Internationaler Fußball
Ein Turnier mit lauter Gewinnern
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| Dienstag, 12. Februar 2008Ägypten, ein Afrika-Cup-Sieger mit europäischem Stil / Liebenswertes Chaos in Sachen Turnierorganisation
Christian Eichler (FAZ) führt den Titelgewinn der Ägypter beim Afrika-Cup auf deren Anpassung an internationale Standards zurück: „Die Logik, mit der sich Afrikas Fußball auf dem Feld zunehmend organisiert und europäisiert hat, fand beim 26. Afrika-Cup, dem spielerisch besten der Geschichte, seinen logischen Sieger. Ägypten war das am feinsten abgestimmte, am flüssigsten eingespielte, das am besten auf modernen, vernetzten Fußball programmierte Team. Taktisch dominierte Hassan Shehatas Mannschaft mit dem anspruchsvollsten System, einem 3-4-1-2, während sein deutscher Gegenpart Otto Pfister damit kokettierte, ‚sich nicht um Taktik zu scheren’. So wurde das Finale in Person der Trainer und ihrer Arbeitsansätze ein Duell der Gegensätze. Shehata ist dreieinhalb Jahre im Amt und hatte den Großteil der Spieler zuvor schon in der Juniorenauswahl geformt. Pfister dagegen übernahm Kamerun erst zwei Monate vor dem Turnier. Doch wie immer, wenn im Fußball scheinbar logische Siege zu erklären sind, bleibt jener launische Rest an Zufall, der, wenn er anders will, auch ganz andere Sieger produzieren kann (die man hinterher genauso logisch erklärt). Das Finale entschied sich in einer einzigen entscheidungsschwachen Sekunde des Kameruner Mannschaftskapitäns Rigobert Song, der sich als letzter Mann den Ball vom eingewechselten Hamburger Mohamed Zidan stehlen ließ. Dessen Querpass verwertete Mohamed Aboutrika mühelos zum 99. Tor im 32. Spiel des Afrika-Cups – eine Quote, die dessen Schauwert belegt.“
Daniel Theweleit (Financial Times Deutschland): „Auf den ersten Blick mag es widersprüchlich aussehen, dass ausgerechnet Ägypten diesen Afrika-Cup gewonnen hat. Nie zuvor war der Einfluss Europas auf den afrikanischen Fußball größer als in diesen Tagen, und doch haben die Ägypter dieses Turnier nun schon zum sechsten Mal gewonnen – mit einem Kader fast ohne Stars aus europäischen Klubs. Otto Pfister, der das Finale mit Kamerun gegen die taktisch disziplinierten Kombinationsfußballer aus Nordafrika 0:1 verlor, weiß eine simple Antwort auf die Frage, wie das zusammenpasst: ‚Das sind doch Europäer, verglichen mit uns hier unten.’ Tatsächlich ist der Fußball in Ägypten – anders als in den Nationen Westafrikas – stark vom temporeichen Kurzpassspiel Südeuropas beeinflusst. Technik und Gewandtheit waren in Ägypten immer wichtiger als Kraft, und traditionell steht das Kollektiv über dem einzelnen Star.“
Die Höhepunkte des Endspiels zwischen Kamerun und Ägypten (0:1)
Um das Drumherum des Turniers zu beschreiben, reiht Eichler einige köstliche Anekdoten aneinander: „So gut die Organisation des Spiels in afrikanischen Teams geworden ist, so sehr entsprach die Organisation des Turniers immer wieder den pittoresken Klischees vom unzähmbaren Schwarzafrika – in dem aber wie durch das übliche Wunder auch das größte Chaos die ansteckend lebensfrohe Stimmung der Menschen (und ihrer Besucher) nicht verderben konnte. Es gab einen Platzwart, der den Rasen vor dem ersten Spiel nicht mähte, weil er schon für die Eröffnungsfeier abgedeckt war. Und ihn dann nicht wässerte, weil schon die Kapelle kam. Bei einem Spiel gab es einen Stromausfall, bei einem anderen eine stinkende, ölige Qualmwolke, die über das Stadion fiel. Es gab Pressekonferenzen, bei denen nicht die Trainer über den Lautsprecher zu hören waren, sondern Durchsagen über falsch geparkte Autos. Es gab die Website des Turniers, auf der die persönlichen Daten von Stars wie Drogba oder Essien veröffentlicht wurden – inklusive der Nummern ihrer Reisepässe, eine Einladung zum Missbrauch der Daten durch Betrüger im Internet. Und die ansonsten öde und nur der Präsentation eines Sponsors dienende Auszeichnung für den ‚Man of the Match’ (üblicherweise einer aus dem Siegerteam) und für den ‚fairsten Spieler’ (einer von den Verlierern) wurde dann doch einmal lustig: als nämlich in Folge einer absurden Verwechslung der zweifache Kameruner Torschütze Job den Fairplay-Preis erhielt und dafür der Kollege Felix Katongo aus Sambia als ‚Man of the Match’, als überragender Mann auf dem Platz, geehrt wurde – nachdem sein Team gerade 1:5 verloren hatte. Katongos Blick, als er die klobige Trophäe erhielt, war unvergesslich: Er glotzte sie an wie einer, der sechs Richtige im Lotto hat, obwohl er gar keinen Schein abgab. Typisch Afrika-Cup: ein Turnier mit lauter Gewinnern – auch solchen, die gar nicht damit rechneten.“