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Internationaler Fußball

Schmackhafte Menutafel

Oliver Fritsch | Montag, 19. November 2007 Kommentare deaktiviert für Schmackhafte Menutafel

Italien, Holland, Frankreich, Spanien und wohl auch England – Roland Zorn (FAZ) kommentiert den Sieg der Favoriten: „Die verheißungsvollen Momente der Kleinen sind Vergangenheit, zum Endspurt um die besten Plätze beim Europameisterschaftsturnier 2008 schlägt die Stunde der Großen. Seit Samstag können sich die Gastgeber in Österreich und der Schweiz auf ein erlesenes Starterfeld freuen; gleichzeitig müssen sie auch ihre leisen Beklemmungen unterdrücken. Denn so viel ist nun sicher: Den Ausrichtern der EM steht massenhaft Besuch ins Haus. Die Hoffnung auf eine europäische Fußballgala ist so gewaltig wie die dann mit Sicherheit zu erwartende paneuropäische Reisewelle. An denen, die einladen, und denen, die kommen, liegt es, der EM 2008 einen Geist einzuhauchen, der an die WM 2006 erinnert. Die Europameisterschaft ist eine einzigartige Gelegenheit für die als feierndes Völkchen noch nicht allseits bekannten Schweizer wie für die fetenerprobten Österreicher, sich als großartige Gastgeber zu bewähren. Eine Aufgabe, die angesichts des Besuchs der gesamten europäischen Fußballelite nun noch reizvoller und schwieriger zugleich geworden scheint.“

Felix Reidhaar (Neue Zürcher Zeitung) schnalzt mit der Zunge: „Eine noch schmackhaftere Menutafel an Europas fußballerischem Stelldichein lässt sich nicht formulieren. Dass die Teams der EM-Gastgeberländer darin in kleinerer Schrift Erwähnung finden, ist momentan nicht wegzudiskutieren. Am kontinentalen Kräfteverhältnis lässt sich, das wird auch der oft romantisierende Uefa-Präsident Michel Platini einsehen, nicht schrauben; es ist tief vertäut.“

Andreas Burkert (SZ) korrigiert Rudi Völlers Weisheiten: „Es gibt wieder Kleine! Athletischer und defensiv verbessert mögen sie sich den Großen stellen, das schon. Doch als gutes Gewissen derjenigen, die Trends verpassen und Strukturen anschimmeln lassen, taugen sie heute nicht mehr. Italien, Frankreich, Spanien, die Türkei und sogar England – wohl allesamt dabei 2008, wenn Färöer, San Marino, Andorra (zusammen: 0 Punkte, 7:133 Tore) staunend zusehen.“

Schon wieder moralischer Sieger

Christian Eichler (FAZ) leidet mit den unterliegenden Schotten, ohne, und das muss man betonen, Häme auf die siegenden Italiener: „Es war ein Abend voll heftiger Gefühle und starker Worte, kräftiger Kehlen und dramatischer Handlung. Große Fußballoper also. Nur mit dem falschen Ende, jedenfalls für die Schotten und für all die ungezählten Sportfreunde, die stets zu den Kleinen mit dem großen Herz halten. Gäbe es EM-Plätze für Charakter, die Schotten wären vor allen anderen dabei, mit unschlagbarer Haltungsnote. Sie hätten die EM verdient nach ihren Leistungen in der schwersten Qualifikationsgruppe. Aber: Hätten die Italiener es verdient, ein Spiel zu verlieren, in dem ihnen nach Luca Tonis frühem Führungstor ein regulärer nicht anerkannt wurde? In dem der schottische Ausgleich aus Abseitsstellung fiel? (…) Es kam spätes Leben in die Totgesagten, eine italienische Spezialität. Mit bewährt kühler Klasse, einem Stück Glück und wohl auch dem Willen, zu beweisen, dass Italiens Fußball besser ist als seine Fans, bestanden die Azzurri die Probe. Den einzigen Anklang an das tödliche Vorspiel vom letzten Wochenende gab Trainer Donadoni in Form eines Kompliments an die Gastgeber: ‚Die schottischen Fans haben uns etwas gezeigt, von dem wir lernen können.’ Leider kann die ‚Tartan Army’, die karierte Horde, die sich vor den Heimspielen in Glasgow an der Horseshoe Bar, der längsten Theke Großbritanniens, abzufüllen pflegt und doch friedlich bleibt, dem Rest Europas 2008 nicht zeigen, wie Fans sein können.“

