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Bundesliga

Ist dem HSV noch zu helfen?

Oliver Fritsch | Montag, 28. April 2008 Kommentare deaktiviert für Ist dem HSV noch zu helfen?

Themen des 30. Spieltags (Teil 1) sind der Fall des Hamburger Teams, die Unentschlossenheit der Klubführung und der Autoritätsverlust Huub Stevens’; Schalke jubelt über Ergebnisfußball; Werder Bremen wirft de Presse auch dann Kusshände zu, wenn es nicht gewinnt; Dramen und Heldengeschichten in der Abstiegszone; weiter Kritik an Thomas Doll

Rainer Seele (FAZ) beklagt die Erstarrung Hamburgs: „Ist dem HSV noch zu helfen? Weder ist die Mannschaft stabil genug, um die Liga-Herausforderungen zu bewältigen, noch scheint die Führung des Klubs Entschlossenheit und Einigkeit bei der Suche nach einem Nachfolger für Huub Stevens zu zeigen. Zwar weisen die Hanseaten einen Zusammenhang zwischen der sportlichen Flaute und der bevorstehenden Demission von Stevens entschieden zurück. Gleichwohl könnte die andauernde Hängepartie in Sachen Neubesetzung eines wichtigen Postens belastend, vielleicht sogar hemmend auf das Team wirken. Die hanseatischen Fußball-Kaufleute erwecken derzeit den Eindruck, konsequentes Handeln zu scheuen. Im Gegensatz etwa zu ihren Gelsenkirchener Kollegen, die sich flugs neu orientierten und Fred Rutten unter Vertrag nahmen. Der HSV hingegen fahndet weiter – so lange vielleicht, bis doch nur noch eine Notlösung übrigbleibt. Und der Flug nach Wladikawkas endgültig gebucht werden kann.“

Eigentlich müssten die Hamburger darüber nachdenken, den Trainer zu entlassen, meint Jan Christian Müller (FR): „Hätten sie Stevens nicht eine ganze Menge zu verdanken, nämlich den Nichtabstieg in der vergangenen Saison mit überraschender Uefa-Cup-Teilnahme und würde der Coach nicht ohnehin zum Saisonende auf eigenen Wunsch hin gehen – es wäre jetzt dringend an der Zeit, sehr ernsthaft über eine Trennung nachzudenken. Denn die Entwicklung dieser mit einigen doch recht Hochbegabten versehenen Mannschaft, die ja nicht erst seit vorgestern einen Fußball spielt, der mit modest [gemeint ist wohl bescheiden, OF] noch freundlich umschrieben ist, zeigt deutlich nach unten. Die Körpersprache der HSV-Profis demonstrierte den nicht besonders guten Schalkern früh, dass sie hier mit einer Routineleistung über die Runden kommen würden.“

Christian Zaschke (SZ) beobachtet den HSV mit den faszinierten Augen eines Aeronautikers: „Auf faszinierende Weise gleichen die Bewegungen des Hamburger SV der vergangenen Jahre einem Parabelflug. Bei dieser Art von Fortbewegung fliegt ein Flugzeug äußerst steil nach oben, dann drosselt der Pilot die Triebwerke, die Maschine beschreibt eine Wurfparabel – sie steigt also noch ein wenig, dann kippt die Nase allmählich vornüber. An der Spitze dieser Bewegung herrscht Schwerelosigkeit. Dann geht es steil wieder nach unten, die Schwerkraft wirkt, und der Pilot fängt die Maschine ab, indem er die Triebwerke hochfährt.“

Stevens’ Autoritätsverlust

Sebastian Stiekel (FAZ) macht alle euphorische Schalker darauf aufmerksam, dass sie alten Wein in neuen Schläuchen vorgesetzt bekommen: „Abgesehen vom wichtigen Umstand, gleich die erste Chance genutzt zu haben, war kein großer Fortschritt im Schalker Spiel nach der Entlassung von Mirko Slomka zu bemerken gewesen. Man sah zwar mitunter, welch großes Potential in der rund 50 Millionen Euro Personalkosten verschlingenden Mannschaft steckt, aber allzu viel Inspiriertes tat sie nach der frühen Führung nicht mehr. Ihre letztlich erfolgreiche Strategie bestand darin, exzellent zu verteidigen sowie den HSV eine untolerierbar hohe Anzahl leichter Fehler machen zu lassen. Vor ein paar Wochen hätte dieser abwartende Stil womöglich noch ein Murren in der Chefetage nach sich gezogen, am Samstag genügte diese Spielart jedem. Denn Schalke setzte einen Meilenstein auf dem Weg in die Champions League.“

