Champions League
Unter den besten Acht Europas hat Schalke eigentlich nichts zu suchen
Kommentare deaktiviert für Unter den besten Acht Europas hat Schalke eigentlich nichts zu suchen
| Freitag, 7. März 2008Schalke zieht ins Viertelfinale ein, doch die Presse ist nicht bereit zu feiern – allein Torwart Manuel Neuer wird geküsst und geherzt; Trainer Mirko Slomka wird dazu aufgefordert, Charakter zu zeigen / Michael Ballack trifft und erhöht sein Status in Chelsea / Bernd Schuster verliert und hat schlechte Manieren
Philipp Selldorf (SZ) betont die Sonderklasse Manuel Neuers: „Nur durch die unnormale Leistung seines Torwarts hat Schalke 04 gegen einen spielerisch turmhoch überlegenen und jederzeit übermächtigen Gegner das Viertelfinale der Champions League erreicht. Alle Schalker waren gerannt, bis sie Krämpfe bekamen und buchstäblich vor Erschöpfung umfielen, doch die nötige Klasse für dieses Achtelfinale hatte nur Manuel Neuer.“ Andreas Morbach (Financial Times Deutschland) ergänzt: „Man kann so schlecht spielen wie Schalke 04 – wenn Manuel Neuer einen guten Tag erwischt, reicht es wie in Porto fürs Viertelfinale.“
Stefan Osterhaus (Neue Zürcher Zeitung) gönnt ihm den Triumph: „Goalie Manuel Neuer verstand nicht nur mit den Händen, sondern auch mit den Füßen beinahe alles zu meistern, was die Portugiesen in sein Tor zu schießen gedachten. Binnen eines halben Jahres hat er einen kuriosen und keineswegs widerstandslosen Weg hinter sich gebracht: vom mutmaßlich größten Torhütertalent des Erdballs, wie es der DFB-Direktor Sammer einmal formuliert hatte, hin zu einem Nervenbündel mit implantierter Fehlerquote. Der letzten Parade gegen Lopez ging ein beinahe unheimlicher Reflex voraus. Der hart und placiert getretene Ball wäre nach allen Gemeinplätzen des Fußballs unhaltbar gewesen.“
Woanders lesen wir Neuer-Kitsch: „Er war so genial – wie Picasso, wie Michelangelo, wie Dürer. Er war der beste Torwart, den die Welt jemals gesehen hat. Er war ein Mensch, von dem die Vögel in den Büschen flüstern. Er war perfekt, fehlerfrei, ein Genie, großartig, wunderbar. Er war ein Mensch, wie wir alle sein möchten.“
Schalker Auftreten ohne Champions-League-Reife
Ronald Reng (Berliner Zeitung) verblüfft Schalkes Viertelfinalqualifikation vollends: „Klammert man die fünf Tore in den Spielen gegen das erwiesen biedere Trondheim aus, hat sich Schalke mit einem einzigen Tor in den anderen sechs Begegnungen bis ins Viertelfinale durchgeschlagen. Das ist ein guter Indikator, was für ein Freak-Ereignis ihr Vorstoß ist, aber auch was für defensive Qualitäten und erhebliche Mängel die Elf hat. Schalkes Verteidigungssystem hatte vom Mittelfeld rückwärts Ordnung. Doch unterliefen allen Spielern bis auf Jermaine Jones und Marcelo Bordon so viele simple Fehler am Ball, dass sie sich gegen ein lebhaft kombinierendes, aber wenig durchschlagkräftiges Team der internationalen Klasse 1b immer wieder selbst in Bedrängnis brachten. Kevin Kuranyi weckte wieder einmal den Verdacht, dass er Taktik nicht versteht. (…) Und da stehen sie nun: unter den besten Acht Europas, wo sie nach Qualitätskriterien nichts zu suchen hätten.“
Thomas Klemm (FAZ) rät Josef Schnusenberg und den Schalkern Verantwortlichen, ihren Stil zu überdenken: „Selbst nach dem glücklichen Erfolg weiß niemand so recht, welche Botschaften von den ‚Königsblauen’ ausgehen: dass ein Treffer im Hinspiel und jede Menge Glück reichen können, gegen einen in allen Belangen überlegenen Gegner zu überstehen? Oder dass man einen Trainer getrost so lange kleinreden kann, bis sogar ein Zittersieg wie der große Befreiungsschlag daherkommt? Oder dass es eigentlich völlig gleichgültig ist, wie sich ein Klub nach außen hin darstellt, solange nur der sportliche Erfolg einkehrt? Den schlechtesten aller Schlüsse, die Schalke 04 nach dem sportlichen Überraschungserfolg ziehen könnte, wäre jener, dass ein Sieg alle Mittel heilige. Obwohl nun unter die besten acht Mannschaften Europas eingezogen, zeugte das Schalker Auftreten in den vergangenen Tagen beileibe nicht von Champions-League-Reife.“
Werden Sie hart nach innen!
