Bundesliga
Bayern zum ersten Mal in dieser Saison gefordert
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| Montag, 3. September 2007Pressestimmen zum 4. Spieltag: Erleichterung über die Verwundbarkeit der Münchner / Diego wiederholt starke Leistung / Torwartmesse in Schalke / Blumen für Lucien Favre, Disteln für Felix Magath / Leiden mit Rostock
Axel Kintzinger (Financial Times Deutschland) erkennt beim 1:1 in Hamburg die alten Werte der neuen Bayern: „Der HSV fügte sich zu keinem Moment in die ihm eigentlich zugedachte Opferrolle, rang den Münchnern in zähen Zweikämpfen erst jeden Meter und zuletzt ein Unentschieden ab. Die Bayern zeigten nicht ihr neues, offensiv- und kombinationsstarkes Gesicht, sondern die alte, hässliche Fratze des Ergebnisfußballs. Die Hamburger gingen deutlich aktiver ins Spiel als ihre Gegner. Sie waren häufiger in Ballbesitz, und es gelang ihnen, Franck Ribéry nahezu vollständig auszuschalten. (…) Nicht nur die gestrige Spielweise, sondern besonders Kloses Treffer erinnert an frühere Zeiten der Bayern: nicht viel tun, mehr Druck auf den Schiedsrichter ausüben als auf den Gegner – und dann dank eines ‚Lucky Punch‘ gewinnen.“
In der SZ lesen wir: Es war ein zweikampfintensives Spiel, aber böse Absichten waren zunächst keiner der beiden Parteien zu unterstellen. Dennoch hatte die Debatte das Spiel verändert: Pfiff Schiedsrichter Florian Meyer Freistoß für den FC Bayern, warf ihm das Publikum sofort eine Bevorzugung der Münchner vor – pfiff er für Hamburg, warfen sie ihm vor, dass er dem zuständigen Münchner Sünder nicht gleich Gelb zeigte.“
Auch Stefan Osterhaus (NZZ) weist auf die Begleitumstände des Spiels hin: „Auffällig gut war die Leistung des Schiedsrichters Meyer, der sich absolut unbeeindruckt vom Manöver Uli Hoeneß‘ zeigte. Der hatte gefordert, die Bayern-Stars unter Artenschutz zu stellen. Meyer aber ließ ein Spiel mit vielen Zweikämpfen zu, und so kam es, dass die Münchner erstmals in dieser Saison überhaupt gefordert wurden. Lediglich Bastian Schweinsteiger leistete sich ein Foul, für welches der Bayern-Manager gern hohe Strafen verhängt sehen würde. Aber beim eigenen Mann ist es natürlich was anderes.“
Mehr über dieses Spiel und den KSC-Sieg gegen Stuttgart am Dienstag
Das haben wir gerne: erst beschweren, dann treten und am Ende unschuldig die Hände heben – Schweinsteigers auffälligste Aktion in Hamburg. Was sagst Du jetzt, Hoeneß?
Gala
Wenn Diego spielt, so wie er es im Moment, auch wieder beim 2:1 gegen Frankfurt tut, schlägt Frank Heikes (FAZ) Herz schneller: „Es wird spannend sein, wie Diego mit dem neuen, dem eigentlichen Bremer Mittelfeld spielt, denn an der Seite der unscheinbaren Vranjes, Jensen und Baumann fällt seine Genialität noch mehr auf. Es war ein Gala-Auftritt Diegos, gewürzt mit viel Einsatz und Kampf, im Grunde die Verlängerung von Zagreb, nur ohne Elfmetertore. Der Frankfurter Spielmacher Streit schrumpfte neben Diego auf Kindergröße, obwohl er sich für einen Nationalspieler hält. Höhepunkt des Nachmittags war Diegos Zuspiel mit dem Rücken: eine Bundesliga-Premiere. Diego wird längst verehrt wie Klose in seinen besten Zeiten. Weinende Mädchen mit seinem Autogramm auf der Kappe, Handy-Fotos, Gekreische, ein Baby mit seiner Unterschrift auf dem Strampelanzug: der kurze Weg von der Kabine zum Auto dauerte zehn Minuten für Bremens Superstar.“
So was wie Diegos zauberhaften Rücken-Pass hat man in Deutschland noch nicht gesehen. Das Bremer Publikum goutiert es mit Bravo-Rufen.
