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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Am Grünen Tisch

Die Arroganz der Macht

Oliver Fritsch | Mittwoch, 31. Oktober 2007 Kommentare deaktiviert für Die Arroganz der Macht

Der Fifa-Kongress in Zürich spricht mit großen Tönen Brasilien die WM 2014 zu – doch in heiklen Dingen schweigen die Herren

Andreas Lesch (Berliner Zeitung) geht den Politikern nicht auf den Leim, die Brasilien Prosperität durch die WM voraussagen: „Ein Großereignis nutzt nur manchen Menschen: Es hilft Politikern, die die erfolgreiche Bewerbung als Argument für ihre Wiederwahl verkaufen; es erfreut Firmen, die Stadien und Straßen bauen; es sichert Funktionären Ämter und Pöstchen. Wahr ist auch: Die Öffentlichkeit hat bisher bei den meisten Großereignissen draufgezahlt; nie ist eine WM am Ende so billig gewesen, wie die Politiker am Anfang behauptet haben. Die Kosten, die ein Turnier zusätzlich verursacht, werden, wenn das letzte Spiel gespielt ist, dann gern unter den Tisch gekehrt. Die Diskrepanz zwischen Schein und Sein ist in reichen Ländern wie Deutschland ärgerlich. In armen Ländern wie Brasilien ist sie ein bisschen zynisch.“

Auch Peter B. Birrer (NZZ) kritisiert die Schönfärberei der Funktionäre sowie ihre herablassende Art: „Der Grundton solcher Veranstaltungen ist der Superlativ. Darunter geht fast nichts, Zwischentöne dringen nur marginal durch. Es bleibt zuweilen der Eindruck haften, dass sich die Welt ohne Fußball nicht mehr weiterdrehen würde. Wie skrupellos teilweise Zahlen verdreht werden, bestätigte die Lobrede Teixeiras. Der Verbandspräsident sagte, die WM 2006 habe in Deutschland 40.000 permanente Arbeitsplätze geschaffen. Teixeira verwandelte die (möglichen) Temporär- kurzerhand in Dauerjobs. Hauptsache, es klingt gut. Zudem ergibt es keinen Sinn, wenn Stellen entstehen, die größtenteils mit öffentlichen Geldern alimentiert werden müssen. Aber wen interessierte das? Der Höhepunkt der Irritation folgte allerdings erst nach der WM-Bekanntgabe. Als eine kanadische Agenturjournalistin Teixeira fragte, wie er die Sicherheitslage für 2014 einschätze angesichts der Tatsache, dass Brasilien eines der gefährlichsten Länder sei, war Teixeira nicht mehr zu halten: ‚Das Problem der Gewalt ist weltweit. In den USA bringen Schüler ihre Mitschüler um. In Brasilien hat es das noch nie gegeben. In jeder Stadt der Welt herrscht Gewalt, sie ist bei uns nicht mehr verbreitet als anderswo. Auch Brasilianer sind in anderen Ländern schon ausgeraubt worden. Kürzlich hat die Polizei in Kanada brasilianische Spieler angegriffen.‘ Den unkontrollierten Worten Teixeiras folgte Applaus im Saal. Nun sah sich der sichtlich ebenfalls enervierte Blatter bemüßigt, nochmals ans Rednerpult zu stehen. Schon im Fall von Südafrika und der WM 2010 sei die erste Frage diejenige nach der Kriminalität, rief Blatter, jetzt komme das wieder. Das gehe nicht – ‚als Patron dieses Hauses fordere ich mehr Respekt‘. Wieder Applaus. Keine Widerrede! Keine Kritik! Die schäumende Fifa-Replik auf die ganz normale Frage drückte die Arroganz der Macht aus. So deutete nicht nur die Vielzahl der Sicherheitsleute im Fifa-Haus an, wie entrückt die abgekapselte Welt der Mächtigen des Fußballs bisweilen sein kann.“

Ehrenwerte Familie

Die Fifa weigert sich auch, auf Fragen nach dem Hintergrund des gescheiterten Deals mit Visa (Stichworte: Vertragsbruch mit dem alten Partner Mastercard, versuchte Vertragsfälschung) zu antworten; Thomas Kistner (SZ) fühlt sich unwohl und wie im Kino: „Mutmaßungen liegen auf der Hand, genährt von den Rügen der US-Richter. Sie bezichtigen hohe Fifa-Funktionäre der Unwahrheit, auch Blatter soll von wesentlichen Vorgängen gewusst haben, die sich im Rücken des getäuschten Werbepartners abspielten. Und übrig blieb trotz der teuren Einigung mit Mastercard ein heikles Offizialdelikt, auch nach Schweizer Recht: Die Fifa legte den US-Richtern einen Vertrag mit Visa vor, der die Unterschrift des Visa-Chefs Christopher Rodrigues trägt – die von Visa eingereichte Vertragskopie trug eine erkennbar andere Unterschrift, sehr wahrscheinlich die originale. Und überdies ein anderes, höchstwahrscheinlich wahres Datum, es bekundet einen späteren Vertragsabschluss. Dass eine Fälschung vorliegt, ist klar. Dass sie von Visa begangen sein könnte, war nie Thema. Dass sie also von der Fifa kommt, die ein klares Motiv dafür hatte, wird irgendwie matt dementiert, nicht substantiell bestritten. Wer ordnete sie an? Wer nahm sie vor? Wer war eingeweiht? Das Schweigen zu selbst verschuldeten Abgeltungen in dreistelliger Millionenhöhe passt in die kalte, hohle Pracht des neuen 155-Millionen-Euro-Gebäudes der Fifa. Es wirkt wie die Filmkulisse für ein paar Dutzend Leute, die sich den Verband mit dem wichtigsten Markenrecht des Planeten unter den Nagel gerissen haben und die beim Geldschöpfen ab und zu innehalten, um ein paar um die WM bettelnde Staatsoberhäupter vor sich stramm stehen zu lassen. Diese Nebenwelt des Fußballs wird immer absurder. Und wenn es den Betrachter gruselt, dann, weil ihm einfällt, dass dies kein Film ist. Männer, die Bruderküsse austauschen, sich ihre Deals gegenseitig absegnen und die nur eines stolz und wahrheitsgemäß bekennen: dass sie eine ehrenwerte Familie sind.“

Jens Weinreich (Berliner Zeitung) berichtet sehr angetan von der Konferenz „Play the Game“, die in diesen Tagen zum fünften Mal stattfindet, dieses Jahr in Island, dessen Präsident eine „mitreißende“ Rede auf den sauberen Sport gehalten habe. Thema sind „die Kernthemen des Sports: Transparenz, Doping, Korruptionsbekämpfung und Wertebewahrung.“ Allerdings vermisst Weinreich in Island viele wichtige Menschen: „Von einigen Sportverbänden wie der Fifa wird ‚Play the Game‘ konsequent boykottiert. Andere, transparentere Organisationen wie die Welt-Antidopingagentur Wada zählen zu den Stammgästen.“

SZ: Der Traum nach dem Trauma – 2014 wird es wieder eine WM in Brasilien geben, 64 Jahre nach der Schmach von Maracanã; die Fußball-Erben wollen nun alles wieder gut machen

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