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Bundesliga

Hertha BSC, gesichtsloser denn je

Oliver Fritsch | Montag, 4. Februar 2008 Kommentare deaktiviert für Hertha BSC, gesichtsloser denn je

Die Pressestimmen zum 18. Bundesliga-Spieltag: Die Berliner 0:3-Niederlage gegen Frankfurt veranlasst die Presse zu Schwarzmalerei / Wackeliger Bayern-Sieg in Rostock / Duisburg verliert 3:3 gegen Dortmund / Kann Huub Stevens nur defensiv? / Winterpause noch zeitgemäß?

Nach dem 0:3 gegen Frankfurt – Andreas Lesch (Berliner Zeitung) kritisiert kühl die Sprunghaftigkeit des Hertha-Managers Dieter Hoeneß: „Der Fußballklub Hertha BSC ist schon immer sehr innovativ gewesen. Er hat in den vergangenen Jahren einen Modetrend nach dem anderen entdeckt; jeder war so geheim, dass niemand sonst ihn bemerkte. In den 90er Jahren unterwarf die Westberliner Hertha sich der Wiedervereinigungsmode und kaufte die Ostprofis Thom, Wosz, Rehmer, Beinlich. Dann erspähte sie die Brasilienmode und gönnte sich Alves, Marcelinho, Luizão. Es folgten der Trend zum gestandenen Typen (Kovac, Bobic) und die Idee, den eigenen Nachwuchs rudelweise in die Erstligaelf zu befördern. Geholfen hat alles nichts, und so hat der Dieter-Hoeneß-Klub noch einmal alle Kraft zusammengenommen und den jüngsten, den schrägsten Schrei der Branche kreiert: die Welt zu Gast bei Hertha. Die Hertha kommt so international daher wie nie, sie spielt gerade ein bisschen Globalisierung, und sie hat sich, getrieben von Trainer Lucien Favre, radikale Reformen verordnet. Jetzt lernt sie, dass Globalisierung und Reformen nie schmerzfrei funktionieren. Die Hertha versucht sich mal wieder im Hauruck-Verfahren neu zu erfinden und wirkt, wie so oft, einen Tick zu radikal. Sie glaubt permanent, etwas nachholen zu müssen, stürzt sich auf jede neue Idee und neigt zur Übertreibung. Die Graumäusigkeit der Gegenwart ist nicht Trainer Favres Schuld. Eher hat Manager Hoeneß zu verantworten, wie Hertha BSC nach jahrelanger Identitätssuche dasteht: gesichtsloser denn je.“

Auch Sven Goldmann (Tagesspiegel) nimmt Herthas Trainer aus der Verantwortung und erwartet eine lange Dürre: „Hertha BSC unter Lucien Favre erinnert im Frühjahr 2008 an die Sowjetunion unter Michail Gorbatschow. Jeder weiß, dass die Reformen ohne Alternative sind. Aber jeder spürt auch, dass man in ein paar Monaten nicht nachholen kann, was über Jahre versäumt wurde. Und dass allzu kühne Erwartungen an der Realität scheitern müssen.“

Integrationsleistung

Michael Reinsch (FAZ) empfiehlt den Berlinern, von ihren Bezwingern zu lernen: „Man darf nicht vergessen, dass im vergangenen Spieljahr auch die fehlende Teamfähigkeit der Berliner Spieler und ihre mangelnde Identifikation mit dem Klub dafür gesorgt haben, dass Dieter Hoeneß siebzehn Spieler abgegeben und das Team damit in alle Winde zerstreut hat. Doch gerade die Eintracht und die Hertha zeigten, dass die Weiterentwicklung oder eben der Neuaufbau einer Mannschaft auch eine Integrationsleistung ist. Die Frankfurter erwiesen sich als eingespieltes Team, als genau die richtige Fassung, in der Martin Fenin, das Juwel aus Teplice, glänzen konnte. Favre dagegen experimentiert mit einem Team, das weder eingespielt ist noch die Vorstellungen seines Trainers von schnellem, modernem Fußball verinnerlicht hat. Der Einstand von Favres brasilianischem Lieblingsschüler Raffael war, obwohl er grell orange Fußballschuhe an den Füßen und sehr viel Hoffnung auf den Schultern trug, farblos. Das gilt auch für die anderen drei Berliner Debütanten.“

