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Bundesliga

Der Titelgewinn hat die Frühreifen satter als erlaubt gemacht

Oliver Fritsch | Montag, 22. Oktober 2007 Kommentare deaktiviert für Der Titelgewinn hat die Frühreifen satter als erlaubt gemacht

Der 11. Bundesliga-Spieltag im Spiegel der Presse: Aus dem Meister Stuttgart ist ein Abstiegskandidat geworden; Bayern gewinnt auch schwache Spiele, wie nun in Bochum; mit Werder Bremen ist wieder zu rechnen; Manuel Neuer fügt der Verwirrung um Deutschlands Torhüter einen Mosaikstein hinzu; Endzeitstimmung in Cottbus

Daniel Theweleit (Spiegel Online) prophezeit dem VfB Stuttgart eine weitere Abwärtsbewegung und eine harte Landung: „Es ist ein Absturz von sagenhafter Dimension, den der Deutsche Meister in dieser zweiten Jahreshälfte erlebt. Schlimmer als der Blick auf die Tabelle ist eine böse Ahnung, die über Stuttgart liegt: Es ist noch längst nicht vorbei. Niemand weiß, wie der Fall zu bremsen ist. Das eigentliche Gesicht dieser Stuttgarter Mannschaft kennen wir nicht. Voriges Jahr zeigte sich ein übermütiges Glückskind. Nun präsentiert sich ein überforderter Schuljunge mit Problemen, für die er wenig kann. So einem Team traut man einen überraschenden Abstieg ebenso zu wie einen Meistertitel, den niemand erwartet hatte.“

Christof Kneer (SZ) kommt der Vergleich mit den ehemaligen Meistern und Meisterkandidaten Kaiserslautern, Dortmund, Leverkusen und Hamburg in den Sinn: „Jeder dieser Abstürze hat seine eigenen Geschichten, aber das Grundthema bleibt immer gleich: Es geht um die plötzliche Überforderung eines Standorts beim Versuch, den Erfolg dauerhaft nutzbar zu machen. In Stuttgart haben sie diesen Versuch seriös geplant, und doch kann man förmlich dabei zusehen, wie im Kader immer mehr die Statik verrutscht. In seltener Vollständigkeit sind in Stuttgart all die kleinen, banalen Gemeinheiten nachweisbar, die einem in der Summe teuer zu stehen kommen: meisterlich motivierte Gegner, Doppelbelastung, verlockende Auslandsangebote, Eifersüchteleien und Gehaltsdebatten in einem neu zu mischenden Kader – und eine Verletzungsepidemie, die Spieler wie Hilbert, Gomez oder Tasci aufs Feld humpeln lässt, weil sich im Kader keine gesünderen mehr finden. Der FC Bayern kennt all diese Gemeinheiten seit dreißig Jahren, er muss also keine Angst haben, wenn er die Schale im Mai gebraucht zurückbekommt.“

Roland Zorn (FAZ) setzt Trainer Armin Veh unter Druck: „Aus dem jugendlichen Elan des Vereins für Bewegungsspiele ist ein naives Anfängerverhalten geworden; die routinierten Anführer Meira und Pardo sind zu Nervenbündeln mutiert, die unter Druck schon mal Rot sehen; schließlich ist bei den am Rande der Abstiegszone balancierenden Stuttgartern kein System, keine Linie, keine Handschrift mehr im längst verlorenen Spiel zu sehen. (…) Der Erobererschwung der Entdeckergeneration ist hin. Der Titelgewinn hat die Frühreifen satter als erlaubt gemacht. Für Veh wird es höchste Zeit, Lösungen mit Gewinn zu finden. Sein Meisterbonus, so viel scheint sicher, ist seit Samstag aufgebraucht.“

