Deutsche Elf
Erbstreit
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| Dienstag, 20. November 2007Establishment gegen Reform? In der polemischen Auseinandersetzung zwischen Rudi Völler und Oliver Bierhoff stimmt die Presse Bierhoff zu, gibt aber dessen angebliche Hochnäsigkeit zu bedenken
Andreas Lesch (Berliner Zeitung) schließt aus den jüngsten Wortmeldungen Völlers und Bierhoffs spöttisch: „Der Streit taugt als Stoff für eine Komödie: Endlich geht es einmal nicht zu wie im diplomatischen Dienst, sondern wie auf dem Bolzplatz; endlich ist der Fußball einmal ganz bei sich. Der Streit ist auch wegen seines Zeitpunkts und seiner Heftigkeit interessant. Er zeigt, dass die Stimmung zwischen den Verantwortlichen der Nationalmannschaft und jenen der Bundesligavereine nach wie vor angespannt ist. Bierhoffs Erwiderung klingt zwar eleganter als Völlers Attacke; im Kern aber sind beide Wortmeldungen ähnlich scharf. In der Sache hat der DFB-Manager alle Argumente auf seiner Seite: Er hat sich in seinen jüngsten Interviews tatsächlich um vorsichtige Formulierungen bemüht. Trotzdem nervt sein Auftreten die Klubs. Sie reagieren nach wie vor überempfindlich auf Verbesserungsvorschläge von außen; ihre andauernden Blamagen in den internationalen Wettbewerben, gepaart mit den Erfolgen des Nationalteams, führen bei manchem Liga-Vertreter offensichtlich zu ausgewachsenen Komplexen.“
Michael Horeni (FAZ) ist von Völlers Schärfe überrascht und fühlt sich zwei Jahre zurückversetzt: „Irgendwie dachte man, dass es vor allem an der polarisierenden Persönlichkeit Jürgen Klinsmanns gelegen habe, dass die Bundesliga in den ersten beiden Jahren der Nationalmannschaftsreformen immer wieder allergisch bis hysterisch auf Veränderungen reagierte. Aber während es sich der ehemalige Bundestrainer derzeit in Kalifornien gutgehen lässt und Pläne für die Zukunft entwickelt, ist in diesen Tagen der alte Konflikt zwischen Traditionalisten und der Reformgruppe im DFB ebenso unerwartet wie scharf wieder aufgebrochen. Diesmal sah sich ausgerechnet Klinsmanns Vorgänger Völler genötigt, die Führung der Nationalmannschaft und vor allem Bierhoff frontal anzugreifen. Völler hielt sich dabei nicht allzu sehr mit Argumenten auf, er wurde schnell sehr persönlich gegenüber seinem ehemaligen Nationalmannschaftskapitän.“
Arrogant
Philipp Selldorf (SZ) legt nahe, dass es in erster Linie um Eitelkeiten geht: „Völler steht nicht allein in der Liga. Anmerkungen aus dem Stab des Nationalteams werden bei den meisten Trainern und Sportchefs nicht als konstruktive Beiträge, sondern als Einmischung und als Vorwurf der Konzeptlosigkeit empfunden. Als Joachim Löw im August eine Debatte über die deutsche Zweikampftechnik anzustrengen versuchte, empfing er selbst von gewöhnlich kooperativen Fachleuten wie Thomas Schaaf Ablehnung. Im Sinne von: geht ihn nichts an. Während aber der umgängliche und anerkannt erfolgreiche Löw nur moderate Widerworte erfährt, eignet sich Bierhoff offenbar bestens für die Rolle des Sündenbocks. (…) Sicher ist die Erklärung nicht abwegig, dass Völler eine Menge Verdruss empfindet, wenn er die Lobeshymnen auf das heutige Nationalteam hört. In diesem Licht verschwinden seine Verdienste als Teamchef in den schweren Jahren 2000 bis 2004 zunehmend im Dunkeln. In mancher Darstellung erscheint die Ära Völler schon als Neo-Steinzeit des deutschen Fußballs. So ist das Heldenepos von der WM 2002 in der öffentlichen Geltung mittlerweile als Rumpelnummer abgelegt, während der Auftritt 2006 als Sommermärchen firmiert. Ein Erbstreit sozusagen.“
Christian Gödecke (Spiegel Online) fügt hinzu: „Bierhoff spricht gern über die Erfolge des DFB-Teams, die auch seine sind, und wirkt dabei oft so arrogant wie ein Sanierer im Kohlebergwerk, der den Kumpeln erklärt, wie man unter Tage am besten arbeitet. Doch schwache Argumente mittels brachialer Sprüche zu verbreiten – so etwas würde Bierhoff nie passieren.“
Bierhoff hat am Samstag in einem sehr lesenswerten Interview mit der SZ unter anderem gesagt: „Natürlich schießt der Computer keine Tore, ebenso wenig wie der Fitnesstrainer oder der Scout Urs Siegenthaler. Aber man sollte alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass der Ball reingeht. Wir schicken den Vereinen regelmäßig Unterlagen über das, was wir tun beim DFB.“
sueddeutsche.de: Niveaulos, Schwachsinn, Stammtischniveau: Völler und Bierhoff im O-Ton
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