Bundesliga
Gute Unterhaltung ist nicht immer hohe Qualität
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| Dienstag, 6. November 2007Beim 5:3 Bochums gegen Wolfsburg kommen Zuschauer und Journalisten auf ihre Kosten / Ernst Middendorps Hybris
Ulrich Hartmann (SZ) legt die erste Halbzeit als Wolfsburger Fairplay aus: „Manchmal geht es in der Bundesliga zu wie auf dem Bolzplatz. Wenn die eine Mannschaft besser besetzt ist als die andere, kriegt die schwächere notfalls einen Vorsprung, damit es trotzdem für alle Beteiligten schön spannend wird. In Bochum haben sie das auch so gemacht. Da hat der mit überschaubaren finanziellen Mitteln zusammengebaute Abstiegskandidat VfL Bochum gegen den mit allerhand Millionen vom Volkswagenkonzern komponierten Europapokalanwärter VfL Wolfsburg zur Pause 4:0 führen dürfen, und das war die Voraussetzung für eine aufregende zweite Halbzeit, die die Wolfsburger 3:1 gewannen. Zum Aufholen des Vorsprungs hat das nicht mehr gereicht. Für die Bochumer ging eine Serie von acht nicht gewonnenen Ligaspielen zu Ende, für die Wolfsburger eine Serie von sechs nicht verlorenen. Die Partie war eine komprimierte Darstellung der schnellen Vergänglichkeit von Freude und Frust im Fußball.“
Richard Leipold (FAZ) erkennt Leichtsinn auf beiden Seiten: „Was sollte schon drohen von einer Mannschaft, auf deren Gemüt eine Serie ohne Sieg lastete? Während die Bochumer sich 45 Minuten lang mit Lust von ihrer Last befreiten, waren die Wolfsburger nur körperlich anwesend. Sie hielten sich für etwas Besseres, für zu gut, um Bochum als Gegner ernst zu nehmen. Chefkritiker Magath vermutete später, seine Spieler seien ‚mit ihren Gedanken schon in der Champions League gewesen’. Dieser Vorwurf geht auf eine arg forsche Bemerkung des Mannschaftskapitäns Marcelinho zurück. Er behauptet, Wolfsburg könne in dieser Saison die Champions League erreichen. Von solchen Phantasien sind die Bochumer weit entfernt, aber auch sie hörten nicht auf ihren Trainer, sondern schlugen dessen Warnungen siegesgewiss in den Wind. Koller hatte nach dem famosen Sturmlauf auf die Gefahren hingewiesen, die sich auch hinter einem so klaren Halbzeitergebnis verbergen könnten. ‚Beim Stand von 4:0 ist noch nicht alles gegessen.’ Diese Botschaft ist bei den Spielern nur fragmentartig angekommen. Die Depression der vergangenen Wochen schlug um in pure Sorglosigkeit. Deshalb wurde am Tag der leichten Muse letztlich doch nicht alles so leicht, wie es schien, für die Westfalen. Auch dieser Umstand kam dem Unterhaltungswert zugute. (…) Gute Unterhaltung ist nicht immer gleichbedeutend mit hoher Qualität.“
Am Rand des Realitätsverlustes
Oskar Beck (Welt) schreibt mit offenem Mund über Ernst Middendorp, seine Art und seine Sprüche: „Dem Trainer der Arminia kann vieles vorgeworfen werden, nur nicht falsche Bescheidenheit – angeblich kommt er an keinem Spiegel vorbei, ohne sich selbst zu grüßen. Inzwischen tut Middendorp alles, um nicht mehr lange Trainer der Arminen zu bleiben. Was muss man heutzutage tun, um entlassen zu werden? Im Fußball geht das nur halb so leicht wie im richtigen Leben. Im Fußball greifen die herkömmlichen Methoden zu kurz, es genügt nicht, betrunken Auto zu fahren, silberne Löffel zu klauen oder der Gattin des Chefs lüstern ins Dekolleté zu starren. Im Fußball wird einer nicht einmal hinausgeschmissen, wenn er eine Verletzung vortäuscht, um, sagen wir einmal, zum FC Valencia desertieren zu dürfen. Kurz: Man muss im Fußball ganz andere Saiten aufziehen, um gefeuert zu werden. Middendorp macht, so gesehen, alles perfekt. Selten haben wir einen Krisentrainer erlebt, den das Selbstbewusstsein bis an den Rand des Realitätsverlustes treibt – und wir können uns vorstellen, was die Bielefelder Vereinsführung angesichts seiner unerschütterlichen Körpersprache empfindet, mit der er auf die Frage, ob mit seiner Entlassung zu rechnen sei, jeder Kamera fast genüsslich verrät: ‚Das entscheide ich.’ So offen und ehrlich hat noch kein Untergebener seinen Vorgesetzten mitgeteilt, dass sie nichts zu melden haben. Der Präsident als oberster Befehlsempfänger bleibt wegen Geringfügigkeit dem Spiel inzwischen schon fern und trommelt beim Gedanken an seinen Trainer vermutlich zu Hause mit dem Kopf gegen die Wand. (…) Ernst Middendorp macht alles so, dass die Dinge eher früher als später in die Abfindung müden.“
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Wünschenswerter Effekt
Klaus Bellstedt (stern.de) resümiert: „Der 12. Spieltag war ein guter Spieltag. Die Bayern sind trotz des Ausrutschers weiter der Topfavorit auf den Titel, alles liegt in ihren Händen. Wichtig aber ist, dass der Spannungsaspekt wieder zurückgekehrt ist. Denn davon profitiert letztlich auch das Gesamtpaket Bundesliga. Weil es dadurch insgesamt in Wertigkeit und Niveau wieder steigt. Ein Effekt, der vor allem im Vergleich mit den führenden Ligen aus England, Spanien und Italien dauerhaft wünschenswert ist.“
Guardian: Keeper’s crazy saving leads Bayern up the garden path – Raphael Honigsteins immer lesenswerter Bundesliga-Blog
FC-Bayern-TV (damit ist nicht die ARD-Sportschau gemeint)