Deutsche Elf
Kämpfen ist zu wenig
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| Montag, 30. Juni 2008Ernüchterung in der deutschen Presse ob der Chancenlosigkeit im Finale gegen Spanien / Michael Ballack wie die meisten anderen Spieler unter seinem Niveau; Christoph Metzelder zieht inzwischen nur noch Spott auf sich / Spanien sonnt sich in den Gratulationen der Fußball-Ästheten
Michael Horeni (FAZ) steckt der deutschen Mannschaft die Grenzen: „Diesmal scheiterte Deutschland nicht als todunglücklicher Verlierer wie vor zwei Jahren, sondern verdient als eine unterlegene Mannschaft, die nicht die spielerischen Mittel besaß, um eine wechselhafte Europameisterschaft am Ende doch noch zu krönen. Mit dem neuen und verdienten Europameister Spanien hat damit auch der attraktive, technisch reife und offensivmutige Fußball bei diesem Turnier gewonnen. Die Spanier als Nachfolger Griechenlands imponierten mit einer inspirierenden Gesamtleistung. Die Deutschen schafften es im Finale nicht, mit Willen und dem mächtigen Ruf der Turniermannschaft den Spaniern dauerhaft Furcht einzuflößen. Nachdem die Mannschaft und Joachim Löw schon während des Turniers einsehen mussten, dass sie spielerisch nicht wie erhofft und erwartet in der Lage waren, ihre Gegner zu beherrschen, liefen im Finale auch die deutschen Tugenden zu oft ins Leere. Der Unterschied, der sich in den drei Wochen zwischen spanischen Extrakönnern und deutschen Kämpfern aufgetan hatte – er wurde im Finale deutlicher sichtbar, als sich die Deutschen das vorgestellt hatten. Sie wehrten und stemmten sich zwar bis zur letzten Minute gegen die Niederlage. Aber ohne Esprit war ein guter und unermüdlicher Wille gegen eine exzellente Mannschaft doch zu wenig.“
allesaussersport stimmt ein: „Für Deutschland rundet der zweite Platz die Stagnation der Post-Klinsmann-Ära ab. Einige Komparsen wurden durchgewechselt, und die zweite Garnitur scheint besser und tiefer zu sein, als sie in der Ribbeck- oder Völler-Ära war. Das Grundgerüst ist aber das gleiche geblieben. Es spielte eine EM eher unter den Erwartungen, und das konnten die anderen Spieler nicht rausreißen. Die deutsche Mannschaft hat bei dieser EM interessanterweise ein Gesicht gezeigt, das an die Auftritte der deutschen Vereinsmannschaften erinnert. Manchmal ist da Brillanz zu sehen. Manchmal werden Spiele verschenkt, weil man nicht reinkommt. Aber immer wieder gibt es das gleiche Problem: Die Mannschaft hat nicht die Werkzeuge und die Spielintelligenz, die im Spiel sich stellenden Probleme zu lösen. Die zweite Halbzeit war unter diesem Aspekt ein Armutszeugnis. Kämpfen reicht nicht. Auch wenn man bedenkt, dass die Mannschaft zwar jung ist, aber international schon einige Spiele auf dem Buckel hat. (…) Wenn die deutsche Nationalmannschaft von der Bundesliga abhängt, ist der EM-Vizetitel das Maximum, was rauskommen kann.“
Aus dem letzten Loch gepfiffen
Andreas Burkert (SZ) fasst das deutsche Turnier zusammen und blickt voraus: „In punkto Effektivität waren die Deutschen diesmal fast unerreicht. Ihre Leistung ist deshalb anzuerkennen, obwohl einem bisweilen der Schädel dröhnte vom schwarz-rot-grellen Inferno, das nicht einmal vor einstigen Institutionen wie der Tagesschau haltmachte. Das 0:1 ist deshalb auch eine Chance für den angenehm temperierten Bundestrainer Löw, seine Ideale vom offensiven Spiel, von Laufbereitschaft und Leidenschaft weiterzuverfolgen. Ohnehin sei allen Romantikern damit gedroht, dass die lärmende Party womöglich demnächst weiter geht. Denn die Deutschen, das wird manchmal vergessen, stellen ein Perspektivprojekt, ihr Gerüst mit Podolski, Schweinsteiger, Lahm, Mertesacker, Gomez und Nachrückern wie Adler, Helmes oder auch Marin ist blutjung.“