Zur Stimmung in Stuttgart und zur Arbeitsatmosphäre Vehs schreibt Frank Heike (FAZ): „Solche Spiele passieren nur Mannschaften, die schon tief in der Abwärtsspirale stecken und kaum wissen, wie sie wieder herauskommen sollen. In Hamburg hat man das noch lebhaft in Erinnerung. Dass es zum schlechten Ende kein Debakel für den Titelträger wurde, lag mehr an Nachlässigkeiten des HSV im zweiten Durchgang. Aber eine Niederlage mit vier Gegentoren reichte auch so, um die Alarmglocken in Stuttgart schrillen zu lassen: Es sind schon zehn Punkte zu Platz 3, nur einer zum 16. Rang. ‚Von einem Deutschen Meister erwartet man mehr als Abstiegskampf‘, sagte Torwart Raphael Schäfer nüchtern. Und damit hatte er in unaufgeregten Worten die Haltung der Herren Staudt und Hundt wiedergegeben. Der Präsident und der Vorsitzende des Aufsichtsrates sind äußerst besorgt über diesen Saisonstart, und aus Stuttgart war zu hören, dass es bei einer weiteren Niederlage schon eng werden könnte für den am Samstag angenehm sachlich-ruhigen Meistertrainer Veh. Es ist bekannt, dass Hundt nie ein Freund Vehs war und es derzeit weniger denn je ist. Noch kann der Coach des Überraschungsmeisters aber vom Meisterbonus zehren und vergleichsweise ruhig arbeiten. Alles andere wäre einen Tag vor dem Spiel gegen Olympique Lyon auch ein Aberwitz.“

Die Stuttgarter machen zurzeit ihren Gegnern das Toreschießen zu leicht. In dieser Szene bückt sich Torwart Schäfer nach ner Schnecke – zack, ist sie weg!

Unterwerfung

Richard Leipold (FAZ) schildert, wie knapp die Bayern in Bochum gewonnen haben: „Wenn Bayern gegen Bochum spielt, ist der Unterschied oft groß, manchmal auch klein, und am Ende gewinnen zumeist die Bayern. Beim jüngsten Treffen war der Unterschied kleiner, als die Tabelle oder gar die Wirtschaftskraft hätten vermuten lassen. Das 2:1 gegen den VfL bot den Münchnern keinen Grund, stolz zu sein auf ihre Leistung, die in summa gerade genügte, um die lieben Kleinen aus Bochum in die Schranken zu weisen. Der Unterschied, der den Ausschlag gab, war klein und groß zugleich: Er hieß Franck Ribéry. Der einen Meter siebzig messende Franzose ragte als spielerische Größe aus dem durchschnittlich kickenden Ensemble der Bayern heraus. Anders als seine nur vereinzelt überzeugenden Kollegen legte Ribéry keine Kunstpausen ein. Sein explosives Gemisch aus Schnelligkeit und Ballgefühl erzeugte eine Kraft, der das gut organisierte Bochumer Bollwerk letztlich nicht standhielt. Bei beiden Toren profitierte der Tabellenführer von schweren (Doppel-)Fehlern des VfL. Vor dem Ausgleich ließ sich Verteidiger Marc Pfertzel von Miroslav Klose im eigenen Strafraum den Ball abjagen, ehe Ribéry den unsicheren Torwart Jan Lastuvka mit der Hacke übertölpelte. Das Siegtor des eingewechselten Bastian Schweinsteiger dürfte die Bochumer Torwartfrage lauter werden lassen, die hinter vorgehaltener Hand schon seit längerem gestellt wird. Bevor Lastuvka sich als Therapeut des zuletzt niedergeschlagenen Nationalspielers Schweinsteiger auszeichnen konnte, hatte sich Pfertzel auf dem Flügel von Ribéry austricksen lassen.“

Philipp Selldorf (SZ) hingegen nimmt den jüngsten Sieg als weiteres Indiz für die Unbezwingbarkeit der Münchner: „Wer wird es noch schaffen, nicht gegen die Bayern zu verlieren? In der Betrachtung des neuen FC Bayern ist eine gewisse Apathie eingetreten im deutschen Profifußball, und eine Unterwerfung bahnt sich an, wie sie die Völker im Römischen Reich erfahren haben.“