Über die Hamburger Schwächen und augenfälligen Probleme heißt es bei Stiekel: „Der HSV wirkt entkräftet nach 48 Saisonspielen, zu viele Profis sind außer Form (van der Vaart, Trochowski, Kompany) oder waren länger gesperrt (Mathijsen, Jarolim). Dazu veränderte sich der Charakter der Mannschaft. Von einem Team, das monatelang alle Vorgaben zuverlässig umsetzte, die der Trainer und das Regelwerk ihm stellten, entwickelte sich der HSV zu einem undisziplinierten Gefüge. Gegen Schalke gab es zwar keine Roten Karten, dafür aber Schlampereien anderer Art. Beim 0:1 wurden weder der Flankengeber noch der Torschütze gestört, und als Ivica Olic kurz vor der Pause auf den linken Flügel geschickt wurde, ließ man ihn dort mit drei Schalkern allein. Das sind Beispiele, die wie van der Vaarts jüngste Kritik am Trainer in der Hinrunde unvorstellbar gewesen wären. Sie lassen den Schluss zu, dass Stevens an Autorität verloren hat. Das Problem der Hamburger Spieler mit der Trainerfrage scheint nicht zu sein, dass sie nicht wissen, wer der neue wird, sondern dass sie genau wissen, dass der alte bald weg sein wird.“

Werder macht Spaß

3:3 in Karlsruhe – Tobias Schächter (Berliner Zeitung) verliebt sich in Werder Bremen: „Eigentlich war dieses Unentschieden wie eine Niederlage für Werder, doch die Analyse fiel vielleicht deshalb so offenherzig aus, weil alle Beteiligten noch berauscht wie nach dem ersten Kuss wirkten. Die Vermarkter der DFL wären nicht schlecht beraten, diese 92 Minuten als Imagefilm in die weite Fußballwelt zu senden, um den Fans in Asien und anderswo zu zeigen: ‚Hallo: Die Bundesliga bietet auch Spektakel!’“

Oliver Trust (Stuttgarter Zeitung) fügt seine Grüße hinzu: „Klaus Allofs wusste sicher nicht genau, in welch einsame Position er sich begab, als er forderte, den ‚Aspekt Sicherheit’ künftig mehr in den Vordergrund zu stellen. Es dürfte sich kaum ein Fußballfan in Deutschland finden lassen, der Allofs‘ Ansinnen nicht sofort ohne jede weitere Diskussion ablehnen würde. Werder Bremen zuzuschauen macht viel zu viel Spaß.“

Bemerkenswert auch, wie die Bremer Gegner zitiert werden: KSC-Verteidiger Christian Eichner lobt: „Wir würden noch eine Weile hier stehen, wenn wir die Vorzüge von Werder aufzählen würden. Drei Ballkontakte aus dem eigenen Strafraum in den des Gegners, das ist Werder Bremen.“ Trainer Edmund Becker bedankt sich für die Lehrstunde: „Das war Anschauungsunterricht, von dem wir lernen können. Das war die beste Mannschaft bisher im Wildpark. Wir haben zur Pause einigermaßen ratlos in der Kabine gesessen und darüber nachgedacht, wie wir die stoppen können.“

Alles, was der Fan sich wünscht

Marko Schumacher (Stuttgarter Zeitung) erzählt das Spiel zwischen Cottbus und Rostock (2:1) als Heldenroman nach: „Es war eine Schlacht von epischem Ausmaß – und wenn irgendwann wieder einer behaupten sollte, die Bundesliga sei auch ohne Ostclubs schön, dann soll er sich auf DVD dieses Derby anschauen, in dem all das zu bestaunen war, was man in diesem Sport so gerne hat: Da gab es etwa Stefan Wächter, der binnen Minuten vom großen Triumphator zum tragischen Helden wurde: Erst verhinderte er mit einem Wahsinnsreflex den Cottbuser Ausgleich, rannte rüber in die Gästekurve und ließ sich feiern; dann verdrehte er sich das Knie und spielte trotzdem weiter, weil die Hansa schon dreimal ausgewechselt hatte; und schließlich schaffte er es nicht mehr, den letzten Ball um den Pfosten zu lenken. Mit schmerzverzerrtem Gesicht blieb er im Dreck liegen, und wenig später war das Spiel aus. 2:1 für die Cottbuser, die nur noch zehn Mann und bis zehn Minuten vor Schluss sogar in Rückstand gelegen waren. Selten ist der Fußball so nah bei sich wie in jenem Moment in der Nachspielzeit. Wie kleine Kinder hüpften Ersatzspieler und Betreuer verbotenerweise aufs Spielfeld und stürzten sich auf den Torschützen Dimitar Rangelov, der wegen einer Verletzung monatelang nicht gespielt hatte und vor Freude hemmungslos weinte.“

