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EM 2008

Schnell im Umschalten, unberechenbar in der Spielanlage

Oliver Fritsch | Samstag, 14. Juni 2008 Kommentare deaktiviert für Schnell im Umschalten, unberechenbar in der Spielanlage

Holland watscht Frankreich 4:1 ab und ist nun erster Favorit auf den Titel / Italien untypisch: offensiv und abwehrschwach

Peter B. Birrer (Neue Zürcher Zeitung) ist begeistert von den Holländern, gibt aber zu bedenken: „Wenn dem Sieg des souveränen Siegers der Gruppe C ein kleiner Makel anhaftet, dann dieser: Der Ertrag fiel zu hoch aus, und er verleitet womöglich – zusammen mit der Vorgabe aus dem Italien-Spiel – zu übertriebenen Schlüssen. Denn haushoch überlegen waren die Niederländer nicht. Aber sie spielten wiederum so effizient, wie es effizienter nicht geht. Sie waren schnell im Umschalten, unberechenbar in der Spielanlage. Was indes am meisten frappiert, ist die Mischung im Team. Zu den rustikalen Spielertypen in der Defensive, die den Zweikampf und den gegnerischen Körper nicht scheuen, gesellen sich wieselflinke Offensivkräfte, die innert Tagen die gerühmten Verteidigungen des Weltmeisters und des Vizeweltmeisters zerlegten. Das ist allerhand.“

Christian Eichler (FAZ) teilt mit, dass Frankreich und Italien nun vom Wohlwollen Hollands abhängen: „Die Niederländer haben dank des neu- und eigenartigen Modus dieses Turniers den Luxus, sich einen möglichen Halbfinalgegner praktisch auszusuchen. Von vielen französischen Zeugen im Stade de Suisse ging eine resignative Grundstimmung aus – ‚die Holländer werden nun Rumänien gewinnen lassen, und wir sind raus’, hörte man allenthalben. Tatsächlich könnte Marco van Basten versucht sein, im letzten Spiel die zweite Garnitur auflaufen zu lassen, im Bewusstsein, dass eine Niederlage den Gruppensieg nicht mehr gefährden kann, im Gegenteil aber, zugunsten der Rumänen, Frankreich und Italien aus dem Turnier werfen würde. Und in dem kann Holland im Halbfinale, weil es im EM-Modus keine Überkreuz-Kombinationen der beiden Tableau-Hälften mehr gibt, auf einen seiner Gruppengegner wiedertreffen. Da wäre Rumänien vielleicht die angenehmere Wahl als Italien oder Frankreich. Die beiden WM-Finalisten können, unabhängig vom Ergebnis ihres abschließenden Spiels, jetzt nur auf die Sportlichkeit des Oranje-Teams hoffen.“

Hinreißend angreifend

Christoph Biermann (Spiegel Online) findet fast Gefallen an den Italienern: „Nach der sympathisch unitalienischen Leistung kann man auch auf mildernde Umstände plädieren. Denn die Italiener spielten zwar mit wenig Verstand, dafür aber zeigten sie viel Herz. Von ihrer herausragenden Klasse bei der WM, der perfekten taktischen Ordnung und dem cleveren Spiel, das sie vor zwei Jahren zeigten, sind sie derzeit so weit entfernt wie die Lega Nord von einem Wahlsieg in Sizilien. Und doch machte es Spaß, ihnen zuzuschauen. Unermüdlich spielten sie dort nach vorne.“

Christian Kamp (FAZ) ergänzt: „Der Eindruck aus dem Holland-Spiel blieb: Mit der Abwehr von 2006, die während des ganzen WM-Turniers nur zwei Treffer zugelassen hatte, ist dieses wackelige Gebilde nicht mehr zu vergleichen. Aber wer braucht schon Catenaccio, wenn das neue Italien unter Donadoni doch so hinreißend angreifen kann?“

Claudio Catuogno (SZ) hält den Italienern Eindimensionalität vor: „1,93 Meter ist Luca Toni groß, ihm eine Flanke nach der nächsten in Richtung Stirn zu zwirbeln, ist ein probates Mittel. Dass es fast das einzige war, das den Italienern einfiel, verwundert allerdings. Beim FC Bayern schießen sie Toni den Ball gelegentlich auch mal scharf in den Fuß, solche Pässe kann er unnachahmlich verwerten. Oder Franck Ribéry schickt den großen Italiener per Steilpass in die Spitze – zwei, drei Bewegungen mit dem Fußgelenk und der Ball ist im Tor. Gegen Rumänien winkte Luca Toni immer schon mit dem Arm, wenn ein Italiener den Ball über die Mittellinie führte. Ein bisschen wirkte das, als würde man einen Leuchtturm mit dem Schriftzug ‚Hier ist der Leuchtturm’ versehen. Die Italiener scheinen bei dieser EM das Erfolgsrezept des FC Bayern kopieren zu wollen (‚Alle Bälle zu Toni’), nur gelingt ihnen das bisher nicht.“

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