Bundesliga
Spitzenfußball, zelebriert
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| Montag, 20. August 2007Pressestimmen zum 2. Spieltag: Bayern München betört Freund und Feind, Bremen derzeit kein Konkurrent / Schalke besiegt Dortmund und einen Teil seiner Vergangenheit / Meister Stuttgart lässt sich von Berlin übertölpeln
Trotz des Münchner 4:0-Erfolgs in Bremen warnt Roland Zorn (FAZ) vor voreiligen Meisterschaftsprognosen – auch sich selber: „Die gute Nachricht für die Bundesliga vorweg: Der Spielbetrieb wird trotz der derzeit überdeutlichen Dominanz des Klassenprimus nicht eingestellt. Die schlechte Nachricht für die sogenannte Konkurrenz des FC Bayern München: Für sie könnte der Wettbewerb um die besseren Plätze erst von Rang 2 an beginnen. Die beste Nachricht für den Konsumenten: Ganz oben zelebriert eine Mannschaft Spitzenfußball, die ihre Freude am Spiel auslebt und ihren Rivalen en passant Angst und Schrecken einjagt. Und doch brauchen Ribérys Artistik, Tonis und Kloses Treffsicherheit oder Zé Robertos Organisationskunst dauerhafte Bestätigungsvermerke, will der FC Bayern aus dem Blickwinkel der Konkurrenz eines Tages tatsächlich, wie es Uli Hoeneß prophezeit hat, nur noch mit dem Fernglas zu sehen sein. Der Lauf des Fußballs ist nämlich oft derart irrational, dass auch den höchsten Favoriten Wochen des Malheurs widerfahren können. Da mögen sich die Bayern prophylaktisch beim FC Barcelona erkundigen. Die Katalanen schienen bis zum Endspurt um den Titel der Primera División allemal stärker und besser besetzt zu sein als Real Madrid – und wurden im Juni dann doch nicht Meister. Also nicht verzagen, ihr Schalker, Stuttgarter und sogar Bremer, obwohl Werder derzeit meilenweit von den eigenen Ansprüchen entfernt ist.“
Der Bayern-Sieg hat Freund und Feind bezaubert – Andreas Burkert (SZ) blickt in glückliche Gesichter: „Selten zuvor wohl haben die Münchner die gegnerische Gemarkung so aufgeräumt verlassen. Denn auch sie hatten gleich begriffen, dass ihnen soeben die ansehnlichste Leistung des FC Bayern seit einer kleinen Ewigkeit gelungen war. Nur deshalb wohl verzichtete Uli Hoeneß darauf, über Naldo zu schimpfen und wegen dessen Attacke ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof einzufordern. Diesmal trug er nach dem Abpfiff einfach ganz gelassen seine dicke Vereinsjacke über den Rasen und rätselte sicher, wieso er eigentlich an diesem schönen Samstag die Winterausrüstung dabei hatte. Mit dem Spiel mochte er sich nicht mehr öffentlich beschäftigen, er ließ es wirken. Vielleicht macht Geld doch glücklich, zumindest ein wenig; wenn man es so sinnvoll verwendet, wie dies aus Münchner Sicht geschehen ist. Denn ihre teure Zirkustruppe hat sogar unter Bremer Beobachtern vernehmbar eine erhöhte Produktion von 5-Hydroxytryptamin provoziert.“
Matti Lieske (Berliner Zeitung) macht den Bremern ein Kompliment, das sie aber wohl nicht trösten wird: „Angesichts der bisher in dieser Saison gebotenen Leistungen hatten viele Anhänger der Bremer damit gerechnet, dass es eine deftige Niederlage geben könnte, überraschend war allerdings, wie sie zustande kam. Zunächst bestimmten nämlich die Bremer das Spiel und setzten die Bayern so unter Druck, wie man es von früheren Heimpartien gegen diesen Gegner gewöhnt war. Das reichte jedoch nicht, um das Tor von Oliver Kahn ernsthaft zu bedrohen. Zunehmend drängte sich der Eindruck auf, dass es in Wirklichkeit doch kein Duell unter Gleichen war, sondern der typische Auftritt eines tapferen Außenseiters, der einem Spitzenteam zunächst Paroli bietet, seine Chancen jedoch nicht nutzt und schließlich die Fehler begeht, die dem Favoriten einen komfortablen Sieg ermöglichen.“
