Bundesliga
Wie lange reicht die Geduld in Stuttgart?
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| Montag, 8. Oktober 2007Pressestimmen zum 9. Spieltag: Der Deutsche Meister hinkt immer schlimmer / Komfortzone Karlsruhe / Hamburg hat Rafael van der Vaart längst vergeben / Neuer Realismus in Dortmund / Bremen in der Heilung
Roland Zorn (FAZ) rät dem Deutschen Meister, der gegen Hannover erneut verloren hat, Ruhe und Gelassenheit: „Mag sein, dass die Stuttgarter bei ihren Neuverpflichtungen kein besonders glückliches Händchen hatten; mag sein, dass den Spielern der harte ‚englische‘ Rhythmus zwischen Meisterschaft und Champions League zu schaffen macht; mag sein, dass sich auch Armin Veh hier und da schon mal falsch entschieden hat – wichtig für die Rückkehr zur alten Qualität wird die Wahrung der schwäbischen Zuverlässigkeit in der alltäglichen Arbeit sein. Wenn hier und da schon an den 1. FC Nürnberg erinnert wird, der 1968 Deutscher Meister wurde und 1969 abstieg, muss man sich beim VfB daran nicht stören. Die Stuttgarter sind letztlich aus einem anderen Holz als die Klubs, die am Ende der Saison zweitklassig sein werden. Dass sie nicht noch einmal so weit vorn landen würden wie im Mai, war sowieso absehbar. Bis auf die Bayern, für die das Wort Titelverteidigung selbstverständlicher Auftrag und keine ‚mission impossible‘ ist, hat es mit der Ausnahme von Borussia Dortmund 1996 kein anderer Klub in der jüngeren Vergangenheit geschafft, die Meisterschaft zu wiederholen. Nach gerade neun Spieltagen hat jedoch auch der VfB noch alle Chancen, zumindest in den Kreis der Teams vorzurücken, die für einen Uefa-Pokalplatz in der kommenden Spielzeit in Frage kommen.“
Von Oliver Trust (FAZ) erfahren wir über erste angebliche Zweifel in der Führungsetage, den Trainer betreffend: „Veh und Heldt sind in diesen Tagen auch als Gefangene der Umstände zu betrachten. Intern aber heißt es, die Klubführung warte seit langem auf eine Reaktion, die frische Tatkraft der sportlichen Leitung verrate. Veh jedoch stellte sich nach der Pleite gegen Hannover wieder demonstrativ vor seine Mannschaft. Der Trainer, so heißt es intern hier und da, lasse am Ende vielleicht vieles zu sehr laufen. Auf der anderen Seite taucht die Frage auf, wen Veh als ‚Signal‘ denn überhaupt opfern könne und ob sein ’sanfter Weg‘ nicht doch der richtige sei. Auf viel Geduld des Umfeldes – und sicher bald auch des Vorstandes – kann er nicht mehr bauen.“
Komfortzone
2:0-Sieg in Schalke, Tabellenplatz 2 – Thomas Kistner (SZ) beschreibt den geschützten Lebensraum, in dem das Pflänzchen Karlsruher SC von seinem Trainer gehegt und begossen wird: „Einer wie Edmund Becker muss nicht allabendlich an die Quartalszahlen für die Aktionäre denken. Er muss nicht überlegen, wie er sich durchs nächste Spiel schummelt – oder auf die nächstliegenden Boni und Prämien spekulieren. Einer wie Becker verkörpert den Klub, dem er seit Jugendzeit angehört, für den er als Profi selbst jahrelang im Mittelfeld aufräumte. Schaaf ist Bremen, Klopp ist Mainz, Finke war Freiburg – und Becker ist der KSC. Ein Biotoptrainer. Und in dieser Rolle auf dem Sprung, Vorgänger Winfried Schäfer abzulösen (der prompt scheiterte, als der Klub das hybrische Programm ‚KSC 2000′ ausrief). Biotoptrainer ist kein Job, sondern Berufung. Und weil der KSC (erst Regionalliga, dann Dauergast in der Zweitliga-Abstiegszone) seinem Trainer statt Geld freie Hand gibt, sind alle Ingredienzien für den Erfolg gegeben. Blanke Klubchefs zwingen einem keine Podolskis auf, weil das gut fürs Klubmarketing ist. Was sich aber aus der zähen Marktmasse mit zehn, fünfzehn Millionen zusammenkaufen lässt, findet ein fähiger Teamgestalter sowieso preiswerter abseits der großen Bühnen.