Bundesliga
Aufschrei der Kurzehosenträger
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| Montag, 3. Dezember 2007Pressestimmen zum 15. Spieltag, Teil 1: Die Kritik an den Terminplänen belegt die Kurzsichtigkeit der Branche; Werder trotzt allen widrigen Umständen und gibt sich als Meisterkandidat; Bayer Leverkusen zeigt sich wieder mal von seiner besten Seite
Jan Christian Müller (FR) kontert die Kritik einiger Spieler und Trainer (jüngstes Beispiel Hamburgs Trainer Huub Stevens) an den Terminplänen der „Krawattenträger“: „Das Geschrei trifft mit den Managern der DFL die Falschen. Dort ist Holger Hieronymus für den Spielbetrieb zuständig. Der trägt zwar inzwischen bei der Arbeit tatsächlich Krawatte, ist aber deshalb weder automatisch fett geworden noch dekadent oder selbstherrlich und fühlt sich daher derzeit mit Recht auf den Schlips getreten. Die Bundesliga-Manager haben den Spielplan, der ja nicht vom Himmel gefallen ist, nämlich mit Rücksicht auf Fans, Fernsehen und Finanzen abgenickt. Dass zudem die Agentur Team (Achtung: Krawattenträger!) als Champions-League-Vermarkter Mittwochspiele des Uefa-Cups an Spieltagen des Premiumprodukts ablehnt, ist nachvollziehbar. (…) Niemand sollte sich etwas vormachen: Mehr Sonntagsspiele würden weniger TV-Einnahmen und mehr Ärger mit den Fans bedeuten.“
Auch Peter Heß (FAZ) lässt Stevens, Rummenigge und Co ins Leere lauen: „Der Ärger der Profis ist nachvollziehbar, aber er spricht nicht für ihre Denkfähigkeit. Wenn vier Bundesligaklubs donnerstags im Uefa-Cup mitmischen, dann muss in der Regel fast immer wenigstens einer am Samstag ein zweites Mal ran. Denn die Uefa hat den Dienstag und den Mittwoch für die Champions League geblockt und die DFL nur zwei Sonntagsspiele in den Fernsehverträgen festgeschrieben. Diesen Kontrakt haben alle Vereine mit Begeisterung abgesegnet, weil er die fetteste Beute, sprich das meiste Geld, einbrachte. Nur weil die Erlöse aus der Vermarktung quasi explodierten, konnten sich die Gehälter der Profis in den vergangenen fünfzehn Jahren vervielfachen. Der Aufschrei der Empörung ist also nichts anderes als ein Ausdruck von Wichtigtuerei, von Distanz zum Fußballgeschäft, in einem Ausmaß, das die Ignoranz streift. Von Leuten, die den Fußball nach ihrer Bequemlichkeit gestalten wollen und nicht nach den Bedürfnissen der Marktwirtschaft fragen. ‚Kurzehosenträger’ wäre eine griffige Formulierung für Profis, deren Gedanken nach der ersten Gehirnwindung so schnell enden wie ihre Sportbekleidung über dem Knie.“
Das beste Immunsystem der Liga
Dass es den gebeutelten Bremern, 2:1-Sieger gegen Hamburg, gelingt, auf Platz 2 zu stehen, veranlasst Christof Kneer (SZ), ihnen besondere Stärke zuzuschreiben: „In Bremen hat sich eine ebenso rührende wie rätselhafte Kultur des Schaafismus entwickelt, und das Bemerkenswerte an dieser Kultur ist, dass sie den Wettbewerbsgedanken ausdrücklich einschließt. Die Bremer leben keineswegs in einer weltfremden Idylle, sie leben in einer Welt, in der Real Madrid und der HSV vorkommen und auch besiegt werden – und zwar von ersatzgeschwächten Bremer Teams. Um Werders aktuellen Tabellenplatz angemessen zu würdigen, muss man noch mal an all die schlechten Nachrichten erinnern: Die Bremer haben 2007 nicht nur so viele Verletzte gehabt, dass es für die Jahresbilanz einer handelsüblichen Bundesliga-Elf gereicht hätte. Sie hatten auch so viele Affären, dass man damit drei handelsübliche Klubs kleingekriegt hätte – das Transfergerangel um Klose; die Indiskretion im Trainingslager, als ein ungenannter Profi