Jan Christian Müller macht im Blog-G, dem Blog der Frankfurter Rundschau, auf eine schwerwiegende Fehlentscheidung aufmerksam: „Das Finale war zwar einerseits eine einseitige Angelegenheit, was schon daran deutlich wird, dass die Unsrigen nur ein einziges Mal bei ihren lediglich vier Schussversuchen überhaupt in Richtung Tor geschossen haben. Das ist ein bisschen wenig und wird auch von den Spielern als zu wenig angesehen. Andrerseits gab es aber auch keinen Grund für den Schiedsrichter, kurz vor Schluss ein Foul gegen Schweinsteiger zu pfeifen. Gomez lag der Ball zu diesem Zeitpunkt einschussbereit auf dem Fuß. Verdient wäre der Ausgleich natürlich nicht gewesen – und ehrlich gesagt: Die deutsche Mannschaft pfiff aus dem letzten Loch, wäre in der Verlängerung wohl eher nicht gut gegangen, zumal mit Christoph Metzelder in der Abwehr. Schwer nachvollziehbar, warum Metzelder sechsmal 90 Minuten für Deutschland spielen durfte. Ich hätte ihn allerdings gerne in meiner Alten Herrenmannschaft der TSV Heusenstamm.“
FAZ: Ein ausführlicher Spielbericht
Metzelder, der Jogger
Zur Einzelkritik – über den deutschen Torhüter schreibt Müller (FR): „Jens Lehmann hätte die bessere Entscheidung getroffen, wenn er Torres vor dessen Schlenzer zum 1:0 nicht entgegengeeilt, sondern im Tor geblieben wäre. Philipp Lahm, der wie Lehmann und Metzelder beim spanischen Treffer nicht gut aussah, brach den Zweikampf mit Torres ab, offenbar, weil er glaubte, der Torwart sei vor dem spanischen Stürmer am Ball. Ein Irrglaube. Lehmanns Leistungen waren zu wechselhaft, als dass sich eine Fortführung der internationalen Karriere bis zur WM 2010 aufdrängen würde. Er wäre dann fast 41. Lehmann hinterließ nur gegen Portugal einen uneingeschränkt sicheren Eindruck.“
In der FAZ lesen wir: „Arne Friedrich, eines von vier schwachen Gliedern der Abwehrkette. Leichtsinnig im Spielaufbau, gewährte Xavi zuviel Freiraum. Große Probleme bei Laufduellen, einige Stellungsfehler. Per Mertesacker hatte seine liebe Mühe, um mit dem Tempo von Torres auch nur halbwegs Schritt halten zu können. Verlor am Boden öfter, als ihm lieb sein konnte, die Übersicht und in der Luft zog er bei allerhand Zweikämpfen den Kürzeren. Als Defensivchef verantwortlich für die Organisation der Abwehr – und da haperte es gewaltig. Christoph Metzelder: eine Leistung am persönlichen Limit – was nicht reichte, um die Angreifer nachhaltig auszubremsen. Torsten Frings: bei seinem Comeback von Beginn an aber mit großem Kämpferherzen unter dem Brustpanzer. Ging aggressiv zur Sache und linderte damit die Not in der Abwehr ein kleines bisschen. Doch der Intensität eines Endspiels war er nicht auf Dauer gewachsen. Spielte ihm sonst unbekannte Fehlpässe, stand und lief falsch. Bastian Schweinsteiger: Die Leichtigkeit seiner zurückliegenden Darbietungen und die Spielfreude waren ausgerechnet jetzt, da es wirklich darauf ankam, wie weggeblasen. Vor der Pause tauchte der Doppel-Torschütze völlig unter. Michael Ballack blieb wieder unter seinen Möglichkeiten. Marcell Jansen: fleißig und emsig, sein Schwung tat der Elf gut.“
