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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Deutsche Elf

Müssen sich die anderen vor Deutschland fürchten oder muss sich Deutschland vor den anderen fürchten?

Oliver Fritsch | Freitag, 19. Oktober 2007 Kommentare deaktiviert für Müssen sich die anderen vor Deutschland fürchten oder muss sich Deutschland vor den anderen fürchten?

Die deutsche Presse schluckt nach dem 0:3 gegen Tschechien dreimal tief, zeigt aber auch Verständnis und Fähigkeit zur Milde / Enttäuschung über Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski / Kritik am pfeifenden Münchner Publikum

Christof Kneer (SZ) misst die Amplituden der deutschen Elf: „Müssen die anderen Nationen fürchten, mit Deutschland in eine Gruppe zu kommen, oder muss sich Deutschland vor den anderen fürchten? Angst haben müssten wohl jene Deutschen, die den Tschechen in München 0:3 unterlagen – Angst verbreiten würde dagegen jene DFB-Elf, die in Prag 2:1 siegte. Irgendwo zwischen diesen beiden Spielen liegt das wahre Niveau des deutschen Fußballs, und es darf als Verdienst des Bundestrainers Löw gelten, dass er die Obergrenze neu definiert hat. Er hat die Gruppendynamik in seiner Mannschaft optimiert, er hat ihr beigebracht, wie man gemeinschaftlich organisierten Fußball spielt. Er hat seine Gruppe souverän ins Euroland geführt, aber er weiß genau, dass seine Elf dort ein Problem bekommt, wo die Gruppe endet. Der deutsche Fußball hat weiterhin Schwierigkeiten, individuelle Lösungen zu finden, er hat zu wenige von diesen Einzelkönnern, die auf Höchstniveau den Unterschied ausmachen.“

Marko Schumacher (Stuttgarter Zeitung) schreibt baff: „Es war ein schwarzer Abend, den die deutsche Nationalmannschaft erleben musste. Nach den Monaten des Höhenflugs hat sie eine derart heftige Bruchlandung hingelegt, wie man sie sich von diesem Team gar nicht mehr vorstellen konnte. Erstmals in der Amtszeit Löws enttäuschte die Mannschaft auf der ganzen Linie, erstmals bekam sie schonungslos und 90 Minuten lang ihre Grenzen gezeigt.“ Das Resümee Michael Horenis (FAZ) enthält nur einen Plusfaktor: die gesunkene Fallhöhe: „An einem Tag, an dem nicht nur der Bundestrainer alle Qualitäten vermisste, die die deutsche Mannschaft in den letzten Monaten ausgezeichnet hatten, wurde jede ihrer Schwächen umgehend bestraft. Einen einzigen ganz konkreten Vorteil konnte Löw der trostlosen deutschen Vorstellung gleichwohl abringen: Die öffentliche Favoritenrolle sind die Deutschen erst einmal los.“ Ludger Schulze (SZ) stellt die guten Vorleistungen in Rechnung: „Die zweite Niederlage in sechzehn Spielen unter Löw war ein ernüchternder Rückschritt, aber letztlich nicht mehr als das Sechzehntel einer erfolgreichen Zeit.“

Andreas Lesch (Berliner Zeitung) nennt Ursachen, zieht Lehren: „Das Ergebnis kam nicht völlig überraschend, es hatte Gründe: Die deutschen Fußballer, die sich vier Tage zuvor die EM-Qualifikation gesichert hatten, litten nun unter einem Spannungsabfall – eine menschliche Reaktion. Sie trafen auf ein tschechisches Team, das den Ehrgeiz hatte, sich für das 1:2 im März zu revanchieren. Sie mussten in Michael Ballack, Philipp Lahm, Miroslav Klose, Bernd Schneider und Jens Lehmann ohne fünf Figuren auskommen, die ihrem Spiel sonst Halt, Struktur und Richtung geben. (…) Löw muss seine Strategie nicht in Frage stellen. Aber er weiß nun, dass das Leistungsgefälle in seinem Aufgebot größer ist als gedacht, und dass sein Team bei der EM nur in Bestbesetzung bestehen kann. Dort ist Tschechien nicht der stärkste Gegner.“

