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Bundesliga

Erst mit Klinsmann wird der wahre Umbruch beginnen

Oliver Fritsch | Montag, 14. Januar 2008 Kommentare deaktiviert für Erst mit Klinsmann wird der wahre Umbruch beginnen

Weitgehend große Zustimmung zur Entscheidung Bayern Münchens, Jürgen Klinsmann als neuen Trainer zu engagieren; doch eine skeptische Frage brennt der Presse auf den Nägeln: Wird es den Vereinschefs gelingen, sich selbst künftig zurückzunehmen?

Peter Unfried (taz) gratuliert allen Seiten: „Aus Sicht der Unternehmensführer, also des Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge und des Managers Uli Hoeneß ist es eine symbolpolitisch clevere und fachlich waghalsige Sicherheitsentscheidung. Symbolpolitisch clever, weil Klinsmann jenen nötigen Aufbruch verkörpert, den den Rumwurschtel-Chefs keiner mehr zutraut. Waghalsig, weil Klinsmann ein absoluter Anfänger als Klubtrainer ist. Eine Sicherheitsentscheidung deshalb, weil die Verantwortlichen dafür Lob bekommen, aber nicht verantwortlich sein werden, wenn es schief läuft. Klinsmanns Aura als erfolgreicher Bundestrainer, Modernisierer, Polarisierer und Projektionsfläche für Aggressionen und auch sein Anspruch ist so stark, dass er im Misserfolgsfall die ganze Schuld bekommen wird. Aus der Perspektive Klinsmanns ist es eine mutige Entscheidung. Was hat er wirklich drauf? Diese Frage ist für Experten noch längst nicht beantwortet. Er könnte tief fallen. Klar ist jetzt eines: Dieser Mann verlässt den kalifornischen Strand nur dann, wenn es gilt, eine maximale Herausforderung anzugehen. Respekt.“

Roland Zorn (FAZ) fragt sich, ob Hoeneß, Rummenigge und Beckenbauer wissen, welche Folgen für sie und ihre Eitelkeit die Verpflichtung Klinsmanns nach sich ziehen wird: „Was wird aus den Bayern-Granden, wenn der amerikanische Freund zurückkehrt? Wird dann die Münchner Kakophonie, der zuletzt der Nochtrainer Hitzfeld zum Opfer fiel, verebben? Hat die bayerische Fußballfolklore unter den Neue-Welt-Verhältnissen noch eine Chance? Gibt es in der Saison 2008/09 noch die beliebten ‚Schimpf nach zwölf’-Bankettreden im Anschluss an verlorenen Champions-League-Partien, die früher zum Solo für Franz Beckenbauer wurden und inzwischen von Karl-Heinz Rummenigge beansprucht werden? Und wer wird in Zukunft noch Profis finden, die sich bei dieser oder jener Boulevardzeitung oder gar bei einem Vorständler ausweinen? Sind all diese schönen Zeiten, da die Welt der Bayern so schillernd war, dass dem Klub einmal sogar das Etikett ‚FC Hollywood’ anhaftete, unwiederbringlich vorbei? Ausgerechnet unter Klinsmann, der aus der Nähe von Hollywood, vielleicht mit dem neuen Kino-Leitspruch ‚I am Legend’, heimkehrt nach München? Es wäre der Bayern-Albtraum – zu gruslig, um wirklich wahr zu werden.“

Andreas Lesch (Berliner Zeitung) fügt hinzu: „Der FC Bayern wird sich mit dem Trainer Klinsmann umstellen müssen. Er wird die vereinseigene Plaudertasche Franz Beckenbauer bremsen müssen; er wird des Klubpräsidenten Kolumnistentätigkeit und Zuträgerarbeit für die von Klinsmann wenig geliebte Bild-Zeitung prüfen müssen; er wird dem starken neuen Mann kaum so dreist ins Geschäft hereinreden können wie dem schwachen alten Mann Ottmar Hitzfeld. Der Übergang vom Bewahrer Hitzfeld zum Reformer Klinsmann könnte krasser kaum sein. Dieser Richtungswechsel ist das stille Eingeständnis des FC Bayern, dass er bei seinem prahlerisch verkündeten Großreinemachen im Sommer den wichtigsten Posten, den des Trainers, aus Hasenherzigkeit großzügig übersehen hat. Erst mit der Personalie Klinsmann wird der wahre Umbruch beginnen.“

Schrittweise Entmachtung Beckenbauers

Christoph Ruf (zeit.de) lenkt unsere Aufmerksamkeit auf den Versuch Hoeneß’, Franz Beckenbauer das Wort zu entziehen: „Im Hintergrund werden sich die Bild-Strategen allerdings längst Gedanken machen, wie sie mit der Personalie Klinsmann umgehen, bedeutet die Inthronisierung des Kaliforniers doch eine weitere Entboulevardisierung des einstigen FC Hollywood. Paul Breitner mussten die Bayern noch zum Berater machen, um ein Leck zu schließen. An der Wertschätzung Paul Breitners scheint das nicht viel geändert zu haben. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat Hoeneß vergangenen Montag ein sensationelles Statement abgelassen: Beim FC Bayern gebe es ‚nur drei seriöse Quellen: Hoeneß, Rummenigge und Hopfner’. Eine implizite Ohrfeige für Breitner und Beckenbauer, die langjährigen Informanten und Kolumnisten des Boulevards. Nun genügt ein Trainerwechsel, um zumindest Bild weiter von den Informationsströmen abzuschneiden. Beckenbauer hat schon in den letzten Monaten nicht mehr alles erfahren, Klinsmann wird die externe Kommunikation vollends zentralisieren. Mit der Verpflichtung von Klinsmann ist Hoeneß somit die nächste Etappe auf dem schon lange eingeleiteten Weg der schrittweisen Entmachtung von Beckenbauer gelungen.“