Vorruhestand pur

Andreas Burkert (SZ) haut der 2:1-Sieg der Bayern in Rostock nicht vom Hocker: „Eine Woche mit zwei Starterfolgen in die Rückrunde liegt nun hinter den Bayern. Doch diese beiden Siege dürften sie wohl kaum von ihren dezenten Zweifeln befreit haben. Denn in Rostock haben sie ja mal eben im Schnelldurchgang ihre Hinserie nachgestellt. In dieser hatten sich die Bayern nach euphorischem Entrée bleischwer und ideenlos in die Winterpause gerettet. Schlüssige Erklärungen für den Trend sind bisher ausgeblieben. Die zweiten 45 Minuten haben nun ausgereicht, dass die Suche nach Erklärungen schon wieder begonnen hat. Und diese Suche führt unweigerlich zu einem wunden Punkt der neuen, teuren Bayern: der Abhängigkeit vom Mann aus Hitzfelds Windschatten, Franck Ribéry. Wegen Oberschenkelschmerzen war er zur Halbzeit ausgewechselt worden – und somit all das, was das Spiel der Bayern ausgezeichnet hatte. Hitzfelds Leute haben ohne den Flügelläufer ausgesehen wie eine Boeing, die auf halber Strecke eine Tragfläche verloren hat.“

Matthias Wolf (Berliner Zeitung) fügt hinzu: „Ottmar Hitzfeld wirkte sehr nachdenklich. Denn wenn ein derart limitierter Gegner, der drei Tage zuvor im DFB-Pokal an einem Zweitliga-Klub gescheitert war, dessen Starensemble ins Wanken bringt, spricht das nicht für die Klasse des Tabellenführers.“

Stefan Osterhaus (Financial Times Deutschland) kommen die Verdienste und Qualitäten des aktuellen Bayern-Trainers zu kurz: „Hitzfelds Engagement ist im Grunde genommen Vorruhestand pur. Das liegt nicht am Coach, der engagiert wie gewohnt täglich zur Trainingseinheit schreitet. Es liegt einfach daran, dass sein Nachfolger Jürgen Klinsmann heißt. Alles wird darauf hinauslaufen, dass in München eine neue Zeitrechnung beginnt. Es ist das Pech des Mannes aus Lörrach, dass er einfach der Trainer vor Klinsmann ist. Dabei hat es unbestreitbare Vorteile, bereits jetzt zu wissen, dass Hitzfeld geht. Sein Abschied wird die Anhänger nicht plötzlich treffen. Schon jetzt kann jeder darüber nachdenken, was die Bayern an ihm gehabt haben und umgekehrt. Jeder, dem der deutsche Fußball am Herzen liegt, soll noch mal in sich gehen und überlegen, wer vor Hitzfeld die Champions League nach Deutschland geholt hat.“

Ein Unentschieden mit Gewinnern und Verlierern

Richard Leipold (FAZ) zieht aus dem 3:3 zwischen dem Duisburg und Dortmund mehrdeutige Schlüsse: „Auch ein Unentschieden kann Gewinner und Verlierer hervorbringen. Wer hier gewonnen und wer verloren hatte, war zwar nicht am Ergebnis abzulesen, wohl aber an den Gesichtern und an den Worten der Protagonisten. Während die Duisburger wie Verlierer vom Platz schlichen, hatten die Dortmunder über den einen Punkt hinaus allerlei Tugenden zurückgewonnen, die ihnen auf rätselhafte Art abhandengekommen schienen: Selbstvertrauen und Kampfgeist, Mut und Moral. (…) Der Zugewinn könnte über den Teilerfolg dieses Spieltags hinausreichen, falls die Dortmunder nicht wieder in alte Fehler verfallen, wie es oft geschieht, wenn ihnen etwas Gutes gelungen ist.“

