Bundesliga
Münchner Galopp um die Frankfurter Wagenburg
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| Montag, 5. November 2007Der 12. Spieltag – das 0:0 des Tabellenführers Bayern München gegen die Abwehrarbeiter aus Frankfurt amüsiert die Presse; Mirko Slomka unterläuft Schalker Anspruch und Erwartung; Stuttgart auf dem Wege der Erholung; Bremen kann auch einsnull; Hannover macht aus ähnlicher Ausgangslage mehr als Dortmund; Bielefeld und sein Trainer im Tief
Im montäglichen Bundesliga-Kommentar fordert Christian Eichler (FAZ) die deutschen Vereine dazu auf, in ihrem Spiel etwas Unverwechselbares, Identität stiftendes, Stil eben, zu entwickeln: „Einen Stil muss man sich leisten können. Und wollen. Immer noch ist aber die Bundesliga voller Teams, die sich jeder klaren Kontur, jedem Zugriff verweigern wie ein weicher Händedruck; Teams wie Dortmund, Berlin, immer noch Wolfsburg, nun auch Schalke. Eine schöne Ausnahme ist Leverkusen, ein stilistisch integres Team, das aber, um sich nicht beirren zu lassen, immer noch Gegner wie Bielefeld braucht. Auf wackligen Beinen steht auch die Stilsicherheit der Hamburger und Bremer, die zur Spieldominanz neigen, aber auch dazu, sie unerklärlich wieder herzugeben, wie zwischenzeitlich gegen Berlin und Rostock. Und Bayern? Dort hat man sich nach einer erfolg-, ja gesichtslosen Saison neu definiert. Und stößt doch, selbst mit dem teuersten Team der Liga-Historie, an die Grenzen des spielerisch Planbaren. Gegner haben gelernt, wie man Ribérys Laufwege weg von den Gefahrenzonen umleiten kann. Wenn dann Toni und Klose das Torglück fehlt, kann man davonkommen. Zwei torlose Remis gegen destruktives Mittelmaß zeigten das. Wird der neue, attraktive Bayern-Stil bald der Diktatur der Resultate geopfert?“
Beim 0:0 zwischen den Bayern und der Eintracht freut sich Klaus Hoeltzenbein (SZ) über die hedonistische Genügsamkeit des Frankfurter Publikums und sieht Indianer: „Es werden nicht die letzten Minimalisten gewesen sein, die den Münchnern in dieser Saison an die Nerven gehen. Die sich am Strafraum einigeln wie in der Wagenburg und abwarten, was passiert. Deren Fans sie dafür feiern, so lange es 0:0 steht – und die jede Klärung der Verteidiger zur Ecke und jeden Ausbruch der Stürmer über den Mittelkreis bejubelten, als wäre der eigenen Elf ein Tor gelungen. Die Fans waren großartig, sie feierten eine neunzigminütige Tribünenparty. Beeindruckend war, wie machtvoll die Bayern einen Gegner in dessen Hälfte fesseln können, auffällig aber auch die Phantasiearmut, mit der das Standardprogramm, Flanken, Freistöße, Ecken, selbst von Kapazitäten wie Ribéry, Zé Roberto oder Schweinsteiger präsentiert wurde. So wirkte es wie bei den Karl-May-Festspielen von Bad Segeberg: Die Eintracht harrte in ihrer Wagenburg, die Bayern galoppierten drumherum, veranstalteten ein Mordsgejohle, drangen aber nicht vor bis ans Lagerfeuer. (…) Auf dem offiziellen Statistikzettel steht bei Torschüssen: 38:5, was die Frage aufwirft, woher die 5 kam.“
Elisabeth Schlammerl (FAZ) nimmt das Fahrkartenschießen der Münchner tatsächlich zum Anlass, an deren Stabilität zu zweifeln: „Der Gegner hatte zwar fußballerisch höchstens das Niveau eines schlechten Zweitliga-Klubs, aber einen Torwart, der an diesem Tag eine Weltklasseleistung bot, Oka Nikolov. Allerdings war es schon erstaunlich, dass die Bayern überhaupt zu derart vielen Möglichkeiten kamen, denn die Frankfurter hatten sich in der eigenen Hälfte verbarrikadiert, als ob ihnen Friedhelm Funkel eine Sonderprämie versprochen hätte, falls sie es schafften, die Mittellinie neunzig Minuten lang nicht zu überqueren. (…) Erste Verschleißerscheinungen scheinen sich beim Rekordmeister bemerkbar zu machen. Im Herbst nimmt sich der FC Bayern traditionell eine kleine Auszeit, in der er sich von Spiel zu Spiel schleppt und öfters einmal nicht gewinnt, was man im Umfeld meistens gleich als Krise auslegt. In den vergangenen Jahren war diese wenig berauschende Phase meist eine Qual für den Zuschauer, dieses Mal spielt sie sich auf recht hohem Niveau ab. Aber niemand weiß, ob das Gefüge auch intakt genug ist, um Rückschläge zu verkraften.“