Kommende Tor-Männer für die Nationalelf
Nach dem 1:1 gegen Leverkusen vermisst Richard Leipold (FAZ) Schalker Ertrag: „Während Bayer sich nach einem schwachen Start aufzurappeln beginnt, hat bei Schalke Stagnation eingesetzt. Der vermeintlich stärkste Konkurrent des FC Bayern München hatte sich mit einem Unentschieden in Stuttgart und einem überzeugenden Sieg über Dortmund eine gute Grundlage geschaffen, es aber versäumt, darauf etwas aufzubauen. Gegen Leverkusen kam schon zum dritten Mal in der noch jungen Saison in einem 1:1 zum Ausdruck, wie unentschieden die Mannschaft dem Projekt, die Bayern zu jagen, gegenübersteht. Einerseits sind die Schalker nach vier Runden noch ungeschlagen, andererseits fehlt es ihnen an Punkten, um als ernsthafter Herausforderer der Münchner zu gelten. Die ‚Königsblauen‘ spielen nicht etwa schlecht, sie schießen nur schlecht. Freistoß Pander, Kopfball Kuranyi, Tor – dieses probate Standardformat genügt nicht, um von der Stelle zu kommen, wenn alle anderen Vollstreckungsarten zum Scheitern verurteilt sind. Dieser Befund überschattet die positiven Signale, die der Vorjahreszweite auf dem Platz sendet. (…) Was Schalke als Bayernjäger wirklich wert ist, wird sich am nächsten Spieltag zeigen – in München.“
Auch Philipp Selldorf (SZ) zweifelt an der Durchschlagskraft Schalkes, stellt aber die gute Leistung des gegnerischen Torhüters in Rechnung: „Genügt Schalkes moderat ergänzter Kader dem Champions-League-Programm und dem Anspruch, Bayern München zu bedrohen? Westermann und Rodriguez konnten die Stammkräfte Bordon und Krstajic nicht auf deren Niveau ersetzen. In Gestalt von Spielern wie Özil, 18, oder Rakitic, 19, ist zwar viel produktive Begabung vorhanden, aber auch viel altersbedingte Unstetigkeit. Und das prinzipielle Problem mangelnder Effizienz – das Leitmotiv des Saisonstarts – steigert sich dadurch, dass im Angriff der spielende Mittelstürmer Kuranyi mehr oder weniger allein die Verantwortung fürs Toreschießen trägt. (…) Kleine Hoffnung: Wenn Schalke bei Bayern München den Anschluss herzustellen sucht, dann wird kein René Adler im Tor stehen, sondern nur ein Titan.“
Schalke gegen Leverkusen – für Daniel Theweleit (Berliner Zeitung) eine Torwartmesse: „Selten haben zwei sich gegenüber stehende Torhüter in der Bundesliga so selbstverständlich auch als Feldspieler agiert. Nicht nur in der Rolle des Bälle abfangenden Liberos hinter der Viererkette, sondern auch als versierte Spieleröffner. Dort im Mittelfeld, wo es oft um Zentimeter geht, hat diese Exaktheit mittlerweile eine enorme Bedeutung. Natürlich gelten René Adler und Manuel Neuer längst als die kommenden Männer für die Nationalmannschaft. Und was ihre internationale Zukunft betrifft, beginnt für die beiden gerade jetzt eine wichtige Phase. Denn nach der EM tritt Jens Lehmann zurück, dann wird die Torhüterhierarchie im deutschen Fußball neu geordnet, und wer sich jetzt die günstigste Position erarbeitet, der hat vielleicht sogar die Chance, Timo Hildebrand und Robert Enke bereits in einem Jahr zu überflügeln.“
Letzter Treffer für Mittelstürmer Hoeneß
Claudio Catuogno (SZ) lobt die kreative Ordnung des Berliner Trainers (und meint auch die fehlende dessen Gegenübers): „Lucien Favre wirkt zwar manchmal ein bisschen hilflos, weil vieles noch nicht ganz harmoniert im Spiel der Berliner. Aber gleichzeitig strahlt er mit seinen Anweisungen so viel Autorität und Sachverstand aus wie der Dirigent im Orchestergraben. Er liest das Spiel wie eine Partitur und entwickelt es simultan weiter. Wenn ein Hertha-Spieler gerade zufällig an der Trainerbank vorbeitrabt, hält ihm Favre gerne mal einen Block mit seinen neuesten Skizzen unter die Nase. Es hat wohl viel mit diesem neuen Trainer zu tun, dass sich Hertha BSC beim 2:1 so signifikant vom unterlegenen VfL Wolfsburg unterschied. Weil im Spiel der Berliner eine taktische Idee sichtbar und ein Plan erkennbar wurde, weil man die Handlungsanweisungen ahnte, die Favre wie ein Netz über seine Mannschaft zu ziehen versucht.“