Ralf Wiegand (SZ) stellt die Umkehrung der Verhältnisse fest: „Fürs Erste hat Bremen, der ewige Stachel im Fleisch von Uli Hoeneß, sein Gift verloren. Fast schien es so, als habe er vor dem Spiel den Weg über den Rasen des Weserstadions genossen, wobei er ein Meer von Pfiffen und wüsten Beschimpfungen pflügte. Lächelte er? War es nicht genau dieser Neid, den er vermisste, als alle Welt das schöne Spiel von Werder Bremen rühmte und es jedermann ob der blutleeren Bayern-Elf nur fröstelte? Und nun? Knipsten Bremer Zuschauer mit ihren Digitalkamras Luca Toni, als der, ausgewechselt, zur Trainerbank stolzierte.“
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SZ-Interview mit Klaus Allofs über Miroslav Klose, Rafael van der Vaart und die neue Macht von Profis und Spielerberatern
Morbus Chelsea
Zum Schutze der Kleinen und der Nichtganzgroßen empfiehlt Christof Kneer (SZ) eine Fristenänderung der Transferregeln: „Erneut lernt der HSV jetzt die Nebenwirkungen stiller Deals kennen, denn im Grunde drängt van der Vaart einfach nur ein Jahr zu früh auf einen Wechsel – oder ein paar Wochen zu spät. Das Dramatische ist ja der neue Trend zum August-Transfer, der es den Listigen immer schwerer macht, ein Leben in der Nische zu führen. Wenn das Großkapital den mittelgroßen Klubs kurz vor Transferschluss das Herz herausreißt, zementiert das brutal die Wettbewerbslage im europäischen Fußball: Die Großen bleiben groß oder werden größer; die Nischen (wie Bremen oder Lyon) bluten aus. Der europäische Fußball ist an Morbus Chelsea erkrankt, Heilung kann nur von ganz oben kommen. Hilft eine Synchronisierung der Spielpläne in Europa? Helfen andere Öffnungszeiten der Transferfenster?“
Erik Eggers (Financial Times Deutschland) hat, zum Schaden des HSV-Sportdirektors, ein gutes Gedächtnis: „Die Argumente Dietmar Beiersdorfers dürften angesichts seiner eigenen Biografie an Gewicht verlieren. Er hatte als Profi einen vergleichbaren Ton wie nun van der Vaart angeschlagen. Als der 1. FC Köln ihn 1996 nicht zum italienischen Klub Reggina ziehen lassen wollte, hatte er sich so gewehrt: ‚Wenn ich gegen meinen Willen bleiben muss, bin ich nicht mehr motiviert. Das ist meine letzte Chance, nach Italien zu wechseln. Wenn sie (die Kölner) mir die verbauen, fange ich ein Studium an. Außerdem wissen sie ja, wie es um mein Knie bestellt ist. Wenn ich bleiben muss, bin ich ständig verletzt.‘ Das Resultat: Beiersdorfer ging gegen Zahlung einer Ablöse.“
Großer Wurf
Richard Leipold (FAZ) beschreibt das 4:1 gegen Dortmund als Teil 1 der Schalker Wiedergutmachung: „Die Schalker schicken sich an, die Zweifler zu überzeugen. Das Schalker Fußballsystem arbeitete zuverlässig und schnell – wie ein Rechner, der nach einem Neustart wieder all seine Funktionen abrufen kann; sogar die dem Personal weniger vertraute Variante des 4-4-2, die Trainer Mirko Slomka dieses Mal bevorzugte. Die mitreißende Vorstellung der Schalker versetzte manches in den Ausgangszustand zurück, der vor dem 12. Mai erreicht war. An dieses Datum erinnerte im Stadion nur noch ein Dortmunder Transparent, das die Borussen nicht beflügelte und die Schalker nicht störte. Mit einer im zweiten Teil auch künstlerisch wertvollen Leistung ohne Kunstpausen rückte die Heimelf einiges wieder gerade. Vollständig aufgearbeitet ist das Trauma wohl erst, wenn Schalke die Schale nicht mehr nur angucken darf, sondern auch anfassen.“
