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Die eigenen Fans stechen Nadeln ins Fleisch des großen FCB

Oliver Fritsch | Mittwoch, 14. November 2007 Kommentare deaktiviert für Die eigenen Fans stechen Nadeln ins Fleisch des großen FCB

Die Jahreshauptversammlung des FC Bayern München bietet den Zeitungen zwei Themen von höchster Brisanz: das gestörte Verhältnis der Vereinsführung zu ihren Fans, die Uli Hoeneß scharf angreift; und die Spannung zwischen Karl-Heinz Rummenigge und Ottmar Hitzfeld, die wohl nur eine leichte Entschärfung erfahren hat

Markus Schäflein (SZ) rückt Hoeneßens Polemik gegen diejenige Fan-Fraktion in den Vordergrund, die die schlechte Stimmung in der Allianz-Arena und die Vorliebe der Oberen für die reichen Leute kritisiert; anhand von einigen wörtlichen Zitaten dokumentiert Schäflein die Distanzierung der Vereinsführung von den Fans: „Mit hochrotem Kopf setzte der Manager zum Rundumschlag gegen die Anhängerschaft auf den billigen Plätzen an. ‚Das ist eine populistische Scheiße’, zeterte Hoeneß, ‚für die Scheiß-Stimmung, da seid ihr doch selbst verantwortlich.’ Und auch das Stichwort von den ‚Sozialticket-Empfängern’, wie Bayern-Vizepräsident Fritz Scherer die Stehplatzbesucher einst genannt hat, kam wieder auf: ‚Euch finanzieren die Leute in den Logen!’, rief Hoeneß. ‚Wir reißen uns den Arsch auf, damit da dieses Stadion steht. Das hat 340 Millionen gekostet, das ist mit den 7 Euro aus der Südkurve nicht zu machen.’ Und dann stellte Hoeneß, ohne es zu beabsichtigen, die entscheidende Frage: ‚Was glaubt ihr eigentlich, wer ihr seid?’ Wer die Bayern-Fans eigentlich sind, in ihrer eigenen Wahrnehmung und aus der Sicht der Vereinsspitze, das ist ziemlich schwer zu beantworten. In jedem Fall fühlen sie sich nicht wichtig und nicht ernst genommen, und das schon seit Jahren.“

Ein Clip von hinterm Mond? Nein, hier spricht der bodenständigste („Was glaubt Ihr eigentlich, wer Ihr seid?“) und modernste („Ich werde Ebay und Google nicht verhindern”) deutsche Fußballmanager

Den Vorwurf, der FC Bayern wolle sich seine Zuschauer aussuchen, konnten Hoeneß und Co wohl nicht aus der Welt räumen – und er trifft sie. Schäflein schreibt: „Hoeneß’ Wutausbruch war die Kulmination einer nicht enden wollenden Kette von Missverständnissen und gegenseitigen Beleidigungen zwischen Basis und Führung. Es wurde deutlich, wie sehr der seit langem schwelende Konflikt an seinen Nerven zehrt. Die vergangene Krise liegt nicht lange zurück: Nachdem der FC Bayern im Frühjahr über 500 Personen die Dauerkarte entzogen hatte, weil sie sich auf einer von der nicht mehr erwünschten Gruppierung Schickeria geführten Dauerkarten-Liste eingetragen hatten, hatte Hoeneß erklärt, der FC Bayern werde sich seine ‚Gäste aussuchen’. Daraufhin gründeten sich die Fanklubs ‚Kalles Kunden’ und ‚Ulis Gäste’. Ihre Fahnen – mit Strichcode und Euro-Zeichen bei ‚Kalles Kunden’, mit Flower-Power-Blümchen bei ‚Ulis Gästen’ – gehören mittlerweile zum Erscheinungsbild des FC Bayern. Das kann den Verantwortlichen nicht gefallen, sie können gegen die Fahnen aber nichts tun. Es sind Nadelstiche ins Fleisch des großen FCB – von den eigenen Anhängern.“