Freddie Röckenhaus (SZ) ergänzt, die beiden Trainer im Blick: „Beim Blick auf die neue Tabelle dürfte sich Rudi Bommer in seiner gefühlten Niederlage mehr bestätigt sehen, als Thomas Doll in seinem gefühlten Sieg. Duisburg hätte mit dem schon sicher geglaubten Dreier das Tabellenende verlassen können, bleibt aber mit dem Unentschieden Letzter. Dortmund fällt mit seinem psychologischen Sieg sogar einen Platz weiter zurück. Was beiden Lagern jedoch Hoffnung machte, war das erstaunlich starke Niveau der Partie. Für Dortmund galt dieser Eindruck zwar nur für die zweite Halbzeit. Da fiel von Dolls Mannschaft die schon allzu bekannte Lethargie auf ebenso unerklärliche Weise ab, wie sie vorher alles in Passivität getaucht hatte.“

Countdown für den neuen Trainer

Roland Zorn (FAZ) sagt dem neuen Bielefelder Trainer nach der Niederlage gegen Wolfsburg weiter rauen Wind voraus: „Der Ostwestfale teilt, wenn er sich gekränkt fühlt, gern direkt und unverblümt aus – das weiß seit Samstag auch der Rheinländer Michael Frontzeck, ein Trainer der umgänglichen Sorte. Und vielleicht war es ja sogar hilfreich, dass der neue Coach der Arminia die atmosphärisch aufgeladene Gemengelage an seinem neuen Arbeitsplatz Bielefeld sogleich mitbekommen hat. Dort hat er es ja nicht nur mit einer nach turbulenten Jahren unter seinen Vorgängern Rapolder, von Heesen und Middendorp verunsicherten Mannschaft zu tun, sondern auch mit einem Publikum, das schon mal ruppig der spürbaren Angst vor dem Abstieg zu trotzen versucht. Nach dem Abgang des poltrigen, unberechenbaren Ernst Middendorp versucht sein Nachfolger auf die sanftere Tour, neues Selbstbewusstsein unter seinen Profis herbeizuführen. Doch die ersten Arbeitsproben haben noch kein Indiz für einen Umkehrschwung im Zeichen der Freundlichkeit geliefert. Bielefeld verlor im Pokal-Achtelfinale beim Zweitliga-Kellerklub Jena, Bielefeld verbockte gleich das erste von acht Heimspielen zum Ligawiederbeginn – und das mit einem Auftritt, dem keinerlei Kampfesmut innewohnte. Dem VfL Wolfsburg, dauerrenoviert von Felix Magath und doch noch immer Ligadurchschnitt, reichte eine solide, stabile, aber nicht inspirierte Leistung, um sich die harmlosen Ostwestfalen vom Leibe zu halten.“

Ulrich Hartmann (SZ) pflichtet bei: „Für Frontzeck scheint nach zwei Niederlagen in den ersten beiden Spielen bereits ein Countdown eingeläutet. Gegenüber den bisweilen katastrophalen Bielefelder Leistungen unter dem Trainer Middendorp war die Vorstellung zwar eine Verbesserung; die insgesamt freud- und inspirationslose Aufführung vermittelte allerdings wenig neue Hoffnung, und gerade die sollte sich aus einem Trainerwechsel ja vor allem kurzfristig ergeben. Ob Frontzeck sich bei der Arminia etablieren kann, erscheint von Anfang an fraglich.“

Verlässliche Größe

Ronny Blaschke (Stuttgarter Zeitung) bestätigt den Leverkusenern, 3:2-Sieger in Cottbus, ihre Selbsteinschätzung: „Es gehört zu den gängigen Interpretationen eines besseren Teams, einen kämpferischen Sieg bei einem Abstiegskandidaten als wichtige Reifeprüfung zu deuten. So hat es auch Leverkusen gehandhabt. Während die Cottbuser schimpften, freuten sich ihre Widersacher über den Sieg gegen die Launenhaftigkeit der vergangenen und über die Konstanz der aktuellen Saison. Sachlich, klug und trotz des miserablen Rasens technisch ansprechend beherrschte Bayer das Spiel. Niemand ragte in seiner Leistung heraus und niemand fiel unter den Durchschnitt, selbst Kapitän Bernd Schneider gab nach seiner langen Verletzungspause ein beachtliches Comeback. So ist Leverkusen zu einer verlässlichen Größe heran gewachsen.“

