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Internationaler Fußball

Hat der englische Selbstbetrug, zu den wirklich Großen zu gehören, nun ein Ende?

Oliver Fritsch | Freitag, 23. November 2007 Kommentare deaktiviert für Hat der englische Selbstbetrug, zu den wirklich Großen zu gehören, nun ein Ende?

England scheidet aus – Zeit für Kritik an Trainer und System / Portugal minimalistisch / Die Lasten der Ost-Erweiterung (FAZ)

Christian Eichler (FAZ) fordert England nach dem Ausscheiden zur Besinnung und zu Reformen auf: „Vielleicht war es nur der ironische Gerechtigkeitssinn einer fußballkundigen Schicksalsgöttin: dass sie den Engländern nicht erlaubte, ihr Versagen auf die Ergebnisse anderer schieben zu können. Sie sollten es schon eigenfüßig vollenden. Beinahe wäre alles doch noch gutgegangen, der englische Selbstbetrug, zu den wirklich Großen der Fußballwelt zu gehören, wäre wieder einmal um zwei Jahre verlängert worden, bis zum nächsten großen Turnier. Wenn man in England nun endlich die Defizite in der Trainerausbildung angehen sollte, der taktischen Schulung von Talenten, der modernen Verbandsorganisation, die jahrelang von den Erfolgen der international geprägten Premier-League-Klubs übertüncht worden waren – dann wird das auch das Verdienst eines Dortmunders sein: Mladen Petric konnte er sich in Ruhe zwanzig Meter vor dem Tor den Ball auf jenen linken Fuß legen, von dem man in der Bundesliga, aber offenbar nicht im englischen Team weiß, dass er eine Wucht ist. So schoss er England für den Sommer 2008 von der europäischen Fußball-Landkarte. (…) Um ein Haar wäre McClaren der uncoolste aller EM-Trainer geworden, doch das hat der coolste Nationaltrainer Europas verhindert: der Ohrring tragende und Gitarre in einer Heavy-Metal-Band spielende Slaven Bilic. Der frühere Karlsruher sprach den Engländern einen so ehrlichen wie giftigen Trost zu: ‚Wacht auf. Ihr habt nicht wegen der Taktik verloren. Unser Team ist einfach besser.’ Ihr seid nicht zu dumm, ihr seid nur zu schlecht, wenn das kein Trost ist.“

Raphael Honigstein (taz) legt die Finger in englische Wunden: „Nicht zum ersten Mal hatte die Truppe Todessehnsucht erfasst, man erzwang regelrecht das eigene Unglück. Seitdem die weltweit verehrten Helden der Premier League mit miserablen Vorstellungen in der WM 2006 scheiterten, hat Unsicherheit das (oft unangebracht große) Selbstbewusstsein aus der Kabine verjagt. Überschätzt waren sie immer, aber trotzdem sicher besser als die Euro-Fahrer Schweden, Polen oder Russland. Dramatisch wurde das Problem erst, als in McClaren ein überforderter Trainer die Leitung übernahm, der den Kickern nie Glaube vermitteln oder ein funktionierendes System bieten konnte. Die nach wie vor eklatanten taktischen und technischen Defizite vieler Nationalspieler werden in den Spitzenvereinen von ausländischen Kollegen und Trainern kompensiert; in den Länderspielen aber offenbarte sich, wie nackt selbst Granden wie Steven Gerrard im weißen Trikot dastehen.“

Wir werden sie vermissen, die Engländer

Philipp Selldorf (SZ) wird im nächsten Jahr mit England die Unterhaltung fehlen: „Der Sport der Premier League ist ein großartiges Kulturprodukt und globales Fernsehereignis, das die Menschen in den Savannen Afrikas und den hintersten Dschungeldörfern Asiens begeistert, aber mit Englands Nationalelf hat das nicht viel zu tun. Es führt bloß dazu, dass die Handvoll wirklich guter englischer Profis maßlos überschätzt wird, und die Gagen für die Terrys, Gerrards oder Rooneys ins Absurde steigen. Man kichert darüber, dass die Engländer für ihren immer noch herrschenden imperialen Hochmut bestraft wurden. Aber man wird sie vermissen. Nicht wegen ihres Fußballs, sondern wegen ihrer Anhänger und der lustigen Geschichten, die die Zeitungen erfinden.“ Klaus Bellstedt (stern.de) stimmt ein: „Auch wenn es in Deutschland so richtig keiner zugeben wird: Wir werden sie vermissen, die Engländer.“