Das zweite und dritte Tor der Tschechen

Die Kinderstars müssen jetzt lernen, richtig Fußball zu spielen

Kneer erinnert Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski daran, welche Hoffnung sie geweckt haben – und welche Ernüchterung sich nun breitmacht: „Vor einem Jahr wollten schätzungsweise 104 Prozent aller befragten Kinder später mal Schweinsteiger werden, und für den Fall, dass was dazwischenkommen sollte, gaben zirka 107 Prozent Podolski als Ersatzberuf an. Inzwischen ist es nicht mehr leicht, Lukas Podolski zu sein, und wer allein dieses Länderspiel zum Anlass nimmt, würde im Zweifel sogar lieber Arne Friedrich sein. Die einstigen Sommerhelden sind angekommen im deutschen Herbst, und ob es für die beiden noch mal Frühling wird, war noch nie so ungewiss wie heute. Es ist noch nicht lange her, da ging das Land davon aus, dass Schweini & Poldi einmal so gut werden könnten, dass sie von sich aus eine deutsche Mannschaftsleistung prägen. Wer die beiden zuletzt verfolgt hat, wird das für ein Missverständnis halten. Schweinsteiger, 23, und Podolski, 22, sind keine Versprechen mehr, sie müssen jetzt etwas halten. Im Grunde müssen die Kinderstars jetzt lernen, richtig Fußball zu spielen – wenn sie auf derselben Bühne wie die Erwachsenen auftreten wollen, müssen sie ihre Mittel schärfen, ihr Repertoire erweitern, und dazu müssen sie vor allem: spielen.“

Operettenpublikum

Thomas Kilchenstein (FR) nimmt die Mannschaften vor den pfeifenden Fans in Schutz: „Diese personell geschwächte deutsche Mannschaft hat es schlicht nicht verdient, derart ausgebuht zu werden. Es war der erste kleinere Rückschlag nach eineinhalb Jahren, in denen sie durchweg ihr Publikum verzückt hatte. Es war erschütternd zu hören, wie wenig Kredit die Zuschauer Löw und seiner Mannschaft gaben. Die Pfiffe waren peinlicher als das Spiel auf dem Rasen.“

Lesch schreibt den Zuschauern hinter die Ohren: „Die Reaktionen des Publikums zeigen: Die Zuschauer müssen erst noch lernen, dass Löws Mannschaft verletzlich ist. Sie haben das Team nach den Triumphen der vergangenen Monate offenbar als Gute-Laune-Maschine betrachtet, die man mit Eintrittsgeld füttert und die dafür einen Abend voller Tore, Tricks und Tralala herstellt. Sie verstehen ihre Platzkarte als Garantieschein für 90 Minuten perfekter Unterhaltung; jedes Heimspiel hat gefälligst eine kleine WM 2006 zu sein. Die Pfiffe von München haben genügt, um alle Reden Oliver Bierhoffs vom angeblich so fantastischen Zusammenhalt zwischen Fans und Team als PR-Geschwätz zu entlarven. Die Zuschauer, die sich ein Länderspiel anschauen, unterscheiden sich großenteils von den Fans eines Bundesligaklubs. Sie begleiten die Mannschaft nicht kontinuierlich, sondern punktuell. Und einige sind offenbar nicht bereit, eine schwache Leistung in einen Zusammenhang einzuordnen, die Leistungen der Vergangenheit zu würdigen und Verständnis für einen Blackout aufzubringen.“

Stefan Osterhaus (NZZ) verweist (sonst hätten wir es tun müssen) auf den Austragungsort: „Die Münchner Anhängerschaft, die sich in der komfortablen Arena binnen zweier Spielzeiten den Ruf eines Operettenpublikums hart erstritten hat, quittierte das mangelnde Engagement gewöhnlich rasch mit Pfiffen. Die lautstarke Ermahnung änderte nicht viel am Spielgeschehen, das die Tschechen dauerhaft im Vorteil sah. Und vielleicht war diesen hochgelobten Deutschen, die einen Ausfall nach dem anderen mit an Nonchalance grenzender Selbstverständlichkeit absorbierten, der Gedanke einfach zu abwegig, überhaupt verlieren zu können, so gut war es seit der WM gelaufen. Im Grunde war es ja in den letzten Jahren für die Deutschen vor allem darum gegangen, die anderen davon zu überzeugen, dass auch sie noch Fußball spielen können. Es war immerhin ein Rückschlag ohne Konsequenzen, der eine rechtzeitige Korrektur ermöglicht.“

So viel Kritik an den Fans?! Das scheint mir neu. Hat mein Appell gefruchtet?

Das erste Tor der Tschechen

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