Raphael Honigstein (FR) fügt hinzu: „Den wackeren Männern von Trainer Alex McLeish bleibt allein der zweifelhafte Trost, dass ihr Scheitern mal wieder durch und durch heldenhaft gewesen war. Genau dieses traditionelle Ende der Schlacht hatte man unbedingt vermeiden wollen, moralischer Sieger wollte man diesmal nicht sein. Aber die Enttäuschung tat angesichts der starken Leistungen in der äußerst undankbaren Gruppe immerhin etwas weniger weh.“

Die Fassade stimmt

Birgit Schönau (SZ) beschreibt die Bedeutung des italienischen Erfolgs: „Es ging nicht nur um die EM-Qualifikation. Eine Niederlage, ein Scheitern hätte das depressive Klima zu Hause noch verschlechtert. Glücklich das Land, das keine Fußballsiege braucht, könnte man frei nach Bertolt Brecht sagen. Das von der Gewalt der Straße und der Ohnmacht der Politik zutiefst verunsicherte Italien brauchte dringend den Erfolg der Azzurri. Wenigstens die Fassade soll stimmen in diesen Zeiten, und auf der Fassade steht immer noch: Weltmeister. Und die Azzurri, die sich so wenig weltmeisterlich durch die Qualifikation gewurstelt hatten, machten ein großes Spiel. Wie immer, wenn es darauf ankommt. Sie spielten wie in einem Finale, und sie blieben cool dabei. In der ersten Halbzeit schüttelten sie die allenfalls lästigen Schotten ab wie ein Rassepferd eine Horde von Kläffern. Nach der Pause indes holten die lauf- und konditionsstarken Gastgeber auf.“

Von Ralf Sotscheck (taz) erfahren wir nebenbei: „Der Einfluss der Zuschauer auf die Leistung der Heimmannschaft ist übrigens wissenschaftlich erwiesen. Sandy Wolfson von der Uni Northumbria hat festgestellt, dass lautstark angefeuerte Spieler 40 bis 67 Prozent mehr Testosteron produzieren. Eine andere Untersuchung hat ergeben, dass nur 46 Prozent der schottischen Fans, die das Spiel im Wirtshaus verfolgen, die Tore mitbekommen. Die anderen 54 Prozent sind entweder auf der Toilette, bestellen an der Bar ein Bier oder rauchen vor der Tür eine Zigarette.“

NZZ: Italien, das Chamäleon im Hampden-Park

Zum ersten Mal wie eine Mannschaft

Tobias Schächter (Berliner Zeitung) führt den Sieg der Türkei in Norwegen auf Personaländerungen zurück, hält aber an seiner Kritik am Nationaltrainer fest: „Die Türken schienen in dieser schwächsten aller Qualifikationsgruppen wie ein Auto ohne Bremse unaufhaltsam dem Abgrund entgegen zu rasen. Fatih Terim hatte jeglichen Kredit in der Öffentlichkeit verspielt, das dritte Scheitern bei einer Qualifikation für ein großes Turnier nach dem dritten Platz bei der WM 2002 schien unabwendbar. Doch Terim, ein in Politmanövern erfahrener Strippenzieher, wartete in letzter Sekunde mit einer überraschenden Volte auf. Der längst überfällige Verzicht auf Hakan Sükür befreite die Mannschaft von einem schweren Ballast. Ohne Veränderungen ging es nicht mehr weiter, darin waren sich alle einig. Der Trainer blieb, dafür musste die Stürmerlegende gehen. In höchster Not opferte der ‚Imperator’ (Kaiser) genannte Terim den alten Weggefährten Sükür, den sie den ‚Kral’ (König) nennen. Auch der Verzicht auf andere Veteranen wie Tümer, Üzülmez und Toraman tat der Mannschaft sichtlich gut im zähen und unansehnlichen Ringkampf von Oslo. Zum ersten Mal in diesem Wettbewerb wirkte die Milli Takim wie eine Mannschaft. (…) Terim setzte in elf Qualifikationsspielen fast 40 Spieler ein. Ein überlegter Plan sieht anders aus. Einige Opportunisten unter den Kommentaren feiern ihn nun wieder als ‚den alten Terim’, doch der Sieg ändert nichts daran, dass seine wirre Personalrochaden, seine Arroganz und seine nationalistischen Aufwallungen die Türken erst in diese Lage gebracht haben. Der Verzicht auf Sükür war auch das Eingeständnis einer verfehlten Personalpolitik. Zudem war der Sieg in diesem Abnutzungskampf weniger der eigenen Stärke geschuldet. Die biederen Norweger zeigten, weshalb sie keine Bereicherung für die EM wären.“

NZZ: Die Spanier hinterlassen beim 3:0 gegen Schweden nachhaltigen Eindruck

NZZ: Polen kommt in Europa an

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