Matthias Wolf (FAZ) hüstelt angesichts dessen, dass Dieter Hoeneß wieder das Wort Champions League in den Mund nimmt, und ärgert sich über Felix Magaths Aussagen nach dem Spiel: „Nanu! Bei Hertha gibt es wieder einen richtigen Strategieplan. Seit über einem Jahr haben sie keine offiziellen sportlichen Ziele mehr verkündet. Nun nehmen sie gleich die Königsklasse ins Visier. (..) Die zuletzt so graue Hertha schreibt wieder hübsche Geschichten. Vom VfL Wolfsburg kann man das nicht behaupten. Magath zeigte sich als schlechter Verlierer. Seine Ausführungen zum ideenlosen Spiel seiner Elf begann er damit, dass er auf den Hauptsponsor der Herthaner schimpfte – der Volkswagen-Werksklub war mit der Bahn angereist und hatte drei Stunden benötigt statt nur einer. ‚Man hat uns hin und her gefahren. Da kann ich meiner Mannschaft fast keinen Vorwurf machen, dass sie nicht ins Spiel gekommen ist.‘ Was der Trainer verschwieg: Weil sein Team schon am Vorabend angereist war, verkam die Ausrede zur Lachnummer. Peinlich auch, wie er dünnhäutig einen Fragesteller angriff, der nach seiner Zufriedenheit ob der hohen Transfer-Investitionen fragte. ‚Das ist dummes Zeug, was Sie hier erzählen.‘ Stattdessen wollte er für einige Transfers nicht die Verantwortung übernehmen und übte sich in Parolen. ‚Wir sind mit der neuen Mannschaft zufrieden und haben keine Unruhe oder Sorgen.‘ Glaubwürdig klang das nicht.“
Marcel Reif (Tagesspiegel am Sonntag) bemerkt zu den gegenläufigen Entwicklungen in Wolfsburg und Berlin: „Fangen wir mit den Wolfsburgern an. Dort haben sie offensichtlich endlich eingesehen, dass ihr bisheriges Bundesliga-Schaffen im Planungsstab von keinerlei sportlicher Kompetenz begleitet war. Da haben sie Felix Magath erst einmal mit VW und Audi überredet, dass Wolfsburg viel schöner ist als Real Madrid und ihn zum Felix Almighty gemacht. Das mutet ein bisschen mittelalterlich an mit einem Patriarchen, der über alles, bis runter zur Höhe des Rasenschnitts, das letzte Wort hat. Aber bitte, wenn’s der Wahrheitsfindung dient, bisher diente es nicht. Und Hertha? Da haben sie gerade das Modell der Alleinherrschaft aufgegeben, und siehe: Manager Dieter Almighty kann loslassen. Und dies auch mit einem erstaunlichen Ansatz: Wenn es heißt, dass man in der Mitte des Flusses die Pferde nicht wechseln sollte, dann muss man wohl sagen, dass Hertha sie dort erst bestiegen hat. So spät dürfte wohl noch nie ein nahezu kompletter Kader aufgestellt worden sein.“
Christof Kneer (SZ) kommentiert aus der Fußballhauptstadt den Fußball der politischen Hauptstadt: „In Berlin wird wieder über Fußball gesprochen, und das ist auch gut so. Viele Jahre steckte Hertha in der Berlin-Falle fest: Wie die Stadt, so wollte auch der Klub dringend etwas sein, er wusste nur nicht genau was. Erst wollte die Hertha wie die deutsche Einheit aussehen, worauf sie Profis aus Ostdeutschland (Rehmer, Wosz, Tretschok) kaufte. Dann wollte sie wie Brasilien aussehen, aber als Brasilien plötzlich aussah wie der schwer erziehbare Alex Alves, wollte Hertha doch lieber ein Charakterkopf sein – und als die Charakterköpfe Bobic und Kovac kleinlaut die Stadt verließen, sollte es der eigene Nachwuchs richten. Und die Trainer sollten immer Anzug tragen, sogar der arme Huub Stevens, der in seinem Blaumann aus Schalke kam. Sie haben alles durchprobiert in Berlin, nun probieren sie es zur Abwechslung mal mit Fußball. Im letzten Jahr hat das Land ja gelernt, wie wichtig die Besetzung der Trainerbank ist, und womöglich ist dem Mittelstürmer Hoeneß ein letzter Treffer gelungen. Sein neuer Trainer Favre moderiert freundlich wie Löw, reformiert knallhart wie Klinsmann – und einen Anzug trägt er auch noch.“