In der SZ heißt es: „Wegen Friedrich war Deutschland weitgehend blind auf der rechten Flanke. Metzelder nutzte den Abend, um seine Spanisch-Kenntnisse aufzufrischen: Wurde ständig beim dirty talk mit Torres erwischt. Konnte ihm nach seinem Stellungsfehler vor dem 0:1 aber höchstens noch was hinterher rufen. Torres war viel zu schnell für ihn. In der Offensive traute sich Metzelder viel zu, meistens zu viel. Lahm mischte erneut Licht und Schatten: anfangs gutes Verständnis mit Vordermann Podolski, aber ein ganz schwaches Zweikampfverhalten vor dem Gegentor. Die Härte, die Ballack gegen sich selbst walten lässt, wurde auch den Spaniern zuteil. Beging einige gemeine englische Fouls. Als Organisator der Offensive und Faktor des Angriffs trat er nach gutem Beginn zunehmend in den Hintergrund. Eigentlich ein Fall fürs Krankenlager, aber weil er es immer wieder schaffte, sich selbst zu überwinden, brachte er immer wieder gute Szenen zustande. Miroslav Klose: unhöflich. Normalerweise packt man Geschenke doch gleich aus, wenn man sie kriegt! Klose aber schlug nach vier Minuten das Präsent von Sergio Ramos aus: Er nahm zwar dessen Fehlpass auf, aber statt zu schießen, legte er sich den Ball zu weit vor.“
Die FR ergänzt: „Metzelder, der Jogger. Wie gewohnt, weiß er genau, wo er stehen muss, um nicht ins Spiel einzugreifen. Friedrich versuchte, keine Fehler zu machen. Das ist ein bisschen wenig für ein EM-Finale. Spielte mehr quer und zurück als nach vorne. Schüchtern. Hitzlsperger kaum präsent, viele Fehlpässe, nicht ins Spiel eingebunden.“
Messlatten
Müller (FR) verteidigt seine kritische Haltung: „Im Ausland ernten sie für ihre Willensleistung mehr Respekt als in den heimischen Medien. Die ließen mehrheitlich die Messlatte dort liegen, wo der Bundestrainer sie vor dem Turnier hingehängt hatte. Vor dem Finale stellten Spieler und Verantwortliche dann ihre Einschätzung dagegen. Ihre Wahrnehmung ist eine andere: Sie haben es unter teils widrigen Umständen bis unter die beiden besten Mannschaften Europas geschafft und vermissen den entsprechenden Respekt dafür. Den werden sie auf der Fanmeile in Berlin aus allernächster Nähe erleben. Die deutschen Anhänger, vor allem die weiblichen und die jüngeren, die ihre enthemmten Feiern zur neuen deutschen Hochkultur entwickelt haben, gehen mit den Spielern jedenfalls nach dem Spiel pfleglicher um als der kritische Teil der Presse. Aber auch der dürfte anerkennen, dass die EM doch immerhin vom Ergebnis her ein eindrucksvoller Erfolg der deutschen Mannschaft war.“
Ruhm und Glanz
Ronald Reng (Berliner Zeitung) pflückt den Siegern Blumen: „Im Fußball, der so sehr für seine vermeintliche Unberechenbarkeit geliebt wird, gewinnt in Wahrheit meistens einfach der Beste. Die Spanier spielten Fußball mit ewigen Passkombinationen und permanenten Tempowechseln, schnell, langsam, schnell, und dann wieder langsam; anmutig. Ihr Stil erschien wie ein letzter Tribut an die Romantik und gleichzeitiger Gruß an die Moderne; er mischte die langsame Schönheit des brasilianischen Kombinationsfußballs der Achtziger mit der brachialen Schnelligkeit der Gegenwart. Das Finale war sicher nicht ihre beste Werbung, aber Endspiele haben nur einen Zweck: Sie müssen gewonnen werden. Spanien tat es mit einigen Farbtupfern des schönen Spiels. Diesmal allerdings übertünchte ein solider Grundton der taktischen Organisation die Anmut. (…) Früher, als die Sportsprache beim Militär in Anleihe ging, nannte man Pässe, wie ihn Xavi auf Torres schickte, tödlich. Man kann es auch anders ausdrücken: Xavis Pässe sind das blitzende Leben.“