Weder fachlich qualifiziert noch dem Amt nervlich gewachsen

Henning Hoff (zeit.de) warnt vor dem Glauben, mit einem Trainerwechsel alleine wäre es getan: „Dass aus dem englischen Nationalteam die Luft heraus ist, liegt nicht nur an McClaren und seinem Mangel an Konsequenz und Ideen, taktischer Raffinesse und moderner Spielauffassung. Verband, selbstherrliche Spieler und hochemotionale Medien haben sich gemeinsam in eine Situation verrannt, wo Strukturen veraltet sind, und die englische Fußballnation trotz der internationalsten und erfolgreichsten Liga der Welt oft merkwürdig provinziell im eigenen Sud kocht.“

Barbara Klimke (Berliner Zeitung) hingegen fokussiert ihre Kritik auf den Trainer: „Warum hat sich die FA erst zu entschlossenem Handeln durchgerungen, als die Katastrophe bereits eingetreten war? Hinweise dafür, dass Steve McClaren, der achtzehn Monate über die Nationalelf herrschte, offenbar weder fachlich ausreichend qualifiziert war für diesen Job, noch dem Amt nervlich gewachsen war, gab es genug: Nur Trainer, die eine heimliche Lust am Untergang verspüren, nominieren einen Torwart wie Scott Carson (22) für ein derart wichtiges Spiel. Der beklagenswerte Carson hatte nie zuvor in einem internationalen Pflichtspiel auf dem Platz gestanden: Kein Wunder, dass ihm die Nerven flatterten. (…) McClaren gab dem Fußballanhang weitere Rätsel auf, zum Beispiel wechselte er David Beckham erst nach der Pause ein. Nichts prägte McClarens Wirken mehr als der Fakt, dass er bis zum Schluss nicht wusste, wie er umgehen sollte mit seinem Hollywood-Star im Team. Nach der WM warf er Beckham kühl und managermäßig aus dem Team, um ein Zeichen für einen Neuanfang zu setzen. Als ihm nach einem 0:0 in Israel das Wasser bis zum Halse stand, holte er Beckham zurück, der es ihm mit zwei Vorlagen beim 3:0-Sieg über Estland dankte. Es gehört zu den Absurditäten der Ära McClaren, dass Beckham ihn im Nationalteam wohl überlebt.“

Ausgeschieden, aber welch eine Flanke von Beckham zum 2:2!

Prosa gegen Poesie

Georg Bucher (Neue Zürcher Zeitung) befasst sich mit der Qualifikation Portugals: „Anhänger der Selecção waren mehrheitlich enttäuscht von Scolaris Taktik. Konservatismus hielten sie ihm vor, eine übervorsichtige Strategie, die es den Spielern verwehrte, ihre Begabung zu zeigen. Prosa gegen Poesie – so könnte man die Kluft zwischen Trainer auf der einen, Aficionados und Medien auf der anderen Seite umschreiben. Ein Graben, der immer schon bestand und wohl nicht mehr zu überbrücken ist: hier nüchternes Kalkül, dort magische Erwartungen.“

BLZ: Rekorde für den Rentner – Otto Rehhagel führt Titelverteidiger Griechenland zur besten Quote in der EM-Qualifikation

Zumutung für verwöhnte Luxus-Profis – und für Fans

Fazit – Eichler hält es für den sportlichen Wert nicht dienlich, dass so viele Teilrepubliken der Ex-UdSSR bei der Europameisterschaftsqualifikation mitspielen: „Das große Glück der deutschen Elf war es, die einzige Qualifikationsgruppe erwischt zu haben ohne sowjetische oder jugoslawische Restbestände, ohne mittwöchliche Kaukasus- oder Balkan-Trips zwischen den Liga-Spieltagen. Gleich dreimal dagegen mussten etwa Polen und Portugiesen in den Kaukasus oder dahinter. Weder Kasachstan noch Aserbaidschan, weder Armenien noch Georgien kamen auch nur annähernd in die Nähe einer EM-Teilnahme, auswärts holten sie (bis auf Georgien auf den Färöern) keinen einzigen Punkt. Daheim in Asien aber haben sie einigen Europäern ein Bein gestellt, was wohl nicht für sportliche Qualität spricht und für einen Gewinn als Schauwert durch diese Ost-Erweiterung, sondern für die Widrigkeit der Reise und Holprigkeit der Plätze. Schottland gewann in Frankreich und verlor in Georgien – es kostete die EM-Chance. Die Finnen bestanden gegen Polen und Portugal, verloren Punkte aber in Aserbaidschan und Armenien. Die Serben ließen die EM-Teilnahme in Kasachstan liegen. Man könnte das den Reiz sportlicher Unwägbarkeit nennen, eine schöne Zumutung für verwöhnte Luxus-Profis. Doch am Ende ist es auch eine Zumutung für die Fans, die bei über dreihundert Qualifikationsspielen zu viele unschöne und ungleiche Partien geboten bekamen, ehe kaum ein Dutzend Mal wirklich gute Teams entscheidend aufeinandertrafen.“

In den Tiefen der kasachischen Steppe starb so mancher Fußballtraum von der EM-Qualifikation

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