Die Bayern des kleinen Mannes

Zorn belegt die Dominanz der Bremer im Spiel gegen Berlin: „Hätte Werder gegen die Hertha ein wenig mehr Biss gezeigt, die Berliner wären nicht mit einer 2:3-Niederlage davongekommen. 15:5 pro Grün-Weiß lautete schließlich die Torchancendifferenz, und damit war einiges über die einseitigen Verhältnisse auf dem Platz gesagt. Dass es schließlich nur dem Ergebnis nach knapp für Werder ausging, zeugte auch von kleineren Versäumnissen und einem großzügigen Hang zum Verschwenderischen. Werder Bremen ist neben den Münchnern zumindest die einzige Mannschaft, die ein Spiel jederzeit offensiv gestalten und bestimmen kann. (…) Werder, in den letzten fünf Begegnungen nicht mehr besiegt, und die Hertha, vier Mal nacheinander ohne vollen Erfolg, trennen derzeit fußballerisch Welten. Die einen finden zurück zu ihrem Spitzenniveau, die anderen, angeleitet von Lucien Favre, einem manchmal allzu tüfteligen Taktikbastler, suchen weiter nach ihrer besten Formation (Hertha veränderte und verschlechterte sein System während des Spiels von einem 3-3-3-1 zum 4-4-2) und Form.“

Ralf Wiegand (SZ) rechnet wieder mit Werder Bremen und macht ein zweischneidiges Lob: „Die Bremer sind, wenn man so will, die Bayern des kleinen Mannes. Gerade noch von Krise redend und mit acht, neun Verletzten geschlagen, steht die ständig umformierte Mannschaft plötzlich auf Platz 2. Sie hat, obwohl die K-und-K-Stars Klose und Klasnic entweder für die Konkurrenz kicken oder – nierentransplaniert – um die Fortsetzung der Karriere kämpfen, den zweitbesten Sturm der Liga. Zumindest die Heimspiele geraten wieder regelmäßig zum Spektakel, beim 8:1 gegen Bielefeld über neunzig Minuten oder, wie gegen Berlin, nach einer ersten Hälfte von solider Langeweile wenigstens nach dem Wechsel. Gelegentlich gelingen den Bremern sogar ribéryeske Einlagen wie diese Pirouette von Diego, mit der er sich wie ein Holzwurm in die Abwehr der Berliner hineindrehte. Der Gedanke muss erlaubt sein, wo die Bremer stünden, hätten sie jene Elf früher beisammen gehabt, die sich nun abzeichnet.“

Hass

Matthias Wolf (FAZ) malt Cottbus in dunklen Farbtönen: „Mittlerweile rechnet man wohl selbst mit dem Schlimmsten: Dass sich das Kapitel Bundesliga bereits früh erledigt haben könnte. Zumal das 1:2 gegen den MSV Duisburg zeigte, dass so mancher Spieler nicht lernfähig scheint. Weder taktisch, noch was die Grundregeln des Sports angeht. Vragel da Silva, mehrfach nach Tätlichkeiten hinter dem Rücken des Schiedsrichters bestrafter Verteidiger, wurde wieder einmal zum Rambo: Er rammte brutal Markus Daun den Ellbogen ins Gesicht. Da Silva, gerade erst nach monatelanger Zwangspause aufgrund eines Sportgerichtsurteils ins Team zurückgekehrt, droht schon die nächste Sperre. Der Cottbuser Frust hat viele Gesichter. Das Stadion der Freundschaft war schon fast leer, als die Situation doch noch zu eskalieren drohte. Eine Handvoll so genannter Fans stand hinter dem Zaun und sang Schmählieder auf Tomislav Piplica. In diesem Moment kam der Torhüter aus der Kabine, er bahnte sich wieder einmal wortlos seinen Weg durch die Journalistenschar. Mit den Fans aber wollte er diskutieren, was durchaus für ihn spricht. Doch es blieb beim Versuch. Dem dienstältesten Profi in der Lausitz schlug in diesem Moment der blanke Hass entgegen. Er wandte sich kopfschüttelnd ab und stieg in sein Auto.“