Matthias Wolf (FAZ) widmet sich dem Ärger der Verlierer, die sich vom Schiedsrichter benachteiligt fühlen: „Einige Profis sprachen offen von Betrug. Es war nicht nur die Tatsache, dass Lutz Wagner zuvor ähnliche Strafraumvergehen der Leverkusener ungeahndet ließ. In dieser Saison wurden bereits mehrere zweifelhafte Strafstöße – jene, die man geben kann, aber nicht muss – gegen Cottbus gepfiffen.“

Leidenschaftliche Teamleistung

Christian Kamp (FAZ) erfreut sich an der Qualität Karlsruhes, 2:0-Sieger gegen Nürnberg: „Der KSC, die Überraschungsmannschaft der Saison, machte genau da weiter, wo er vor der Winterpause aufgehört hatte: mit einer leidenschaftlichen Teamleistung auf dem Platz und in der Selbsteinschätzung mit gesundem Realismus und einer ganzen Menge Selbstbewusstsein. So abgebrüht kann ein Aufsteiger also sein, wenn er sich nach einem halben Jahr Bundesliga im oberen Tabellendrittel festgesetzt hat. Doch es wird nicht nur spannend sein zu sehen, wie die Spieler mit dem veränderten Anspruchsdenken umgehen; auch die Begehrlichkeiten anderer Klubs gelten in Baden als potentieller Unruheherd.“

Kein Offensivstratege

Jörg Marwedel (SZ) bemängelt beim 1:1 gegen Hannover die Einseitigkeit des Hamburger Trainers: „Nun ist verbrieft, dass Huub Stevens in dem einen Jahr seiner Amtszeit dem Team Disziplin und eine kaum unüberwindbare Abwehr beschert hat. Aber noch nie war es sichtbarer, dass er als Stratege für das Offensivspiel seiner Mannschaft in etwa so viel wert ist wie Schneeschauer an einem sonnigen Nachmittag. So versteckte er Spielmacher Rafael van der Vaart als einzige echte Spitze und korrigierte dies auch nicht, als der Kapitän nicht ins Spiel kam und sich im Hamburger Mittelfeld derart wenig entwickelte, dass in der ersten Halbzeit nicht ein ernsthafter Schuss auf das Tor von Robert Enke kam. Als Stevens gebeten wurde, diesen vermeintlichen Fehler einzugestehen, sagte er nur: ‚Auch Rafael war nicht so gut wie in den siebzehn Spielen davor. Im Mittelfeld wären die Bälle über ihn hinweg geflogen.’ Eine merkwürdige Erklärung, schließlich baut Stevens das HSV-Spiel ja auf van der Vaart auf.“

Unzeitgemäß

Roland Zorn (FAZ) fordert, die Winterpause zu verkürzen oder abzuschaffen: „Warum sich die Bundesliga überhaupt noch den Luxus erlaubt, ihren Spielbetrieb in der gar nicht mehr so kalten Jahreszeit ruhen zu lassen, ist die zunehmend dringlicher zu stellende Frage. Da demnächst mit der wiedereingeführten Relegation und dem exklusiv auf einen Samstagabend verlegten Champions-League-Finale noch mehr Terminenge herrschen wird, sollte die Liga endlich den Mut aufbringen, ihre Stadiontore spätestens Mitte Januar wieder zu öffnen. Es wäre eine zeitgemäße und im europäischen Trend liegende Reform, die vielen vieles leichter machte und die üblichen Rhythmusstörungen nach zu langer Winterpause minimieren könnte.“

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