indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

EM 2008

Mit dem Rücken zur Wand

Oliver Fritsch | Freitag, 13. Juni 2008 Kommentare deaktiviert für Mit dem Rücken zur Wand

Birgit Schönau (SZ) möchte Roberto Donadoni vor dem Spiel gegen Rumänien aus Schwitzkasten der italienischen Öffentlichkeit befreien: „Noch nie ist ein Nationaltrainer während eines Turniers derart offen, derart schroff kritisiert worden. Und wenn tatsächlich die Chemie nicht stimmt zwischen Donadoni und seinen Spielern, so sind die weiteren Aussichten für den Verbleib beim Turnier tatsächlich düster. Nur halbherzig unterstützt von einem Verband, der im Falle frühzeitigen Ausscheidens schon Marcello Lippi ante portas weiß und Donadoni über Monate auf dessen Vertrag warten ließ, mit der Presse und der halben Mannschaft gegen sich, steht der Trainer mit dem Rücken zur Wand. Die Formation gegen Rumänien wird ihm von allen Seiten diktiert, auch der unvermeidliche Regierungschef Silvio Berlusconi hat Donadoni angerufen (Inhalt Staatsgeheimnis), doch Ruhe bleibt für den Nationaltrainer die erste Bürgerpflicht. Nirgends werden so schnell und so gnadenlos Helden und Verlierer geschaffen wie in Italien. Der früherer Milan-Profi und Nationalspieler Donadoni weiß das sehr gut. Falls sein Team das nächste Match übersteht, wird der Frust sofort in Begeisterung umschlagen.“

Leuchtturm, der den Jungspunden den Weg zum Tor weist

Raphael Honigstein (taz) erläutert die holländische Fußballreform an einer Personalie: „Van Basten hat den orangenen Fußball ideologisch entrümpelt, und ein wichtiger Grund für den Erfolg ist, dass der als Sturkopf verschriene Europameister von 1988 zuerst im eigenen Kopf mit den Aufräumarbeiten angefangen hat. Als Absolvent der Ajax-Schule konnte er früher mit nicht ganz so künstlerisch veranlagten Spielertypen wenig anfangen. Mark van Bommel hatte bei ihm keine echte Chance, genauso wie Clarence Seedorf. Sogar mit Ruud van Nistelrooy, dem treffsichersten Holländer seiner Generation, überwarf er sich nach der WM. Van Nistelrooys Schicksal war typisch für die Obsessionen des holländischen Fußballs. Tore allein waren nie genug. Vom Establishment wurde der Sohn eines Heizungsmechanikers wegen seinen vergleichsweise schlichten technischen Fähigkeiten nie ganz für voll genommen. Aus Nordbrabant, seiner Region, kamen nach landläufiger Meinung gute Fahrradfahrer, aber keine echten Kicker. 150 Tore in fünf Jahren bei Manchester United bestätigten, man glaubt es kaum, die Vorurteile: Van Nistelrooy hatte 149 davon im gegnerischen Strafraum erzielt, mit staubtrockener Nüchternheit. Van Basten war von Nistelrooys Vorbild, aber er spielt ja ganz anders. Er ist ein Torjäger, ein Opportunist. Keiner dieser Zauberer, der mit dem Ball am Fuß die Gegner stehen lässt. Bei der EM in Portugal, als es in ganz Europa keinen besseren Stürmer gab, sangen die orangenen Scharen nicht seinen Namen, sondern den des eleganteren, aber längst der eigenen Dekadenz zum Opfer gefallenen Flaneurs Patrick Kluivert. Es dauerte ein paar Monate bis van Basten seinen Irrtum erkannte, nach einigen Telefonaten kam von Nistelrooy wieder zurück in den Kader. Man spürt, dass dem 31-Jährigen nach einer Sprunggelenksverletzung ein wenig die Antrittschnelligkeit fehlt, doch van Basten braucht ihn in erster Linie als Leuchtturm, der den ständig rotierenden Jungspunden im offensiven Mittelfeld den Weg zum Tor weist.“

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