dem Trainer Schaaf falsches Training zur Last legte; die Verpflichtung des umstrittenen Sanogo; die undurchsichtige Krankengeschichte von Carlos Alberto; die undurchsichtige Verletzungsgeschichte von Torsten Frings; die Prügelei zwischen dem nicht mehr umstrittenen Sanogo und dem immer noch undurchsichtigen Carlos Alberto; schließlich die schweren Vorwürfe bei Klasnics Krankengeschichte. Aber der Klub hat ein so gesundes Wachstum hinter sich, dass er selbst von solchen Auf- und Erregern nicht ernsthaft zu kränken ist. Die Elf hat das beste Immunsystem der Liga, und diese Abwehrkräfte verdanken sich einem stabilen Kader, einem vertrauten taktischen System und einem Umfeld, in dem der klubinterne Ehrgeiz größer ist als der Druck von außen.“
Die menschlichste unter den Mannschaften im Profifußball
3:0 in Berlin – Claudio Catuogno (SZ) schwärmt von Leverkusens Reife: „Es war Carsten Ramelows (33) 333. Bundesligaspiel, und im Grunde war alles wie immer: Er spielte auffällig-unauffällig, leuchtete semmelblond und gab dem Auftritt des jungen, zum Wirbeln und Zwirbeln neigenden Bayer-Ensembles Struktur und Stabilität. Er erfüllte genau jene Aufgabe, für die ihn seine Trainer in Leverkusen und bei der Nationalelf jahrelang schätzten. (…) Die Leverkusener Partie war ein stringentes Plädoyer für würdevolles Altern im Profibetrieb. Es war nämlich Sergej Barbarez, 36, der im Doppelpass mit Paul Freier Barnettas 2:0 auflegte. Und dann wurde auch noch Bernd Schneider, 34, eingewechselt, erstmals nach zehnwöchiger Verletzungspause. Schneider schickte in der Nachspielzeit eine Flanke hinüber auf die andere Seite, für die man GEMA-Gebühr verlangen müsste, weil nur Künstler sie so hervorbringen können, Barbarez zog volley ab – 3:0. Für Lucien Favre hielt der Nachmittag keine schönen Erkenntnisse bereit. Sobald eine Partie eine gewisse Handlungsgeschwindigkeit überschreitet, beginnt das Hertha-Spiel unrund zu laufen wie schlecht gewuchtete Winterreifen.“
Christian Zaschke (SZ) verfasst eine Art Hymne auf die ästhetische Lockerheit Bayer Leverkusens: „Es ist an der Zeit, das arme und verkannte Leverkusen ein wenig zu preisen. Da Stadt und Werk sich zum Preisen kaum eignen, sei die Werkself besungen. Am Wochenende hat sie wieder einmal den schönsten Fußball der Welt gespielt, dieser Pass von Schneider auf Barbarez, und wie Barbarez dann volley mit links von links – wer nicht erkannte, wie schön das war, dem fehlt es links, wo das Herz sitzt. Immer wieder mal spielt die Werkself den schönsten Fußball der Welt, aber nur, wenn sie Lust hat. Wenn sie keine Lust hat, spielt sie Dienst nach Vorschrift, höchstens. Weil wie bei jedem Menschen sich Lust und Unlust bei der Werkself abwechseln, hat sie noch nie etwas gewonnen, und als sie doch einmal etwas gewann, war es der Uefa- Pokal, den Franz Beckenbauer bekanntlich treffend als Cup der Verlierer bezeichnet hat. Den Leverkusenern fehlt sympathischerweise der letzte Biss, der Killerinstinkt, und es gibt keine andere Mannschaft, der man es so deutlich ansieht, wenn sie keine Lust hat. Wenn einer krank ist bei der Werkself, macht ihn Physiotherapeut Dieter Trzolek gesund. Bei Eisenmangel empfiehlt Trzolek zum Beispiel, einen Apfel zu essen, in dem über Nacht sechs Nägel steckten, und bei Muskelkater empfiehlt er eine Flasche Bier. Das in der Stadt des Chemiewerks, wohlgemerkt. Launisch, ohne letzten Biss, an einem guten Tag zum Schönsten fähig und immer wieder dieser Muskelkater: Bayer 04 Leverkusen ist ohne Zweifel die menschlichste unter den Mannschaften im Profifußball.“