Hoeneß’ Entgegnung wird den Konflikt wohl nicht mindern: „Die schlechte Stimmung liegt doch daran, dass die Fans untereinander zerstritten sind! Und jeder weiß, dass da vor allem der Club Nr. 12 eine ganz beschissene Rolle spielt.“ Schäflein erläutert: „Der Club Nr. 12 ist eine Dachorganisation der Fan-Klubs, die viele Choreografien und Auswärtsfahrten organisiert hat, deren Einfluss den Klub-Verantwortlichen aber nicht geheuer ist. Mit dem Problem, dass sie sich unverstanden fühlen, sind die Anhänger des FC Bayern immerhin nicht allein. Rummenigge klagte: ‚Ich habe nicht den Eindruck, dass unsere Arbeit von den Fans so geschätzt wird, wie sie eigentlich zu bewerten wäre.’“

Eine Parodie kritischer Bayern-Fans (via SZ)

Wir sind nett zueinander, aber der Chef bin ich

Sebastian Krass (taz) zitiert Rummenigge und bezweifelt, ob dessen autoritäre Worte angemessen sind, den Trainer zum Bleiben zu bewegen: „‚In Sachen Taktik, Training und Aufstellung hat nur einer das Sagen: nämlich Ottmar Hitzfeld.’ Gefolgt von einem gefährlich missverständlichen Satz. ‚Ich halte es aber nicht für unklug, die Verantwortlichen im Vorfeld einzubeziehen.’ Einer der Verantwortlichen, Hoeneß, schwieg bezeichnenderweise weiter in der Trainer-Debatte, während sich Franz Beckenbauer als Vermittler bemühte. Das Thema Vertragsverlängerung mied Rummenigge in der Rede. Erst nach der Versammlung ließ er sich den dürftigen Satz abringen: ‚Die Vertragsverhandlungen finden im Januar statt, keinen Tag früher.’ Sein doppelbödiges Spiel ist gefährlich. Denn Hitzfeld kokettiert mit dem Angebot, Schweizer Nationalcoach zu werden. Und der dortige Verband lockt.“

Michael Neudecker (FR) pflichtet bei: „Die Jahreshauptversammlung des FC Bayern, sie war wie ein Spiegel des Vereins. In den über vier Stunden zeigte der FC Bayern alles, was er hat und kann: Beckenbauer, den lustigen Aufsichtsratsvorsitzenden, der kabarett-ähnlich zum Beispiel von der Reise nach Italien zur Verpflichtung von Luca Toni erzählte Karl Hopfner, den ruhigen Geschäftsmann, der sachlich über den Rekordumsatz und Rekordgewinn sprach, Hoeneß, den emotionalen und immer wieder erstaunlich dünnhäutigen Manager, und schließlich Rummenigge, den kühlen Taktiker. (…) Hitzfeld saß in der ersten Reihe, mit versteinerter Miene. Es war, als wollte Rummenigge vor aller Öffentlichkeit zeigen: Schaut her, wir sind nett zueinander – aber der Chef bin ich. So tickt der FCB nun mal: Niemand steht über dem Verein, und der Verein sind Rummenigge und Hoeneß.“

Hinter den Kulissen ist es wohl hoch hergegangen

Auch Elisabeth Schlammerl (FAZ) rügt die Zweischneidigkeit Rummenigges und versetzt sich in Hitzfelds Lage: „Symbolisch reichte Rummenigge vom Rednerpult dem Trainer die Hand. Rummenigge hat zum einen nichts von seiner Kritik zurückgenommen und zum anderen in seiner Rede wieder reichlich Diskussionsstoff geliefert – und viel Raum für Spekulationen gelassen. Hitzfeld hat die Aussagen des Vorstandsvorsitzenden gleichmütig zur Kenntnis genommen. Vermutlich aber lässt er es sich nicht gefallen, dass sich jemand in seine Belange einmischt. Er darf es sich auch gar nicht gefallen lassen, weil sonst seine Autorität innerhalb der Mannschaft auf dem Spiel stünde. Die Dünnhäutigkeit von Rummenigge schon beim ersten kleinen Einbruch zeigt nur, wie sehr die hohen Investitionen in neues Personal die Bayern-Führung unter Erfolgsdruck gesetzt haben.“