Matti Lieske (Berliner Zeitung) gibt sich mit dem kleinen Finger nicht zufrieden: „Wenn jetzt noch jemand herausfinden sollte, dass man gegen die Münchner nicht nur unentschieden spielen, sondern sogar gewinnen kann, könnte die Saison richtig interessant werden.“
Was die Bayern auch versuchten – sie scheiterten immer wieder an Oka, dem Stoiker
Dauernder Bluthochdruck
Zur unangenehmen Situation des Schalker Trainers heißt es nach dem 0:1 in Cottbus bei Philipp Selldorf (SZ): „Schalke war nie ein Ort der Gelassenheit, aber das Schalke der Neuzeit, das einen Konzern mit zig Tochtergesellschaften bildet und einen Kader auf Champions-League-Kostenniveau unterhält, ist zum dauernden Bluthochdruck verdammt. Die ständige Übererregung ist für Mirko Slomka womöglich das größere Problem als die Formschwäche von Kapitän Bordon, das kreative Defizit im Mittelfeld oder der mangelnde Torinstinkt der Angriffsreihe. Der Trainer wird nun von einer diffus strukturierten Anklagefront zum Schuldigen der – vorhandenen – sportlichen Krise erhoben, und diesmal könnte es ernst werden für ihn. Aber was macht Slomka eigentlich falsch? Außer diskutablen Personalien – etwa das Festhalten am verhinderten Stürmer Lövenkrands – und einigen arg hektischen Systemwechseln findet sich wenig Konkretes. Dass Schalkes Offensivspiel relativ leicht neutralisierbar ist, beruht eher auf Baufehlern beim Einkauf als auf der Trainerarbeit. Aber an der ja keineswegs uncleveren, doch notwendig beschränkten Transferpolitik lässt sich auch erkennen, worin der große Unterschied zwischen den Spitzenklubs aus Schalke und München liegt: in den ungleichen Mitteln. Vergleichbar ist nur der Anspruch – genau das aber macht die Lage für Slomka akut bedrohlich.“
Gebrauchs-Einsnull aus dem Eisenwarenregal
Ralf Wiegand (SZ) bestärkt die Bremer in ihrem Gefühl, auch mal mit einem 1:0 gegen Rostock glücklich zu sein: „Das Schicksal von Mannschaften wie Werder Bremen in dieser Saison ist, dass die eigene Leistung noch nichts zählt, so lange sie nicht ins Verhältnis gesetzt wurde zum Spektakel auf dem Planeten Bayern. Der Stern des Südens – seit Samstag weiß man auch das – kann inzwischen sogar ein torloses Unentschieden wie einen Kantersieg aussehen lassen. Sie sind die perfekten Illusionskünstler, und schon weiß keiner mehr, was wahr ist und was falsch: Die lustvolle Qual am ungeschossenen Tor, dieses aber fein zelebriert, ist doch eher die Qualität der Bremer gewesen; das kleine Gebrauchs-Einsnull aus dem Eisenwarenregal indes ehedem eine Münchner Domäne. Wenn jetzt alles anders ist, wer jagt dann eigentlich wen?“
Vater Huub
Christian Kamp (FAZ) erkennt die Wärme des Hamburger Trainers, der nach dem 2:1 über Hertha als erstes seinem Spieler Kompany sein Mitgefühl versichert hat, dessen Mutter zuvor gestorben war: „So barsch oder unnahbar Huub Stevens oft erscheinen mag – zu seinen Spielern pflegt er eine besondere Nähe; das hat er in dieser bislang so erfolgreichen Saison schon öfter bewiesen. Es ist keine kumpelhafte, eher eine väterliche Nähe, die damit auch erzieherische Aspekte beinhaltet, vor allem: Disziplin. Mit dieser Mischung hat er die Mannschaft zu einem ernstzunehmenden Verfolger der Bayern gemacht. (…) Ein Meisterstück war es allerdings noch nicht, was die Hamburger gegen Berlin ablieferten. In der hervorragenden ersten Hälfte hätte zwar weit mehr herausspringen müssen als die frühe Führung. Doch nach der Pause ließ sich der HSV von der zuvor beängstigend schwachen Hertha den Schneid abkaufen und durfte froh sein, dass Bastian Reinhardt noch der Siegtreffer gelang.“
