Deutsche Elf
Heftiger Absturz Richtung Basislager
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| Freitag, 13. Juni 2008Die deutschen Journalisten schlagen die Hände vors Gesicht in Anbetracht der 1:2-Niederlage der Nationalmannschaft gegen Kroatien und erkennen einen Rückschritt in die schwarze Epoche der DFB-Geschichte / Kritik an allen Mannschaftsteilen, an allen Spielern und am Trainer
Michael Horeni (FAZ) fühlt sich zurückversetzt in dunkelste Zeiten und spricht vom Tiefpunkt der letzen vier Jahre, der Zeit, in der Joachim Löw mitgearbeitet hat: „Zum ersten Mal waren die Deutschen einem Gegner deutlich unterlegen. Sie wurden läuferisch, taktisch und spielerisch eine Stunde lang zerpflückt. Die Rote Karte gegen Schweinsteiger war der deprimierende Schlusspunkt. Es war weniger das Ergebnis als dieser lange eindeutige Spielverlauf, der überraschte und erschreckte – und dem Bundestrainer sehr zu denken geben muss. Es fehlte bis zur letzten Minute nicht am Willen der Spieler, die Partie noch zu wenden, dennoch stieß jeder Mannschaftsteil an diesem Tag viel zu schnell an seine Grenzen. Die Deutschen spielten zu lange so, wie man es von ihnen zuvor bei viel zu vielen Turnieren gesehen hatte. Dieser Rückfall war ihre größte Niederlage – und die des Bundestrainers.“
In der SZ liest man: „Die deutsche Nationalmannschaft hat bei ihrer werbe-intensiv als ‚Bergtour’ deklarierten EM-Unternehmung einen heftigen Absturz Richtung Basislager erlitten. Gegen ein in allen Belangen überlegenes kroatisches Team hatte die auffallend matte Auswahl von Joachim Löw allenfalls das Glück, dass das Resultat nicht deutlicher ausfiel.“
Keine Ordnung, keine Idee, keine Lust
Jan Christian Müller (FR) stimmt ein: „So wie die viel zu lange nur mittelmäßig konzentrierten Deutschen sich präsentierten, darf ein Mitfavorit bei einem bedeutenden Turnier wie einer Europameisterschaft nicht auftreten.“ Im Blog-G überdenkt Müller sein Urteil von gestern: „Oh je, das war ja wohl gar nichts. Bisschen zu hoch gelobt, die Jungs. Den Schuh muss ich mir selbst auch anziehen. Hätte nicht gedacht, dass die Mannschaft derart schwach spielen kann. Erinnerte verdächtig an Auftritte bei den Europameisterschaften 2000 unter dem Golfspieler Erich Ribbeck und 2004 unter Aus-dem-Bauch-Trainer Rudi Völler. Keine Ordnung, keine Idee, vor allem aber: keine rechte Lust, sich die Lunge aus dem Leib zu laufen.“
Seit ein paar Wochen bloggen drei FR-Redakteure auf Blog-G. Wenn man mich fragt: Die Texte sind oft lesenswerter, weil direkter und mehr geradeaus, als das, was in der Zeitung steht. Es geht also doch. Ist Deutschland etwa nicht die Internet-Provinz, für die ich es halte?
