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Am Grünen Tisch

Stressfaktor Südafrika

Oliver Fritsch | Dienstag, 3. Juni 2008 Kommentare deaktiviert für Stressfaktor Südafrika

Ist der Versuch der Fifa, die 6+5-Regel gegen EU-Richtlinien durchzusetzen, nur ein Ablenkungsmanöver in Anbetracht der Probleme der Organisation der WM 2010?

Christian Eichler (FAZ) kommentiert die Entscheidung der Fifa, die 6+5-Regel einführen zu wollen: „Joseph Blatters Idee mag sympathisch klingen, doch ignoriert sie eine globalisierte Gegenwart, in der die Herkunft von Menschen mehr und mehr zweitrangig wird – wichtig ist, wo einer groß wird, was er lernt, in welchem sozialen, sprachlichen, beruflichen Umfeld er geprägt wird. Zudem würde das 6+5-Modell einen Rückfall in die Bescheinigungskleinkriminalität bedeuten, in die verlogene Welt der Pseudo-Urgroßmütter aus Sizilien, der angeblich einst aus Galicien nach Brasilien ausgewanderten Fußballer-Vorfahren. Blatter kündigt eine Annäherung an die EU an, deren Recht dafür aber keinen Spielraum bietet. Michel Platini hat eine zeitgemäßere Idee, dieselben Probleme zu lösen. Die Uefa will auch eine Beschränkung für zugekaufte Spieler, doch der Plan besteht darin, dass ein Klub eine bestimmte Anzahl von selbst ausgebildeten Spielern, gleich welcher Nationalität, braucht (mindestens acht, die bis zum 21. Lebensjahr drei Jahre in Ausbildung durch den Klub waren) – ein Konzept, das aus Brüssel unterstützt wird. Platini macht Politik. Blatter bleibt wohl wieder nur die Show.“

Boris Herrmann (Berliner Zeitung) hält dem Bayern-Präsidenten entgegen: „Fußballtraditionalisten vom Schlage Franz Beckenbauers mögen geneigt sein, dem Täuschungsmanöver Blatters zu erliegen. Sie verweisen reflexartig auf die Identität der Vereine. Dabei zeigt gerade das Beispiel von Beckenbauers FC Bayern, wie weltfremd die Argumentation entlang nationaler Grenzen im Fußballgeschäft geworden ist. Die Identität des FC Bayern heißt derzeit Ribéry-Toni. Sie ist nicht deutsch, sondern französisch-italienisch. Wenn Vereine heute noch Identifikation schaffen wollen, dann sollten ihre Trainer die Aufstellung von der Qualität der einzelnen Spieler abhängig machen. Und nicht von ihrer Nationalität.“

Ablenkung von einer möglichen WM-Krise? Thomas Kistner (SZ) geht der Frage nach: Wieso versucht sich Blatter an einer Regel, die in der politischen Realität ohnehin keine Chance hat? „Wohl auch, um mal wieder ein paar Schlagzeilen zu produzieren, welche die wirklich drängenden Themen der Fifa hübsch überblenden. 6+5 heißt das neue Goldene Kalb, um das Blatters Fußballfamilie tanzt. Die harte Realität lautet: Was wird aus der WM 2010 – findet sie in Südafrika statt? Nun hat Willi Lemke, Sportbeauftragter der UN, ausgeplaudert, was er so mitkriegt in den höheren Machtzirkeln des Fußballs. Demnach könne die Fifa noch ‚ihre Entscheidung für Südafrika überdenken und zur Not die Reißleine ziehen’. Das ist doppelt spannend. Erstmals wird die Südafrika-Frage offiziell aufgeworfen, dabei stiehlt auch noch irgendein Seiteneinsteiger dem Boss die Show. Der Sepp wird schäumen, unken Insider, das Thema gilt als Chefsache – und ist es schon deshalb, weil Südafrika Blatter allein die WM verdankt; für den Zuschlag ließ er die Regeln ändern. Doch was braucht es noch, bis er die Reißleine ziehen muss? Die aktuelle Welle der Ausländerfeindlichkeit zeigt nur einen Ausschnitt der Sicherheitsproblematik in einem Land, das Großstadtbesucher mit lebensrettenden Hinweisen zum Straßenalltag versorgt. Nicht mehr zu retten scheint auch die Energieversorgung im angehenden WM-Land, das schon heute mit steten Blackouts und Sparphasen kämpft, die sogar die Lebensadern beeinträchtigen, den Gold-, Kohle-, Diamantenabbau. Was ist einem Land alles zuzumuten, für ein Fußballturnier? Nicht 6+5, der Stressfaktor Südafrika wird für die Fifa täglich größer.“

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