Ausgedünnte Fußballregion
Rostock und Cottbus am Ende der Tabelle – Michael Horeni (FAZ) findet nicht viel Blühendes im Fußballosten: „Glück lässt sich im Fußball kaufen, aber eben nicht von allen. Und so kommt das Profi-Prekariat des deutschen Fußballs auch nach bald siebzehn Jahren Einheit verlässlich aus dem Osten. Auch in der zweiten Liga gibt es für Erzgebirge Aue und Carl Zeiss Jena gegen eine Übermacht aus dem Westen auf lange Sicht keine ernsthafte Aufstiegsperspektive. Die ganze Kraft geht dafür drauf, wenigstens den zweitklassigen Status zu bewahren. Wie anregend wäre es da angesichts der zementierten Fußball-Teilung, wenn das ehrgeizigste Projekt im hochbezahlten deutschen Fußball derzeit nicht im Kraichgau auf den Weg gebracht würde, sondern, sagen wir mal, im Erzgebirge. In dieser Woche aber hat der Reißbrett-Zweitligaklub 1899 Hoffenheim des hochambitionierten SAP-Gründers Hopp vier ausländische Jungstars für sagenhafte zwanzig Millionen Euro verpflichtet. Das sind Dimensionen aus dem Silicon Valley des deutschen Fußballs, vor denen auf Dauer nicht nur Klubs aus dem Osten kapitulieren werden – aber diese ausgedünnte Fußballregion wird es härter als alle anderen treffen.“
Unlösbare Prüfung?
Arne Böcker (SZ) wertet das 0:1 gegen Dortmund als Rostocker Schritt nach vorne: „Zum Saisonstart fragte man sich in der Hansestadt, ob dem Aufstieg nicht doch ein Fehler im DFL-Computer zugrunde liegt. Verstärkung des Kaders? Manager Herbert Maronn durfte mit 500.000 Euro ungefähr den Betrag ausgeben, für den sie in Schalke mit Spielerberatern telefonieren. Euphorie ist in Mecklenburg ohnehin eine seltene Gefühlsregung, aber so nüchtern wie Hansa zog noch niemand in die Bundesliga ein. Die ersten drei Spiele bestätigten die Schwarzseher. In München, gegen Nürnberg und in Frankfurt hatte Hansa schon zur Halbzeit so gut wie verloren. Weil der Gegner vom Samstag, Borussia Dortmund, auch noch seinen Weg in die Saison sucht, schien alles auf einen langweiligen Nachmittag hinzudeuten. Doch 26.000 Zuschauer sahen ein gutes Bundesligaspiel. Zum ersten Mal in dieser Saison hievte sich Rostock auf Augenhöhe eines Gegners.“
Tobias Räther (FAZ) fügt hinzu: „Während die mit zwei Niederlagen in die Saison gestarteten Dortmunder nun beruhigter die nächsten Wochen angehen können, haben sich die Rostocker mit der vierten Niederlage nacheinander fürs Erste im Keller festgesetzt. Trotzdem herrscht an der Ostsee keine Krisenstimmung. Von den Rängen gab es kaum Pfiffe, vom Vorstand keine Worte der Beunruhigung, vom Trainer keine Kritik. Im Gegenteil. ‚Vom Auftreten her habe ich eine komplett andere Mannschaft gesehen‘, lobte der immer noch unumstrittene Trainer Frank Pagelsdorf die couragierte Vorstellung seiner Elf, die in den ersten drei Partien ziemlich stümperhaft und ängstlich aufgetreten war. (…) Die Rostocker haben gegen Dortmund lediglich bewiesen, dass sie inzwischen in der Bundesliga mithalten können; mehr nicht. Den Beweis, dass sie auch bestehen können, müssen sie erst noch erbringen.“ Timo Symanzik (taz) schließt pessimistisch: „Frank Pagelsdorf, der in Rostock nach zwei Aufstiegen in die Bundesliga als Messias verehrt wird, wirkt ratlos. Diesmal war zwar das Auftreten seiner Mannschaft deutlich engagierter – mehr aber auch nicht. Die Spielzeit für Rostock scheint zu einer unlösbaren Prüfung zu werden.“