Auch Matthias Wolf (Berliner Zeitung) erlebt den deutschen Abstiegskampf als Highlight: „Hat da einer behauptet, die Bundesliga sei langweilig? Unsinn, ein kleiner Klub aus dem Osten, auch schon als Lederhosenauszieher bekannt geworden, zeigt in seinem Puppenstubenstadion jene emotionalen Schauspiele, die abseits des entschiedenen Titelkampfes noch den Reiz einer Liga ausmachen. Eine Spielklasse, die international abgehängt scheint – aber bisweilen doch noch größeres Kino bietet als all die großen Ligen. In Spanien oder Italien wären sie wohl froh, über einen Abstiegskampf wie hierzulande zu verfügen, der Herzen rasen lässt. Millimeter sind es, die über Wohl und Wehe entscheiden, manchmal nur ein einziges Knie, wie im Fall des Ost-Duells, in dem alles steckte, was der Fan sich wünscht: Tore, Tempo, Lattenschüsse, Leidensgeschichten.“

Gefragt ist Abhärtung gegen Pech

Nach dem 2:2 gegen Bielefeld tröstet Roland Zorn (FAZ) die Nürnberger Unglücksvögel: „Zur Halbzeit fragte niemand mehr nach Siegern und Verlierern. Die Verhältnisse schienen zu eindeutig geklärt. Der ‚Club’ führte, noch zu knapp, 2:0. Nichts deutete auf eine Wende. Spieler, Trainer und Fans des 1. FC Nürnberg konnten schließlich kaum fassen, was ihnen auf dem vermeintlichen Weg fort von den finsteren Abstiegsplätzen widerfahren war. Punktsiege für die im Ganzen bessere Mannschaft aber gibt es bei diesem immanent ungerechten Sport nicht, und so klagten die nach sechs Bundesliga-Abstiegen leiderprobten Franken später wie so oft, wenn sie sich wieder einmal vom Schicksal verlassen glauben.“

Volker Kreisl (SZ) fügt hinzu: „Warum Schiedsrichter Weiner nicht eine Sekunde Nachspielzeit gab, verstand keiner, vielleicht dachte er, es reiche jetzt mit Chancen. Weiners kaum hörbarer Schlusspfiff war die letzte Pointe eines absurden Spiels. In allen Heimspielen gegen die Konkurrenten des Abstiegskampfs haben die Nürnberger bislang einen Sieg verpasst, meistens knapp. Das Unentschieden gegen Bielefeld war eine bösartige Fortführung der Misere, nach dem Motto: Auch wer seine Chancen zweimal nutzt, wird bestraft. Gefragt ist Abhärtung gegen Pech, und eigentlich sind die Profis des 1. FC Nürnberg da schon ziemlich weit. Dass sie nach Rückschlägen druckvollen Fußball zustande bringen, haben sie einige Male bewiesen, und wer weiß, vielleicht schaffen sie es tatsächlich, nicht an diesem Spiel und dieser Saison zu verzweifeln.“

Mannschaft von Hotelgästen

Nach dem 1:1 in Bochum wettet Marcus Bark (taz) nicht auf die Duisburger Rettung: „In den verbleibenden vier Partien muss der Meidericher Spielverein als Tabellenletzter eine Lücke von 3 Punkten schließen, um doch noch den Klassenerhalt zu schaffen. Das würde ihm bestimmt leichter fallen, wenn er nicht ein solch merkwürdiger Spielverein wäre. Nur 9 ihrer 26 Punkte holten die Duisburger in Heimspielen. Im eigenen Stadion, in das noch Leverkusen und die Bayern kommen werden, wirken sie oft wie eine Mannschaft von Hotelgästen, die eilig von einem Animateur zum Spiel gegen das Personal zusammengetrommelt wurde. Auswärts hingegen pflegt der MSV häufig einen ansehnlichen, technisch hochwertigen Fußball.“

Pause

Jan Christian Müller (FR) blickt kritisch auf Thomas Dolls Litanei zurück: „Im Grunde hat der Dortmunder Trainer nur einer breiten Öffentlichkeit vorgeführt, dass er als Verantwortlicher in einer derart herausgehobenen Position schlicht überfordert ist. Doll coacht ja nicht ehrenamtlich eine Kreisligamannschaft, sondern im Gegenwert von mindestens einer Million Euro das hoch bezahlte Team einer börsennotierten Aktiengesellschaft mit einem lausigen Kurswert. Wenn Doll am Saisonende erwartungsgemäß Borussia Dortmund verlassen muss, wäre er gut beraten, anders, als vergangenes Frühjahr nach dem Rauswurf beim HSV, nicht sofort wieder ins Geschäft zurückzudrängen, sondern sich eine schöpferische Pause zu gönnen. Zur Weiterbildung für Geist und Körper.“

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