Ribéry aus Australien

Erleichternd, dass noch einem anderen auffällt, dass es an diesem Spieltag ein spektakuläreres Tor als Ribérys Roller zu bestaunen gegeben hat – Volk ohne Raumdeckung schnalzt beim letzten Nürnberger Tor mit der Zunge: „Ein echt fieses Sahnehäubchen war der Hackentrick zum 5:1 von Joshua Kennedy, dem dafür zu danken ist. Ribéry erzielte in Bochum ein ähnliches Tor, und wäre Kennedy nicht gewesen, müsste man sich jetzt wieder eine Woche das Geseiere vom Jahrhunderttor anhören. Schön, dass das ein Australier auch kann, der nicht 25 Millionen Euros gekostet hat.“

Olli Kahn muss zurück ins deutsche Tor

Marko Schumacher (Stuttgarter Zeitung) nimmt den Fehler des Schalker Keepers Manuel Neuer beim 1:1 in Rostock zum Anlass, über die Verwirrung zu sinnieren, in die uns deutsche Tormänner derzeit versetzen: „Jetzt patzt also auch noch der große Hoffnungsträger unter unseren Schlussmännern und ist damit in bester Gesellschaft. Markus Pröll mit Frankfurt, Raphael Schäfer mit dem VfB – selten hat man deutsche Torleute so formvollendet durch ihre Strafräume irren sehen wie an diesem Samstag. Als wäre die Situation nicht angespannt genug! Torhüter aus Deutschland – das galt früher als Qualitätsmerkmal, in einem Atemzug genannt mit Whisky aus Schottland oder Knäckebrot aus Schweden. Und heute? Sitzt Jens Lehmann, die deutsche Nummer 1, bei Arsenal ebenso auf der Bank wie in Valencia Timo Hildebrand, die deutsche Nummer 2, der sich nach der Rückkehr von der Nationalmannschaft in der Reservistenrolle wiederfand. Beide wurden sie verdrängt von Kollegen aus Spanien, deren Torhüter früher immer im gleichen Ruf standen wie Bier aus den USA. Nichts ist mehr so, wie es einmal war. (…) Wie ernst die Lage ist, zeigt auch die Tatsache, dass sich Uli Hoeneß zu Wort gemeldet hat und es ‚total ungerecht‘ findet, über Lehmanns Zukunft im deutschen Tor zu diskutieren. Hoeneß lobt Lehmann – so weit ist es gekommen. Die Lage ist verfahren, es gibt nur eine Lösung: Olli Kahn muss zurück ins deutsche Tor. Dann wird alles wieder gut.“

BLZ: Worte wie Peitschenhiebe – Neuer gerät in die Kritik

Schlechtes Bild

Ingo Durstewitz (FR) rügt das anhaltende Schweigen der Dortmunder Spieler: „Der stille Protest weist in die falsche Richtung. Die Bundesliga ist längst zu einem millionenschweren Unterhaltungsprodukt mutiert, einem glamourösen Zirkus, und es sind gerade die Medien (vor allem das Fernsehen), die mit Verve an diesem Rad drehen und für Spielergehälter in siebenstelligen Euro-Bereichen sorgen. Die Herren Fußballer sollten sich dieser Wechselwirkung bewusst sein. Der Boykott wirft überdies ein schlechtes Bild auf die Dortmunder Vereinsführung, die von ihren kickenden Angestellten einen professionellen Umgang mit den Berichterstattern einfordern müsste. Aber die Oberen haben schon genug Probleme – miteinander.“

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