Thomas Renggli (Neue Zürcher Zeitung) atmet auf: „Im Gegensatz zum Sensationssieg der Defensiv-Handwerker aus Griechenland vor vier Jahren, macht der neue Europameister auch Fußball-Ästheten wunschlos glücklich. Er verfügt über technische Klasse und Ballgefühl à discrétion und inszenierte ein überragendes Kombinationsspiel. Luis Aragones hat sich selber ein Denkmal gesetzt und sämtliche Kritiker eines Besseren belehrt. Denn als er es sich erlaubt hatte, nur zwei Spieler von Meister Real Madrid zu berücksichtigen und zugunsten des guten Teamgefüges den exzentrischen Star Raul zu Hause ließ, war das Lamento groß. Vor allen die Real-Getreuen machten die Faust im Sack. Das ist Schnee von vorgestern. Denn jetzt gehen die spanischen Fäuste gegen den Himmel – auch dank Aragones.“
El País schwelgt: „Es gibt viele Wege, die zum Ruhm führen, aber selten erreicht man den Klimax mit so vielen Verdiensten wie Spanien gestern. Der Ruhm gilt der Mannschaft, die besser gespielt und den feinsten Fußballstil gepflegt hat, den Weltmeister besiegt und mit Standhaftigkeit den Angriff Deutschlands überstanden hat. Spanien hat mit Größe und vielen Glanzmomenten vom Beginn bis zum Finale einstimmige Bewunderung geweckt.“
As stimmt glücklich ein: „Wir haben unser ganzes Leben lang an die Furie appelliert als einziges Argument für den Sieg und haben die ganze Zeit unsere beschränkten körperlichen Kapazitäten bedauert. Bis Luis Aragonés eine Gruppe von wunderbaren Kleinen gesammelt hat, die Spanien in die beste Mannschaft Europas verwandelt hat, dank ihres guten Fußballgeschmacks, ihrer feinen Ballbehandlung und ihrer Raffiniertheit. Die Komplexe sind besiegt. Die Mannschaft hat sich entschieden, den Fußball mit Freude zu erleben, indem sie den Ball streichelt und verwöhnt. Ballbehandlung als Angriffswaffe und als Verteidigungsstrategie. Es gibt keine bessere Verteidigung, als den Ball zu behalten.“
Die Deutschen holten ihre Traktoren heraus
Der Schlüssel des spanischen Erfolgs liege der Meinung César Luis Menottis (El Mundo) zufolge in dem kreativen Mittelfeld der Spanier und in der Verknüpfung mit Torres. „Sie lassen den Ball mit Talent und technisch versiert zirkulieren. Dadurch haben sie die deutsche Elf bloßgestellt, eine Mannschaft, der Talent und Phantasie fehlt, um eine Idee durchzusetzen. Die Fehler sind so zahlreich, dass wieder der Eindruck entsteht, dass die Mannschaft müde ist, ohne Seele und Geist. auftritt Der Triumph Spaniens kann viel mehr als den Europameisterschaftstitel bedeuten, nämlich die Bestätigung eines Stils, den Spanien brauchte und den man aus dem Erfolg leichter rechtfertigen kann.“
El Mundo befasst sich wenig schmeichelhaft mit den Deutschen: “Deutschland ist eine mächtige Nationalmannschaft. Schnell im Kontern, aber berechenbar und ohne Ideen. Eigentlich beschränken sie sich auf Flanken oder Freistöße. Sie gibt nicht mehr her. Die deutsche Mannschaft hat sich nur in der ersten Viertelstunde durchgesetzt, indem sie ihr einziges offensives Argument anwendete: Lahm, der Deutsche, der das Spiel von hinten aufbauen kann, suchte die Verlängerung durch die linke Seite, und Schweinsteiger oder Klose warteten auf der Lauer. Nach fünfzehn Minuten der zweiten Halbzeit riefen die Deutschen nach Gnade; sie ist ihnen erteilt worden. Das knappe Ergebnis passt nicht zu der Dominanz der Spanier. Die Deutschen holten ihre Traktoren heraus, lauerten im Hinterhalt mit dem Schutz eines ängstlichen Schiedsrichters, Antithese der Gerechtigkeit.“
Über die Leistung Ballacks heißt es: „Das Einzige, was er anstrebte, war Treten oder die Knöchel der ‚Denker’ von Luis Aragonés zu bearbeiten.“
Spanische Presse bearbeitet von José Fernandez-Perez