hat sich David Beckham hundertprozentig auf den Fußball konzentriert. Aber auch in Madrid hat er zum Ende noch einmal gezeigt, was er draufhat und sich eindrucksvoll bei denen verabschiedet, die ihn nicht mehr haben wollten.“

SZ: Der Titelgewinn kann Fabio Capello nicht mit der Vereinsführung versöhnen
NZZ-Portrait Capello

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FR: Alltägliche Jagdszenen – Schiedsrichter im Amateurfußball leben gefährlich

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