EM 2008
Das Finale hat einen klaren Favoriten
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| Freitag, 27. Juni 2008Von der Ästhetik der Spanier beeindruckt, von der Lethargie der Russen enttäuscht, blickt die Presse nun gebannt auf das Endspiel / Arschwawin, wo warst Du?
Flurin Clalüna (Neue Zürcher Zeitung) bestaunt die geschlossene Schönheit der spanischen Elf: „Die Iberer legten das russische Laufspiel lahm. Und die Russen akzeptierten es, einfach so. Keine andere Mittelfeldreihe versteht es, mit so viel taktischer Ruhe und gleichzeitig so schön und klug miteinander zu spielen, wie es diese Spanier können. Dass sich die Iberer so gut miteinander verstehen, ist nicht selbstverständlich. Früher, da waren die Clans im spanischen Nationalteam oft zerstritten, die Katalanen, die Basken, die Kastilier, die Galicier und andere, die sich alle nicht richtig mochten. Nur die Klubs zählten. Und man sagte deshalb, die politische Uneinigkeit des Landes spiegle sich auch in der Nationalmannschaft. Deshalb schweigen die spanischen Spieler auch, wenn die Hymne erklingt, weil sich die Regionen auf keinen Text haben einigen können. Zuletzt wurde ein Vorschlag von Schriftstellern verworfen. Aber mit dem Sieg gegen Russland haben die spanischen Fußballer zum elften Mal in Serie gewonnen. Und nun betonen sie alle die neue Einheit, die den Finaleinzug erst ermöglicht habe, selbst wenn nicht alle in der Heimat gleichermaßen begeistert sind. Als Spanien spielte, war die TV-Quote im Baskenland immer zwanzig Prozent unter der von Madrid. (…) Die spanischen Fußballer scheinen die inneren Grenzen aufgegeben zu haben.“
Markus Völker (tageszeitung) erläutert, warum von Russland so wenig zu sehen gewesen ist: „Gegen die Passgenauigkeit und das Feingefühl der Spanier hatte die russische Elf nichts auszurichten. Sie hatte sich im Turnierverlauf müde gespielt, in den bisherigen Partien zu viel investiert. Die Initiation des russischen Verbandes in den Kreis der europäischen Elite muss verschoben werden, weil sie verschwenderisch mit ihren konditionellen Reserven umgegangen sind. Die Initiation der Spanier liegt schon Jahrzehnte zurück. Doch im Jahre 2008 steht die Beglaubigung spanischer Klasse an.“
Wie eine Koronar-Sportgruppe
Die SZ ergänzt: „Russlands Auswahl tuckerte übers Feld wie ein Rennmotor, dem versehentlich Diesel eingespeist wurde. Arschawins Mitwirken ging nach wie vor allein aus dem Spielmeldebogen hervor, und generell hat es kaum ein Nationalteam gegeben, das derart leidenschaftslos im Halbfinale eines großen Turniers agierte. Hatte vor Tagen erst Hollands Bondscoach die unglaubliche Regenerationsfähigkeit dieser Russen bewundert und als Schandmal für die Seinen bezeichnet, was für Wirbel in der Fußballwelt gesorgt hatte, so wirkten Hiddinks Jungs jetzt wie eine Koronar-Sportgruppe.“ Mit Blick auf Sonntag heißt es: „Unter fußballtechnischen Gesichtspunkten hat dieses Finale einen klaren Favoriten.“
Er hat auch schlechte Tage
Jürgen Schmieder (SZ) korrigiert die Aktie des russischen Stars: „Gegen die Spanier hatte Arschawin ein Vorstellungsspiel, er führte es wie seine Interviews. Er stand gelangweilt da, es schien ihn nicht besonders zu interessieren, was um ihn herum passierte, er sprach mit seinen Mitspielern und gestikulierte ein bisschen – und plötzlich ging es unfasslich schnell. Nach wenigen Spielminuten bekam er den Ball, schon vor dem Kontakt schlug er einen Haken, dann noch einmal zwei, was bei seinem Gegenspieler David Silva für eine erhebliche Störung des Gleichgewichts sorgte. Plötzlich fand sich Arschawin vor dem Strafraum wieder. Sein Schuss wurde zwar geblockt, doch zu diesem frühen Zeitpunkt des Duells hatte es noch den Anschein, als sollte er seinen beiden glänzenden Auftritten bei diesem Turnier gegen die leicht favorisierten Spanier einen weiteren folgen lassen wollte. Nach dem Führungstreffer der Spanier war jedoch nicht nur Arschawins spielerische Qualität gefordert, sondern vor allem seine Fähigkeit, diese junge russische Mannschaft zu führen. Die spanischen Spieler jubelten noch an der Eckfahne – da stand Arschawin schon beim Anstoßpunkt und rief seine Mannschaft nach vorne. Nur, es funktionierte nicht. Seine Kollegen warteten wohl weniger auf martialische Gesten, sondern vielmehr auf ein Dribbling in höchstem Tempo, einen schönen Pass oder einen gefährlichen Schlenzer aufs Tor. Davon war diesmal nichts zu sehen. Er zeigte, dass er tatsächlich auch schlechte Tage hat.“
Auf einiges gefasst machen
Roland Zorn (FAZ) reibt sich die Hände: „Am Sonntag geht es um den großen Preis dieses aufsehenerregend guten Turniers, bei dem immer wieder andere Teams geglänzt haben. In der Vorrunde die Niederländer, die dann von den zauberhaften Russen nach Hause geschickt wurden. Am Donnerstag trumpften die Spanier auf, die Russland angstfrei, offen und in der zweiten Hälfte auch spielerisch deutlich überlegen begegneten. In dieser Form sind die Profis aus der Primera División und der Premier League auch gegen die Deutschen Favorit. Doch das muss, wie die Erfahrung dieser EM lehrt, nichts heißen. Die deutsche Nationalmannschaft muss sich also auf einiges gefasst machen – doch in der Rolle des Außenseiters hat sie sich ja schon gegen Portugal äußerst wohl gefühlt.“
Die Angst des Schiedsrichters vorm Elfmeter
Auf Spreeblick liest man: „Wie zu erwarten verhielten sich Spanier und Russen zunächst wie Stachelschweine im Darkroom. Der Ball lief, aber die Tendenz ging dahin, ihm nicht hinterher zu laufen.“ Und noch ein paar Zeilen Ärger: „Es gab die zigste Aufführung des Schauspiels für einen Mann mit Pfeife (wie es in der Regieanweisung heißt): Die Angst des Schiedsrichters vorm Elfmeter. Ob nun Torres die Hand an der Kehle hat oder Lahm die Hüfte gebrochen wird, ob wiederum Lahm das Trikot seines Gegenspielers in Fetzen nach Hause trägt; gepfiffen wird nur an und ab. Niemals zum Elfmeter. Man will sich ja nicht in den Mittelpunkt stellen.“
FAZ: 16 Länder, 16 Trainer – wer bleibt, wer geht?