Zweckgemeinschaft

Peter Stolterfoht (Stuttgarter Zeitung) betrachtet die Sache skeptischer: „Diese Beziehung ist eine Zweckgemeinschaft, in der auch der Zeitdruck seinen Teil zum Zustandekommen beigetragen hat. Die Bayern mussten schnell einen namhaften Nachfolger von Hitzfeld präsentieren, um wieder Ruhe in den Verein zu bringen. Ganz oben auf der Wunschliste wird der Name Klinsmann aber nicht gestanden haben, schließlich ließ Hoeneß vor der WM 2006 keine Gelegenheit aus, nach verlorenen Testspielen die Arbeit des Bundestrainers Klinsmann zu kritisieren und ihm Sturheit und Egoismus vorzuwerfen. Hoeneß ging damals sogar so weit, das gesamte WM-Projekt sportlich infrage zu stellen. Das hat der mit einem guten Gedächtnis ausgestattete Klinsmann sicher nicht vergessen. Doch dessen Karriere geriet zuletzt ins Stocken. Der ehrgeizige Trainer drohte in seiner Wahlheimat USA immer mehr in Vergessenheit zu geraten. Dieses Problem hat Klinsmann jetzt in großem Stil gelöst.“

Lederhose und Laptop

Matti Lieske (Berliner Zeitung) meint, dass die Stärken Klinsmanns nicht auf dem Platz lägen, sondern außerhalb: „Die Kritik im Ausland beweist nur, wie wenig man dort von der noch immer antiquierten Arbeitsweise in der Bundesliga ahnt. Klinsmann hat zwar keine Erfahrung, aber man darf davon ausgehen, dass er sich in der Theorie weit mehr damit befasst hat, wie ein Klubtrainer arbeiten sollte, als jene, die das Amt in Deutschland ausüben. Selbst seinen spärlichen Äußerungen bei der Vorstellung war zu entnehmen, dass ihm wohl bewusst ist, dass Motivation und Gegneranalyse, zwei Säulen des WM-Erfolgs, bei den vielen Spielen im Vereinsalltag eine weit geringere Rolle spielen. Sein Schwerpunkt ist Organisation, Struktur, individuelle Optimierung. Da haben sich die Bayern zuletzt zwar Know-how aus Italien besorgt, sind aber noch weit von den Standards der Spitzenklubs entfernt.“

Auch Christof Kneer (SZ) verweist auf die Strategiefähigkeit Klinsmanns: „Einen gewissen Charme hat es schon, dass Bayerns Verantwortliche die Strukturen ihres Vereins nun von einem Mann mitbestimmen lassen, von dem sie sich einst mit einem leidenschaftlichen Nie wieder! getrennt haben. Die Bayern sind ab sofort ein Traditionsprojekt, und so erwarten sie von Klinsmann auch, dass er den FC Bayern unter Beibehaltung alter Werte in einen modernen Sportbetrieb umrüstet. Denn das hat Klinsmann, der Unternehmer, der Augenaufhalter, der Keine-halben-Sachen-Macher, zuletzt eindrucksvoll bewiesen: dass er ein Projekt so prägen kann, dass es nachhaltige Wirkung entfaltet. Er ist nach der WM gleich wieder heimgeflogen nach Kalifornien, dennoch hat er der Bundesliga ein paar Revolutiönchen hinterlassen, die längst selbstverständlich sind und die keiner mehr mit ihm in Verbindung bringt. Seit Klinsmann den Kampf ums Tor eröffnet hat, ist der Torwart keine heilige Figur mehr. Munter wechseln die Trainer ihre Torhüter hin und her, und es ist auch Klinsmanns Vermächtnis, dass es auf den Trainerbänken immer enger wird. Klinsmann hat Deutschland den alleinverantwortlichen Trainer abgewöhnt – die Trainerstäbe werden größer und größer, auf den Mannschaftsfotos finden sich Sprinttrainer, Mentalcoaches und Osteopathen. Jürgen Klinsmann soll zur Lederhose den Laptop dazugeben, das ist der Plan.“

Christian Gödecke (Spiegel Online) ergänzt: „Klinsmann wird die Bayern ändern. Mehr jedenfalls, als die Bayern Klinsmann ändern werden. Das verdeutlicht vielleicht am besten, wie stark der Mann ist, den sich die Münchner geholt haben.“ Stefan Osterhaus (Neue Zürcher Zeitung) gibt zu bedenken: „Die Verpflichtung des energischen Visionärs birgt das Risiko, dass gegenwärtig nur noch über den Bayern-Fußball der Zukunft, aber nicht über den der Gegenwart diskutiert wird. Klinsmanns Vertrag beginnt entgegen allen anderen Eindrücken nicht am kommenden Montag, sondern am 1. Juli 2008.“

… kann niemand trennen

Tsp: Jürgen Klinsmann und der FC Bayern – das passt auf den ersten Blick überhaupt nicht. Aber auf den zweiten umso besser, weil beide radikal sind, wenn es darum geht, ihre Ideen durchzusetzen
SZ-Kommentar: In der Praxis ist die mutige Personalie Klinsmann nicht ohne Risiko
BLZ: Die lange Konfliktgeschichte zwischen Klinsmann und Bayern
SZ: Als Spieler wurde Klinsmann bei Bayern München nicht heimisch
FAZ: Klinsmann – voller Lust auf neue Abenteuer
SZ: Internationale Trainer, ein bisschen Milanello und ein Trend zum Ganztagesprofi – Klinsmanns Verpflichtung bedeutet den Abschied von der bayerischen Vereinsfamilie
FAZ: Klinsmann – ein Affront für Lothar Matthäus

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