“ Andreas Wagner (Welt) fügt hinzu: „Es ist die Geschlossenheit der Mannschaft, die den Erfolg möglich macht. Es gibt keine Stars, die hofiert werden. Auch finanziell werden die Spieler in etwa auf einem Level entlohnt, Neid und Missgunst gibt es kaum. Stattdessen lebt der Aufsteiger von der Euphorie in Stadt und Umland, sowie vom enormen Selbstbewusstsein.“
Richard Leipold (FAZ) pickt zwei Spieler heraus, an deren Entwicklung sich die belebende Kraft des Milieus Karlsruhe belegen lässt, über den Spielmacher schreibt er: „Tamas Hajnals Vita zeigt, dass auch ein scheinbar Gestrandeter aus dem Dunkel ins helle Licht rücken kann, wenn er zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Der Stratege kehrte so spielfreudig an seinen früheren Arbeitsplatz zurück, dass die Einheimischen sich nur die Augen rieben. Die Erfolgsserie der Westfalen beruht mehr auf Arbeit und Ausdauer als auf Zauberei. Für beides waren die Schalker drei Tage nach ihrem gewonnenen Auswärtsspiel gegen Rosenborg Trondheim zu müde. Ihre beste Leistung an diesem Tag bestand darin, das Arbeitsaufkommen der englischen Wochen nicht als Ausrede anzuführen (die vereinzelten Andeutungen des Trainers Slomka in diese Richtung dürfen angesichts der klaren Mehrheit vernachlässigt werden).“ Den zweifachen Torschützen beschreibt er so: „Christian Timm wirkt gelassen wie einer, der Hunderte von Bundesligaspielen absolviert hat. Aber es sind erst gut neunzig Partien, weil Timm sich bei (einst) großen Klubs wie Dortmund und Kaiserslautern nicht hat durchsetzen können und weil er zwischendurch in Köln von sich und anderen überschätzt wurde. Als Teenager war er mit den Dortmunder Gewinnern des Weltpokals auf Du und Du, aber das nützte ihm nichts. Timm stieg ab bis in die Provinz. Erst bei der zweitklassigen Spielvereinigung Greuther Fürth fand er in den vergangenen zweieinhalb Jahren die Komfortzone, die er offenbar braucht, um den Fußball zu genießen und wieder auf sich aufmerksam zu machen. (…) Mit dem Auftritt in Schalke hat Timm sich wieder einem breiten Publikum bekannt gemacht.“
Spanische Verirrung überwunden
Roland Zorn (FAZ) stellt beim 1:0 in Bielefeld fest, dass die Hamburger ihrem Liebling Rafael van der Vaart seinen Flirt mit Valencia längst verziehen haben: „Er ist nicht nur der spielerisch beste, torgefährlichste und professionellste Spieler im Kader des HSV, er ist auch längst wieder eine Galionsfigur des Vereins – geliebt von den Fans und geachtet bei den Kluboberen. Wie selbstverständlich und mit welcher rasch wieder aufgeflammten Freundlichkeit er seine jüngsten Erfolge feiert und kommentiert, verrät viel über die Qualität dieses stürmischen Stars, der in der glorreichen Geschichte des norddeutschen Klubs seiner spanischen Verirrung zum Trotz jetzt schon zu den ganz großen Spielern zu zählen ist. (…) Der HSV ist auf dem richtigen Weg, die Arminia muss erst wieder in die richtige Spur finden. Das 1:8 von Bremen spukte immer noch in den Köpfen mancher Spieler herum. Die Bielefelder wollen die zwei Wochen Ligapause zur endgültigen Rückkehr in die Normalität nutzen. Falls nicht, droht die fünfte Niederlage in Serie: Am 21. Oktober geht es zum Überraschungsaufsteiger des Jahres. Der Karlsruher SC ist Tabellenzweiter – das waren die Bielefelder vor ein paar Wochen auch schon mal. Lang, lang ist’s her.“
