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Ball und Buchstabe

In München sind die Fans Folklore

Oliver Fritsch | Donnerstag, 22. November 2007 Kommentare deaktiviert für In München sind die Fans Folklore

Achtet Bayern München seine Fans oder schätzt es sie gering? Sebastian Krass (Financial Times Deutschland) lässt Uli Hoeneß’ Erklärungen ins Leere laufen: „In der Sport Bild polterte er wieder los. Wohl um dem Magazin – eine Art Hausorgan des FC Bayern – noch mit einer Meldung in die Nachrichten zu verhelfen, lieferte Hoeneß ein zitierfähiges, wenn auch offenkundig substanzloses Zitat: ‚Wenn das nicht lösbar ist, höre ich auf!’ Bei den Bayern ist ein Konflikt offen ausgebrochen, der auch in anderen Vereinen schwelt. Zwar können die Fans kaum mehr wirtschaftliche Macht ausüben, etwa indem sie dem Stadion fernbleiben. Die Bedeutung der Eintrittsgelder für die Etats hat extrem abgenommen, und speziell in München füllt sich die Arena dank der Stadiontouristen von allein. ‚Aber die meinungsbildende Macht wird größer und kann die Atmosphäre rund um die Vereine beeinflussen’, glaubt Michael Gabriel, Leiter der bundesweiten Koordinationsstelle Fan-Projekte. Bei seinem Versuch, dagegen vorzugehen, verlässt sich Hoeneß auf die hohe Glaubwürdigkeit, die er selbst bei Bayern-Gegnern erlangt hat. Er weiß: Vom Negativen bleibt immer etwas hängen. Als nächster Schritt steht nun wieder ein Stück Versöhnung an. Vor dem Heimspiel gegen Wolfsburg ist ein Fan-Treffen angesetzt. Doch das dürfte außer warmen Worten nicht viel ergeben. Die tiefsitzenden Konflikte sind strukturell bedingt. Der FC Bayern hat die meisten Anhänger in Deutschland – aber der Klub beschäftigt nur zwei Fan-Beauftragte. Da sind andere Vereine viel weiter, Arminia Bielefeld oder der VfL Bochum und vor allem der Hamburger SV. ‚Der HSV ist vorbildhaft aufgestellt. Während in München die Fans eher Folklore sind, finden in Hamburg die Fan-Beauftragten, das Fan-Projekt und der Supportersclub Gehör und werden ernst genommen’, sagt Gabriel. Der HSV-Supportersclub hat sogar einen Sitz im Aufsichtsrat. Eine solche Konstruktion ist beim FC Bayern unter Hoeneß sicher undenkbar.“

Anachronismus

Am Fall Hoeneß versus Fans zeigt Christof Siemes (Zeit) Parallelen und Unterschiede zwischen Fußball und Politik: „In dem neuen Fußball-Märchenschloss vor den Toren Münchens fühlen sie sich als hoch subventionierte Hofnarren nicht mehr wohl. Man kann das, wie Hoeneß, Undankbarkeit nennen: Da tut man alles für sie, und dann wollen sie nicht mal tanzen und singen! Man kann darin aber auch die Resignation der Überflüssigen sehen, die zum Funktionieren des Vereins (der Gesellschaft) nicht mehr wirklich gebraucht werden, aber aus schlechtem Gewissen oder aus Gründen der humanitären Folklore mitgeschleppt werden. Die ganze Hilflosigkeit der Bayern-Verantwortlichen zeigt sich in ihrem Angebot, den Anhängern bei jedem Heimspiel eine Blaskapelle zu spendieren. Das ist das Kulturprogramm für den sozialen Brennpunkt. Die Kurvenfans in ihren Kutten sind ein Anachronismus in einer hypermodernen Arena, die vor allem von Touristen besucht wird, auf der Suche nach den großen Emotionen, zu denen sie selbst nicht mehr fähig sind. Im richtigen Leben ist das die Stimmung, in der Revolten gedeihen. Aber da funktioniert der Fußball dann doch anders, weshalb Hoeneß’ Angriff auf die eigene Basis folgenlos bleiben wird. Zum einen macht ihn seine Wut geradezu liebenswert, liefert sie doch genau die Emotionen, deren Fehlen die Fans beklagen. Zum anderen hält der Fußball ein Beruhigungsmittel parat, das Politiker kaum verabreichen können: Siege. Spätestens am kommenden Wochenende, wenn beispielsweise der vom Geld der Logenbesitzer finanzierte Starstürmer Luca Toni in der Allianz Arena das nächste Tor schießt, werden sich Manager und Fans wieder in den Armen liegen. Und jeder weiß wieder, wer er ist.“

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