Internationaler Fußball
Die zuvor laut klagende Fußballnation fühlt sich wieder kerngesund
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| Freitag, 14. September 2007Pressestimmen zum 3:0 Englands gegen Russland sowie zum schottischen Sieg in Frankreich und dem Faustkämpfer Scolari
Nach dem 3:0 gegen Russland – Christian Eichler (FAZ) erklärt uns Englands Mathematik und die Schwierigkeit, die auf seinen Trainer zukommen wird: „Eins plus eins ergibt manchmal null. Und manchmal mehr als zwei. Zumindest im Fußball, denn er hat seine eigenen Grundrechenarten. Warum? Weil manche Spieler einfach nicht miteinander können. Sie stehen sich im Weg, sie konkurrieren um dieselben Räume, Bälle, Wege. Dann gibt es wieder solche, die füreinander geschaffen scheinen wie Sherlock Holmes und Dr. Watson, wie Derrick und Harry; oder wie Michael Owen und Emile Heskey. Die Rückkehr des bulligen Heskey in den englischen Sturm war belächelt worden. Wie sollte der hölzerne Riese den dynamischen Wayne Rooney ersetzen? Doch er erwies sich als Glücksgriff des Trainers Steve McClaren. Heskey hat erst beim 3:0 gegen Israel, nun auch beim 3:0 gegen Russland dem fast abgeschriebenen Torjäger Owen neues Leben eingehaucht. Seine Präsenz und seine Kopfballverlängerungen öffneten dem alten neuen Partner die Wege, die er braucht. Gegen Israel schoss Owen ein Traumtor, gegen Russland traf er gleich zweimal. Das macht 40 Treffer in 85 Spielen für England – und 14 in 14, wenn er mit Heskey spielt. Schon fühlt sich die zuvor laut klagende Fußballnation wieder kerngesund. Dabei ist die englische Krankheit wohl kaum vollständig ausgestanden: Es ist die gegenseitige Allergie der Stars untereinander. Auf den Positionen, auf denen England einen Weltklassespieler hat, sind es meist gleich zwei; und fast immer stehen sie einander im Weg, statt sich zu ergänzen. Gerrard kann nicht mit Lampard, Owen nicht mit Rooney, und Beckham kann schon lange mit gar keinem mehr außer mit dem ruhenden Ball. Nun haben sich diese Probleme durch Verletzungen kurzfristig glänzend gelöst. Bald aber stellt sich schon wieder die Frage, wie McClaren demnächst das seltsame Dilemma lösen wird, wieder zu viele gesunde Stars zu haben.“
Eins und eins und noch eins: das macht drei – ist doch ganz einfach
Elitäre Attitüde
Eichler stellt beim 1:0 in Frankreich fest, dass sich Schottland von seiner Vergangenheit befreit hat: „Noch vor fünf Jahren, zu Beginn der Ära Vogts, schien man zum Fußball-Entwicklungsland geschrumpft. Damals wurden die Schotten unter ihrem ersten nicht-schottischen Nationaltrainer beim 0:5 in Frankreich vorgeführt. Nun haben sie binnen elf Monaten unter beiden Vogts-Nachfolgern die Franzosen besiegt: unter Walter Smith letzten Oktober, nun unter McLeish. Dabei hat sich das spielende Personal nicht groß geändert. Kein schottischer Profi kommt im internationalen Klubfußball über eine Nebenrolle hinaus. Doch als Team sind sie zur Macht geworden.“
Josef Kelnberger (SZ) zeigt auf die französischen Problemzonen: „Vielleicht hat die Stürmer-Generation mit Thierry Henry, David Trezeguet und Nicolas Anelka ihren Zenit überschritten. Domenech ist es jedenfalls nicht gelungen, ein effizientes Offensivspiel zu organisieren, wie das der deutsche Kollege Löw vormacht. Offensiv gibt sich der Coach nur in Interviews, oft zum eigenen Schaden. Nicht nur die elitäre Attitüde von Domenech und seinen Luxuskickern nervte die Schotten, sie wollten sich auch für das 0:5 revanchieren, das sie 2002 unter Berti Vogts kassiert hatten. Diese Schmach ist nun getilgt. Schon vor dem Spiel hatten die schottischen Anhänger die Gastgeber in Grund und Boden gesungen. Sogar die Marseillaise erklang mit schwerem, schottischem Akzent.“ Rod Ackermann (NZZ) macht ähnliche Defizite geltend: „Dass den Franzosen trotz erdrückender Feldüberlegenheit der erlösende Treffer nicht gelang, liegt indes nicht allein an der extrem defensiv ausgerichteten Spielanlage des Gegners, sondern – wie da und dort vermutet wird – auch an einer gewissen Dosis Selbstüberschätzung. Genau wie bei den Kollegen vom Rugby.“
Er tat es schon wieder, James McFadden – kommentiert mit einer schottischen Kartoffel im Maul
Das schwarze Schaf leuchtet
Nach dem 1:1 gegen Serbien – Tilo Wagner (FAZ) befasst sich mit dem Schläger Luiz Felipe Scolari, Trainer Portugals: „Die Gründe für Scolaris Ausbruch liegen tiefer als der Frust über eine unglückliche Schiedsrichterentscheidung. Zum zweiten Mal innerhalb von vier Tagen verspielte Portugal kurz vor Schluss einen sicher geglaubten Heimsieg gegen einen unmittelbaren Rivalen. Scolaris nicht immer faire Kampftugenden, die seine Mannschaft zuletzt bei der ‚Schlacht von Nürnberg‘ im WM-Achtelfinale 2006 gegen Holland eindrucksvoll unter Beweis gestellt hatte, sind ein Relikt aus einer scheinbar fernen Vergangenheit. Portugal spielt einen nervösen, unkontrollierten, zaghaften Fußball und kann auch nach vorne nur selten Akzente setzen.“
Georg Bucher (NZZ) geht in Deckung: „Portugal ist in der Uefa-Familie ein schwarzes Schaf, dessen Fell nun noch dunkler leuchtet. Portugiesische Junioren hatten an der U20-WM die Beherrschung verloren und dem Schiedsrichter, ehe er ihn hochhalten konnte, den Roten Karton aus der Hand gerissen. João Pinto hatte an der WM 2002 einen Referee in den Bauch geboxt, das unrühmliche Terzett Abel Xavier / Nuno Gomes / Paulo Bento war nach Tätlichkeiten im EM-Halbfinal 2000 monatelang gesperrt worden. Dass Serbien aus Offside-Position den Ausgleich erzielte und sein Referee-Intimfeind Markus Merk Scheuklappen vor den Augen hatte, mag Scolaris Nerven zerrissen haben, rechtfertigt den Blackout aber nicht.“
Tyson Scolari