Christian Gödecke (Spiegel Online) vermisst so vieles: „Die Kroaten zeigten in den Zweikämpfen Entschlossenheit, in der Defensive Ordnung und im Abschluss Konsequenz. Nur so gewinnt man bei dieser Euro Spiele. Nicht mit Unordnung, die man beim DFB schon längst verbannt zu haben glaubte. Vor allem aber gewinnt man auf diesem Niveau keine Spiele mit einer fehlenden Einstellung. Wo war die Grätsche von Michael Ballack oder Torsten Frings, die ein Signal sendet so laut, dass sich der Gegner die Ohren zuhalten muss? Wo waren Körpersprache und die Spannung aus dem ersten Spiel gegen Polen? Wo war das Symbol?“
Er wollte zurück in die Karriere
Christof Kneer (SZ) kann Bastian Schweinsteigers Ausraster, der ihm die Rote Karte eingebracht hat, nachempfinden, wenn auch nicht rechtfertigen: „Vielleicht war dies die traurige Pointe, die Schweinsteiger nach dieser trostlosen Saison noch gefehlt hat. Erst wurde er beim FC Bayern von Franck Ribéry von seiner linken Seite vertrieben, worauf er auf der rechten Seite eher mittelmäßig Sport trieb, und dann haben sie ihm auch noch beim DFB den Stammplatz weggenommen, was Schweinsteiger in wortlosem Frust zur Kenntnis nahm. Er hat es allen zeigen wollen, er wollte zurück in die Mannschaft und zurück in die Karriere, die vor zwei Jahren ins Stocken geraten ist. Nach seiner Roten Karte ist er weiter weg von der Mannschaft als je zuvor, was nach dieser Mannschaftsleistung doppelt bitter ist. Denn wahrscheinlich hätte Schweinsteiger gegen Österreich von Anfang an gespielt.“
Ballack, die Charity-Lady des deutschen Teams
Die Einzelkritik lässt an so gut wie keinem Spieler ein gutes Haar. Die Berliner Zeitung gibt Saures: „Metzelder ist barttechnisch in Bestform, sollte seine Strategie allerdings überdenken. Sieht sonst bald nichts mehr. Hätte dadurch andererseits den Vorteil, dass er nicht mitbekäme, wie ihm die Gegenspieler enteilen. Jansen macht falsch, was falsch zu machen ist. Ballack verschenkt derart großzügig Bälle, als wäre er die Charity-Lady des deutschen Teams. Klose? Läuft viel, aber wohin? Spielt viele Pässe, aber zu wem? Müht sich, aber für wen? Eilt zurück ins Mittelfeld, aber warum? Gomez hat seine Frisur voll im Griff. Streicht sie alle paar Minuten zurecht. Beantwortet nicht die Frage, warum die edelsten Vereine Europas ihn jagen.“
Die FAZ kommt zu einem ähnlichen Urteil, wenn auch in gediegener Form: „In der Abwehr litten die Deutschen vor allem unter einem überforderten Jansen, der auf der linken Seite nie für Sicherheit sorgte. Lahm offenbarte so viele kleine und große Schwächen, wie sie bei ihm während des gesamten WM-Turniers nicht zu sehen waren. Metzelder leistete sich keinen dicken Fehler, auch wenn er weiterhin keinen stabilen Eindruck hinterlässt. Mal etwas zu langsam, mal etwas zu spät, mal zu unpräzise im Abspiel – aber da machte es dieses Mal kaum einer seiner Kollegen besser. Lehmann bestätigte alle Zweifel, dass Mini-Spielpraxis für einen 38 Jahre alten Torhüter wohl doch nicht die beste Vorbereitung ist. Das Mittelfeld um Kapitän Ballack und seinen ersten Helfer Frings fand nie eine passende Antwort auf die variable Kontertaktik der Kroaten. Ballack und Frings: zwei hilflose Anführer.“
Gomez so gefährlich wie ein Schmusebär
In der FR heißt es: „Odonkor kam nach der Pause für Jansen und man fragte sich: Was soll diese Einwechselung? Der Junge ist schnell, allenfalls verwendbar, wenn man kontern kann. Die DFB-Elf lag aber zurück. Der falsche Spieler zum falschen Zeitpunkt. War nicht seine Schuld. Gomez hing lange, lange Zeit in der Spitze in der Luft. Kaum ins Spiel eingebunden, wirkte ungelenk und unglücklich. So gefährlich wie der Schmusebär im Kinderzimmer. Ballack, bemüht, aber erfolglos. Redete viel, bekam das Spiel aber nicht in den Griff. Überraschend viele Abspielfehler, oft sprang ihm der Ball vom Fuß. Ein guter Freistoß. Insgesamt: viel zu wenig. Metzelders Schwächen waren offensichtlich: Er ist zu langsam, er kommt nicht mehr mit. Schweinsteiger kam, als alles schon verloren war. Brachte sofort frischen Wind, hatte die beste Chance zum Anschluss. Warum kam er nicht früher? Und dann der überhart bestrafte Schubser!“
Lese gerade auf bild.de, dass Podolski unser bester Mann gewesen sein soll. Die haben echt keine Ahnung von dem Spiel. Keinen Schimmer! Nicht einen Funken! Dilettanten! Bloß, weil er das Tor geschossen hat, oder was? Podolski hätte zur zweiten Halbzeit ausgewechselt gehört oder meinetwegen in die Spitze versetzt. Nein, schon viel früher.