Internationaler Fußball
Starsystem hat ausgedient
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| Dienstag, 6. Mai 2008Real Madrid sichert sich frühzeitig, aber auf ungewohnte Weise, den spanischen Titel / Sanftes Lob für Trainer Bernd Schuster
Paul Ingendaay (FAZ) schildert die untypische Art, mit der Real Madrid in diesem Jahr Meister geworden ist und lobt die sanfte Menschenführung Bernd Schusters: „Keine Mannschaft hat so viele schlechte, verfahrene Partien noch nach Hause gebracht wie Real. Keine ist unter widrigen Umständen zu solchen Leistungssteigerungen bereit. Keine gefällt sich mit aufgekrempelten Ärmeln und heruntergerollten Stutzen besser. Und kein Team hat einen besseren Torwart. Iker Casillas, einer der meistbeschäftigten Hüter der Primera División, wird gemeinhin als Vater des neuen Titels angesehen, ein gutes Stück vor Kapitän Raúl, der mit 17 Treffern die beste Tormarke seit der Saison 2002/03 vorweisen kann. Auch Verteidiger Sergio Ramos war wieder eine der Stützen der Mannschaft. Und von Mittelfeldregisseur Guti lässt sich behaupten, dass er mit 31 Jahren die eindrucksvollste Spielzeit seiner langen Karriere hinter sich hat: Nicht ausländische Superstars, sondern die Madrider Eigengewächse haben die Wege zum Titel geebnet. Im Umgang mit seinen Spielern hat Bernd Schuster Geduld und Gerechtigkeit zum Prinzip erhoben. Das Starsystem, das in Barcelona gerade so viel Schaden anrichtet, hat beim Rekordmeister schon länger ausgedient. Irgendwann erhält jeder seine Chance. Vertut er sie, muss er warten, bis er wieder an der Reihe ist. Gerade jüngere Spieler wie Robinho, Sneijder, Gago oder Higuaín zeigten im Lauf der Saison starke Leistungsschwankungen. Doch allmählich weiß Schuster, wozu sie auf dem Spielfeld taugen, und beweist eine sichere Hand beim Mischen der Temperamente.“
Zum Hintergrund: Real gewann das entscheidende Match am Wochenende 2:1 in Osasuna, die beiden Tore fielen in der 87. und in der 89. Minute, also zu einer Zeit, da Real seit rund 40 Minuten in Unterzahl spielte, weil Fabio Cannavaro vom Feld gestellt wurde.
Javier Cáceres (SZ) gefällt die pragmatische Art Schusters, mit der er sein Team langsam und erfolgreich weiterentwickelt: „Die Basis, auf der Real Madrid seinen 31. Meistertitel errang, schuf Schusters Vorgänger Fabio Capello. Dessen Erbe behutsam verwaltet zu haben, ist das Hauptverdienst Schusters. Und es wäre ein Fehler, dies gering zu schätzen. Einem Ensemble, das stets um sein seelisches Gleichgewicht kämpft, so lange so viel Opferbereitschaft abzuringen, will erst einmal vollbracht sein. Das exzellente Spiel, das Präsident Ramón Calderón bei der Vorstellung Schusters eingeklagt hatte, ist die neue Generation Real Madrids zwar zu oft schuldig geblieben, als dass man von einer betörenden Elf sprechen könnte. Doch unbestritten bleibt, dass Madrid unter Schuster an Spielkultur hinzugewonnen hat. Größere Veränderungen waren schon deshalb nicht möglich, weil die handelnden Figuren im Spiel die Fußballer sind – die tragenden Gestalten bei Real Madrid waren weitgehend die gleichen wie im Vorjahr. Schuster selbst aber hat durch intelligentes Coaching einigen Spielen interessante Wendungen gegeben. Die letzten verbliebenen Zweifel an seiner Eignung als Coach des spanischen Rekordmeisters hat er mit dem Titel wohl endgültig beseitigt.“
Nivellierung nach unten
Ronald Reng (FR) hingegen entzieht Real seine Liebe: „Schusters Real sah an guten Tagen wie dem 5:0-Sieg in Villarreal oder 5:1 in Valencia wie die Zukunft des Fußballs aus. Zwei, drei klinisch präzise Pässe und Tor – so erledigten sie in zehn Sekunden die Gegner. Das Mittelfeld braucht Real nicht mehr. Dort wird nichts ausgearbeitet, nie hin und her gespielt; sie rasen mit ein, zwei Steilpässen hindurch. Doch selbst dann, in ihren besten Momenten, waren sie allenfalls zum Erschrecken schön. Ihr Fußball blieb kalt. (…) Die Madrilenen sind der passende Meister für diese Saison. Es war nicht das Prachtjahr des spanischen Fußballs.“
Georg Bucher (Neue Zürcher Zeitung) stellt allgemein fest: „In der Primera División setzt sich die Nivellierung nach unten fort. Symptome sind das Abtauchen herausragender Einzelspieler, striktere taktische Vorgaben, Angriffe aus zweiter Hand (Gegenstöße). Böse Zungen wittern hinter VIP-Fassaden schon eine Diktatur des Proletariats.“