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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

EM 2008

Außer Balance?

Oliver Fritsch | Dienstag, 17. Juni 2008 Kommentare deaktiviert für Außer Balance?

Christian Eichler (FAZ) blickt gebannt auf das Duell zwischen Italien und Frankreich, zwei angeschlagenen Teams: „Es liegt in der Laune der Holländer, ob es in der Neuauflage des WM-Finals um einen Platz im Viertelfinale geht – oder um den Trostpreis der Verlierer. Und vielleicht gibt es gerade deshalb einmal, ein einziges Mal zwischen den beiden erfolgreichsten Fußballnationen der letzten zehn Jahre ein echtes Fußballfest, ein Feuerwerk des Spiels. Denn wenn man die eher unrealistische Möglichkeit eines holländischen Sieges mit drei oder mehr Toren Vorsprung gegen Rumänien ausschließt, hilft jedem der beiden nur ein Sieg, keinem ein Remis. Beide müssen so offensiv weitermachen, wie sie es unvorsichtigerweise schon gegen die Niederländer anfingen. (…) Noch eine Gemeinsamkeit vereint die beiden bibbernden Großmächte des europäischen Fußballs und deren von der heimischen Presse geprügelte Trainer: ihre neue Karriere als Schießbuden der EM-Kirmes. Beide haben schon jetzt mehr Gegentore kassiert als während der gesamten WM 2006. Die EM ist bisher ein Fest des mutigen Offensivfußballs, die alten Mächte des ängstlichen Abwehrspiels kommen mit ihrer Neuausrichtung noch nicht zurecht. Nun haben sie es nicht mal mehr in der Hand, das Ärgste abzuwehren.“

Stephan Ramming (Neue Zürcher Zeitung) zweifelt an der Strategie der beiden Trainer: „Schon die Tatsache, dass Weltmeister Italien und WM-Finalist Frankreich auf fremde Hilfe angewiesen sind, ist überraschend – zumindest auf dem Papier. Vergegenwärtigt man sich aber die Leistungen der Azzurri und der Equipe tricolore in den bisherigen zwei Spielen, offenbaren sich hüben wie drüben vor allem Probleme, Probleme, Probleme. Die Schwierigkeiten in beiden Teams sind ähnlich, auch wenn sie sich unterschiedlich akzentuieren. Im Kern geht es um die Frage, ob ein Team in der Balance steht – etwa zwischen Erfahrung und Jugendlichkeit. Nimmt man die Aufstellungen des WM-Finals 2006, stellt man fest, dass zwei Jahre später das Gerüst beider Teams aus den gleichen Spielern in bereits fortgeschrittenem Alter besteht. Das bedeutet, dass sowohl der italienische Trainer Roberto Donadoni wie auch der französische Coach Raymond Domenech der Eigenschaft ‚Erfahrung’ enorme Bedeutung beimessen. Das hat Tücken.“

Birgit Schönau (SZ) fügt hinzu: „Vorbei ist es mit Grandezza und Grandeur, verblasst ist aller Glanz, es geht nur noch um Schadensbegrenzung, um die Vermeidung der größtmöglichen Blamage. Für die beiden Trainer Roberto Donadoni und Raymond Domenech könnte es am Dienstagabend heißen: Finale di partita, fin de partie, aus und vorbei. Was Donadoni angeht, wäre er nur der Letzte einer beachtlichen Reihe italienischer Nationaltrainer, die gleich nach einem Spiel gegen Frankreich abtraten oder abtreten mussten: Bearzot, Maldini, Zoff, Lippi. Sein Kollege Domenech ist mindestens so umstritten wie der Italiener, übelnehmerisch, exzentrisch und abergläubisch: legendär seine Abneigung gegen das Sternzeichen des Skorpions, angeblich verzichtet er deshalb sogar auf David Trezeguet.“

Unberechenbar

Daniel Theweleit (SZ) zeigt auf Rumänien: „Deutschland hat sich über die Jahre den Ruf erarbeitet, über eine Turniermannschaft zu verfügen. Mit Abstrichen trifft das wohl auch auf Italien zu, doch gibt es noch eine kleine Fußballnation aus dem Südosten Europas, die dieses Attribut ebenfalls verdient: Rumänien. Eine Turnier-Vorrundenmannschaft, sollte man vielleicht präziser sagen. Sieben Mal nahmen die Rumänen an einer Weltmeisterschaft teil, nur einmal, 1934, sind sie in der Gruppenphase ausgeschieden. Prominente Konkurrenten störten Rumänen noch nie. Argentinien, Deutschland oder England landeten in Vorrunden schon hinter den Überlebenskünstlern aus den Karparten. Unvergessen ist die Euro 2000, als Rumänien und Portugal sowohl England als auch die deutsche Auswahl von Erich Ribbeck aus dem Turnier bugsierten. ‚Draculas Söhne’ titelte Bild damals, und hinter solchen Wortschöpfungen steckte ein Gefühl, das die Rumänen noch heute verbreiten. Sie sind unbekannt, geheimnisvoll. Der Exot dieser Europameisterschaft, deren Teilnehmerfeld dominiert wird von Nachbarn und vertrauten Urlaubsländern. Rumänien ist ein Land, in dem es gerade einmal zwei Autobahnen für 21 Millionen Menschen gibt, richtig groß ist hier nur eins: der pompöse Palast des ehemaligen Staatschefs Nicolae Ceausescu, das angeblich zweitgrößte Gebäude der Welt. Nur das Pentagon nimmt eine größere Fläche ein. Bukarest boomt zwar, doch die Walachei, die Karpaten und Transsylvanien sind noch so wie sie sich anhören: ländlich und fremd. (…) Es ist die Unberechenbarkeit, welche die Rumänen zu so einem komplizierten Gegner werden lässt.“

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