Ingo Durstewitz (FR) wertet es als Affront Kevin Kuranyis, seinem Trainer den Handschlag zu verweigern und fordert Maßregelung: „Kuranyi, der sich noch wortreich für den Fußballlehrer stark gemacht hatte, hat die Autorität des Trainers untergraben. Das ist schlimm. Verwerflich ist es, weil er um die geschwächte Position Slomkas weiß, der von der Vereinsführung beschädigt worden war. Slomka indes hat eine Chance verpasst, sich mit einer berechtigten Bestrafung ein wenig Respekt zu verschaffen. Eine saftige Geldstrafe und eine temporäre Nichtnominierung wären nicht nur ein Denkzettel, sondern auch ein Signal gewesen. (…) Slomka wird der nette Herr Slomka genannt. Und wer noch nicht wusste, warum, der weiß es nun. Der Mann muss masochistisch veranlagt oder ein guter Christ sein, denn wer so viel Prügel bezieht, ohne auch nur einmal zurückzuschlagen, dem müssen die Wangen glühen.“
Drei Ecken, ein Elfer rät Slomka: „Bleiben Sie smart nach außen, lächeln Sie die Unverschämtheiten einfach weg! Aber werden Sie unbedingt hart nach innen! Werfen Sie Kuranyi raus! Machen Sie sich klar, dass es nicht an Ihnen liegt, wie lange Sie Trainer auf Schalke sein werden! Machen Sie sich klar, dass es auch nicht ihr Ziel sein sollte, möglichst lange irgendwie auf Schalke Trainer zu sein! Ihr Ziel sollte sein, immer die Kontrolle über die ihnen per Vertrag zugeschriebenen Kompetenzen zu haben. Wenn Ihnen das gelingt, werden Sie auch ob ihrer auf den Sport bezogenen Fähigkeiten immer einen Job haben. Bei welchem Verein auch immer.“
Schönen Gruß aus dem ewigen Torwartland
Klaus Hoeltzenbein (SZ) witzelt angesichts der englischen Stärke über Schalkes Rückbesinnung auf deutsche Tugenden: „Mode wird im Fußball in England gemacht. Der letzte Schrei ist aktuell das Arsenal des Arsène Wenger. Es entzauberte die Senioren von Titelverteidiger AC Mailand derart überwältigend, dass diese sich ihrer Niederlage nicht einmal arg schämen mussten. Führt doch das lange Zeit sehr selbstverliebte Arsenal heute im Repertoire, was lange als unvereinbar galt: filigranen Kreiselfußball und kräftigen Kick-and-rush frisch von der Insel. Kombinierbar je nach Bedarf. Was Schalke unter den letzten Acht zu suchen hat? Nicht weniger als Fenerbahce, AS Rom und Barcelona: Den Partysprenger spielen, wenn England sich trifft. Und sei es, wie in Porto, mit teutonischen Stilmitteln aus den achtziger Jahren. Erst einmal zittrig mit der Null stehen, später in die Verlängerung taumeln, Elfmeter!, Glanztat!, grenzenloser Jubel! Wer will, darf dies Traditionspflege nennen. Mit einem schönen Gruß aus dem ewigen Torwartland.“
101 great goals: Die Highlights auf Video
Armee von Einzelkämpfern
Michael Ashelm (FAZ) schreibt über die Bedeutung von Michael Ballacks Tor gegen Piräus: „Sein aktueller Beitrag hat ihm neue Standfestigkeit auf Chelseas gefährlich glattem Boden gegeben. Selbstbewusst adressierte Ballack seine Erwartungen an den wankelmütigen Trainer, dem die stete Präsenz des Deutschen und die gute Spielaufteilung mit dem englischen Platzhirschen Lampard nicht entgangen sein dürfte. Ballack stellte deutlich fest, dass er sich als wichtiges, unabkömmliches Mitglied des Führungszirkels auf dem Platz ansieht. Diesen Anspruch hat er sich in den vergangenen Monaten hart erarbeitet.“
Raphael Honigstein (Financial Times Deutschland) bezweifelt die angebliche, neue Harmonie in Chelseas Mittelfeld: „Abgesehen davon, dass die bodenlos schlechte Leistung der Griechen eine realistischere Bewertung von Chelseas Spiel nötig machte, konnte man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass die zwei Männer im Mittelfeld in Wahrheit nicht so hervorragend zusammengespielt hatten – sondern nur sehr gut nebeneinander. Grants Truppe zermürbt den Gegner nicht mehr im Kollektiv, der Israeli lässt vielmehr eine Armee von Einzelkämpfern los. In seinen besten und schlechtesten Momenten entspricht Chelseas Spiel einer Aneinanderreihung von individuellen Glanzpunkten, entscheidend ist oft nur der Grad des Widerstands.“
Chelsea/Olympiakos (3-0)Hochgeladen von O-Marseille
Mürrisch und maulfaul
Ralf Itzel (Berliner Zeitung) stört sich an Bernd Schusters schlechten Manieren, weswegen sich sein Mitleid nach dem Ausscheiden gegen Rom in Grenzen hält: „Demut hätte ihm gut zu Gesicht gestanden, nach der Arroganz der letzten Zeit. Mal überhöhte er die Leistung seiner Elf durch einen Vergleich mit dem Stil des Tennis-Ästheten Roger Federer, häufig kritisierte er die Presse, die Schiedsrichter, Kollegen. Oder er war nur mürrisch und maulfaul: Nach dem jüngsten Ligaspiel in Huelva brach er die Pressekonferenz nach dreißig Sekunden ab, weil ihm eine Frage nicht passte. Nun ist die Schadenfreude groß darüber, dass der erfolgreichste Fußballverein der Geschichte das vierte Jahr in Serie den Sprung unter die besten Acht Europas verpasste. Dabei wurden im Sommer hundert Millionen Euro in neues Personal investiert.“
Schuster wird in mehreren deutschen Zeitungen mit der selbstgerechten Aussage zitiert: „Für mich ist das keine Niederlage“, was die FR zu einer schönen Schlagzeile inspiriert: „Real existierender Schusterismus“
NZZ-Bericht Real–Roma (1:2)
Real Madrid/AS Rome (1-2)Hochgeladen von O-Marseille