Philipp Selldorf (SZ) fügt Lob an: „Slomkas überraschende Systemvariation – zwei statt drei Stürmer, vier statt drei Mittelfeldspieler mit Rakitic als zentralem Impulsgeber – erwies sich als großer Wurf und als Versprechen darauf, dass Schalke im Sommer zwar einen Regisseur namens Lincoln verloren, aber einen ganzen Strauß spielerischer Möglichkeiten hinzugewonnen hat. Dass die Mannschaft aber in jedem Punktspiel eine Motivation wie am Samstag aufbringt, ist unwahrscheinlich.“
Demütigung
Freddie Röckenhaus (SZ) hört aus Thomas Dolls Worten nichts Hoffnungsstimmendes für Dortmund: „Der Tonfall, wenn auch nicht unbedingt die Inhalte, erinnert an Dolls Dauergezeter, das in der vergangenen Saison die erstaunlichen Niedergang des HSV begleitet hatte. In Hamburg allerdings konnte der Trainer seinerzeit auf eine rabiate Verkaufspolitik des Klubs und eine länger werdende Verletztenliste verweisen. In Dortmund dagegen suchen sie verzweifelt nach Gründen. Nach der Heimpleite gegen Duisburg konnten sich die BVB-Macher noch mit dem Allerweltsargument trösten, der Aufsteiger sei unterschätzt worden. Bei der Demütigung in Schalke machte sich dagegen der Eindruck breit, dass das ganze Konstrukt der neuen Mannschaft ein Missverständnis sein könnte. (…) Finanziell geht es dem BVB inzwischen wieder gut – in Sachen Fußball-Personal geht es dagegen schleichend bergab.“
Leichtsinnig geworden
Hans-Joachim Leyenberg (FAZ) ist nach dem 1:3 in Berlin enttäuscht darüber, dass sich der Meister Stuttgart von einem falschen Elfmeter aus der Bahn werfen lässt: „In Berlin, wo Geduld und Zuversicht nicht gerade zu den urtypischen Tugenden zählen, haben drei Punkte die Wirkung einer hochdosierten Beruhigungspille. Glückshormone, kombiniert mit ein wenig Alkohol, ließen manchen Fan schwärmen, als wäre der Triumph über den Titelverteidiger der erste Schritt auf dem Weg zur Meisterschale. Wer sich einen klaren Rückblick für den Gang der Ereignisse auf dem Rasen bewahrt hat, muss nüchtern feststellen, dass es ohne die Mogelei von Lucio kaum zur Wende in dieser Partie gekommen wäre. Bis dahin war sie von einer Einseitigkeit, die den VfB in seinem Gefühl bestärkt haben muss, dass man hier gar nicht verlieren könne. Aber dann verwandelte Chahed jenen Foulelfmeter, der aus dem Souverän VfB ein Team machte, das es fortan an allem fehlen ließ, was es zuvor ausgezeichnet hatte. Schmerzlich wurde der Meistersturm mit Gomez und Cacau vermisst, kamen ihre Stellvertreter Marica und Ewerthon nicht über hoffnungsvolle Ansätze hinaus, ließ sich Torhüter Schäfer von der grassierenden Verunsicherung anstecken. Auch des Bundestrainers Kandidat Tasci war keine Stütze in jener halben Stunde, als der Meister einknickte.“
Boris Herrmann (Berliner Zeitung) ergänzt: „Herthas Spiel der ersten 45 Minuten war eine Finte, und die Stuttgarter sind darauf reingefallen. Sie waren über weite Strecken so überlegen, dass sie leichtsinnig wurden.“