Über Kontroversen innerhalb der Troika mutmaßt Schlammerl: „Die Chefetage demonstriert gerne nach außen Einigkeit, aber es gibt einige Indizien dafür, dass es hinter verschlossenen Türen nicht immer so friedlich zugeht. Die Beziehung zwischen Hoeneß und Rummenigge ist schon lange eine rein geschäftsmäßige, und der Manager steckt zum Wohle des FC Bayern eben auch mal zurück, weshalb er vielleicht auch dieses Mal geschwiegen hat in der Öffentlichkeit. Es könnte aber gut sein, dass es hinter den Kulissen in diesen Tagen hoch hergegangen ist. Das, was in den vergangenen Tagen passiert ist beim FC Bayern, hat Hoeneß sicher nicht gefallen. Der von Rummenigge losgetretene öffentliche Disput um die Personalpolitik des Trainers dürfte nicht im Sinne von Hoeneß gewesen sein, wenngleich er seinem Führungskollegen in der Sache wohl recht gibt – wie auch Präsident Franz Beckenbauer.“

Allerdings kommentierte Beckenbauer den Applaus der Leute für Hitzfeld mit Worten, die Hitzfeld sicher das Lachen gefrieren ließ: „Ottmar, den Beifall hast du dir verdient. Vielleicht kannst du uns dann später erklären, warum du in den letzten beiden Spielen so viel gewechselt hast.“

Der fürsorgliche Vereinspatriarch

Nach dieser Dokumentation von Selbstgerechtigkeit, Chauvinismus, Doppelmoral und parvenühafter Unverschämtheit, die uns die Zeitungen (und Video-Seiten) von heute darlegen und die uns Demokraten einigermaßen fassungs- und wortlos zurücklässt, lesen wir Ludger Schulzes (SZ) Versuch, Hoeneß als guten Menschen vorzustellen, mit Skepsis – nein mit Abscheu: „Einmalig in der Unterhaltungsindustrie Fußball ist es, wie der Klub ein Startkapital von minus zehn Millionen Mark im Jahr 1979, als Jungmanager Hoeneß seinen Dienst antrat, in den solidesten Haushalt der Branche verwandelte. Das hat dem Verein weltweit einen Ruf gesichert, der sich mit Goldpokalen kaum aufwiegen lässt. Das Kerngeschäft hat der FC Bayern dabei niemals aus der Hand gegeben. Während die Konkurrenz beispielsweise den Handel mit Fan-Produkten sowie Akquise und Betreuung der Sponsoren den Heerscharen betriebswirtschaftlicher Glücksritter anvertraute und dafür bis zu 25 Prozent der Einnahmen abgeben muss, kümmert sich beim FC Bayern der Vorstand persönlich darum, neben Hoeneß der Vorstandsvorsitzende Rummenigge und Finanzexperte Hopfner. Bisweilen hilft Präsident Beckenbauer mit seinem glänzenden Draht in die Chefetagen von Wirtschaft und Politik. In den Klub-Beiräten ist eine gesellschaftliche Elefantenrunde versammelt: Bayerns ehemaliger Ministerpräsident Stoiber, Adidas-Boss Hainer, die Unternehmensberater Berger und Henzler oder VW-Chef Winterkorn. Wer den aggressiven Fußballkapitalisten Hoeneß vor den Fernsehkameras agitieren sieht, ahnt kaum, dass sich dahinter ein fürsorglicher Vereinspatriarch verbirgt; der sich verlässlich um persönliche Belange seiner Angestellten und Vertrauten kümmert, um den Alkoholiker wie den an Krebs erkrankten Ex-Spieler. Auch dass Prämien im Erfolgsfall nicht nur an die Fußballer, sondern bis hinunter zum Platzwart ausgeschüttet werden, schafft eine einmalige Motivation und Identifikation mit dem eigenen Verein.“

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