Gomez’ Riesenslalom
Roland Zorn (FAZ) protokolliert die Heilung des Deutschen Meisters beim 1:0 in Nürnberg, und ihm gelingt eine sehr schöne und bildhafte Beschreibung des Siegtreffers: „Der VfB Stuttgart scheint so langsam aus der Dunkelheit ins Licht zurückzukehren. Drei mühsam erarbeitete Siege in einer Woche haben das zuvor erheblich strapazierte Selbstbewusstsein des Meisters leidlich repariert. Erstmals seit langem konnten die Schwaben auch eine Elf von erstklassigem Zuschnitt aufbieten: mit dem nach langer Verletzung erstaunlich erholten Innenverteidiger Delpierre, mit dem nach einer Sperre ins Team zurückgekehrten Kapitän Meira auf ungewohnter defensiver Mittelfeldposition, mit dem allmählich Tritt fassenden Spielgestalter Bastürk, mit dem von einer Blessur genesenen Nationalspieler Hitzlsperger und mit den erstarkten Angreifern Gomez und Cacau. Spätestens nach der Nürnberger Begegnung zweier wochenlang gebeutelter Liga-Mannschaften ist der VfB der Parallelwelt, in der die Angst vorm Siegen das eigene Handeln beherrscht, entkommen. (…) Mario Gomez machte mit seinem bisher schönstem Bundesliga-Riesenslalom den großen Unterschied zum 1. FC Nürnberg aus, der stets bemüht und ständig glücklos war in seinem permanenten Anrennen gegen eine weitere Heimniederlage.“
Spielkultur und Selbstbewusstsein abhanden gekommen
Ulrich Hartmann (SZ) rät nach dem 0:4 in Leverkusen von Arminia-Bielefeld- und Ernst-Middendorp-Aktien ab: „Die Bielefelder machen sich Sorgen. Zwei Punkte bei 2:19 Toren hat die Mannschaft zuletzt aus sieben Ligaspielen erwirtschaftet, das ist so, als kämen Traubensammler bei der Weinlese jedes Mal mit leeren Körben aus dem üppig behangenen Berg. Die Bielefelder haben komplett verlernt, wie man erntet, und keiner versteht so recht warum. Weil sich Middendorp in erfolgreicheren Zeiten als großer Motivator und General selbst zelebrierte, fällt dieses hilflose Phlegma primär auf ihn zurück, der seine Fußballer gerne mit plötzlichen Personalrochaden und verbalem Brimborium zu maximaler Leistung animiert. Doch jetzt, da dieser Mannschaft Spielkultur und Selbstbewusstsein vollends abhanden gekommen sind, steht auch Middendorp hilflos da und erklärte das chancenlos bestrittene verlorene Spiel mit verletzungsbedingten Ausfällen und dem Kraftverlust beim Pokalsieg in Koblenz – während Arminias Sportdirektor Reinhard Saftig ein paar Meter weiter brüsk zurückwies, dass das Pokalspiel als Entschuldigung herhalten dürfe.“
Aus wenig viel, mehr zumindest
Freddie Röckenhaus (SZ) macht auf den Unterschied zwischen dem Sieger Hannover 96 und dem Verlierer Borussia Dortmund aufmerksam: „Die Hannoveraner wirkten, als fühlten sie sich in ihren Rollen auf dem Spielfeld vertraut. Die personell – bis auf Torwart Enke – ebenfalls nur mittelmäßig besetzte Mannschaft, die zudem spürbar preiswerter als die des BVB ist, macht unter Hecking derzeit das Optimale aus ihren Möglichkeiten. Dortmund dagegen wirkte einmal mehr uninspiriert, verwirrt, verzagt. Mit dem von Doll inzwischen etablierten System mit fünf Mittelfeldspielern und nur einer Spitze scheint die Mannschaft noch überforderter als zuvor. Die theoretische Erkenntnis: Andere machen mehr aus ihren Möglichkeiten.“