Auf dem Weg zu alter Stärke
Christian Kamp (FAZ) wertet das 3:1 in Duisburg als weiteren Schritt der Bremer Heilung: „Thomas Schaafs wichtigste Aufgabe ist es, die nach und nach gesundenden Stammspieler bei laufendem Betrieb wieder ins Team zu integrieren. Nach dem 1:3 gegen Piräus hatte Schaaf sich noch dem Vorwurf ausgesetzt gesehen, die Rückkehrer zu früh, und vor allem Frings zu lange eingesetzt zu haben. So begründet diese Kritik war – auf dem Weg zu alter Stärke helfen auch erfahrenen Akteuren nur Einsätze unter Wettkampfbedingungen. Es war deshalb konsequent, dass Schaaf in Duisburg neben Frings und Clemens Fritz auch Tim Borowski von Beginn an spielen ließ. Von den drei Nationalspielern hinterließ Kapitän Frings den bei weitem besten Eindruck. Nach seiner Kreuzbandverletzung ist er auf einem guten Weg, wieder die zentrale Figur im Bremer Spiel zu werden. Es war auffällig, wie sehr seine Kollegen ihn als Anspielstation im Mittelfeld suchten – weit mehr auch als Diego, der wie schon gegen Piräus etwas müde wirkte und sich allzu oft in kleinteiligen Aktionen verbrauchte. Den einen wie den anderen, den frisch genesenen wie den Dauerläufern der bisherigen Saison, soll die Bundesliga-Auszeit nun eine willkommene Abwechslung bieten.“
Im Mittelmaß angekommen
Beim 2:1 über Bochum staunt Richard Leipold (FAZ) über die Genügsamkeit der Dortmunder Fans: „Die Borussen fanden verlorengegangene Tugenden wie Fleiß und Mumm wieder und entschieden die Partie dank Federicos famoser Schusstechnik noch für sich. Die Basiswerte des Fußballs reichten, um das entwöhnte Dortmunder Publikum zu begeistern. In der Schlussphase bejubelten die BVB-Anhänger auf der Südtribüne fast jeden Ballkontakt, mit dem ihre Lieblingsmannschaft den Gegner vom eigenen Tor fernhielt. Fast hatte es den Anschein, sie hätten sich gut unterhalten gefühlt von einem Kick ohne Finten und Finessen.“ Freddie Röckenhaus (SZ) schließt sich dem Realismus des BVB-Anhangs an und spöttelt über den Medienboykott der Spieler: „Die gesamte zentrale Achse des BVB, mit der schwachen Innenverteidigung, der wacklig besetzen 6 im defensiven Mittelfeld und dem praktisch nicht vorhandenen Spielmacher hinter den Spitzen scheint höchstens durchschnittlich besetzt zu sein. Dortmund ist nach drei Jahren Rück- und Umbau des Kaders offenbar im Mittelmaß angekommen. So ganz will das niemand wahrhaben. Aber die Ahnung davon hat inzwischen auch die treuesten Fans ergriffen. Man freut sich in Dortmund inzwischen auch wieder riesig über die Siege gegen potentielle Abstiegskandidaten wie den VfL Bochum. (…) Dass das Reden über die eigenen dürftigen sportlichen Darbietungen für Wörns und Kollegen offenbar eine größere Strapaze ist, als die Reise nach München zum feuchtfröhlichen Oktoberfest, gehört wohl zur neuen Lässigkeit, die sich in Dortmund breitgemacht hat. Und gegen die selbst der Chefetage der Dortmunder scheinbar nur die Faust in der Tasche als Reaktion bleibt.“