Am Grünen Tisch
Ein hoher Preis für die Tugendwächter
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| Montag, 4. August 2008China rückt nicht von der Internet-Zensur ab, auch wenn es einige Seiten inzwischen freigeschaltet hat; doch das IOC belässt es bei harm- und folgelosen Wunschbekundungen
Evi Simeoni (FAZ) lässt es Jacques Rogge nicht durchgehen, das IOC als zahnlosen Kreis von Idealisten darzustellen: „Dafür, dass es sich Naivität leisten will, handelt das IOC mit einer ziemlich begehrten Ware: Olympia, dem Milliarden-Event. Weltverbesserer alter IOC-Schule wollen die Funktionärs-Heroen auf einmal nie gewesen sein. Es ist ja auch schon lange her, dass Rogges Vorgänger Juan Antonio Samaranch durchblicken ließ, er sei nun reif für den Friedensnobelpreis. Zwanzig Jahre später ist die Ernüchterung groß. Das IOC argumentiert zwar seit sieben Jahren damit, dass die Olympischen Spiele eine Öffnung Chinas bewirken würden. Doch es zeigt sich: China öffnet sich für die Spiele nur so weit, wie es selbst will.“
Thomas Kistner (SZ) legt dar, an wen sich die Internet-Zensur eigentlich richte: „Welche Gefahr aus Pekings Sicht bestünde darin, wenn Journalisten aus New York, Sydney oder Berlin über Tibet-Seiten surfen, die sie zuhause ohnehin ständig besuchen können? Und wie viele westliche Journalisten sind interessiert, die chinesische Website von Amnesty International oder der BBC runterzuladen? Sinologen sind rar gesät unter Sportreportern. Peking zensiert nach innen. Die Partei hat Angst, dass sie über diese Spiele-Wochen eine mediale Revoluzzerschar heranbilden könnte. Nur sind Innen und Außen nicht mehr zu trennen, wenn die Spiele im Gange sind. Also wartet da jede Menge Sprengstoff, und ein hoher Preis in der Endabrechnung für die IOC-Tugendwächter.“
Auch Jan Mühlethaler (Neue Zürcher Zeitung) befasst sich mit dem braven Verhalten des IOC gegenüber den Veranstaltern: „Das IOC hätte in dieser Angelegenheit deutlichere Worte finden müssen. Die chinesische Regierung ist mit der teilweisen Lockerung ihrer Zensurpolitik um einen Gesichtsverlust eben noch herumgekommen – gleiches kann vom IOC, das auf Gedeih und Verderb von der erfolgreichen Durchführung der Plattform Olympia abhängig ist, dieser Tage nicht behauptet werden.“
FAZ/Hintergrund: Surfen Sie zivilisiert!
SWR (Report Mainz): Olympia und die Medien – wie das IOC mit kritischen Journalisten und Organisationen umgeht
Meine Lust auf die Werbeveranstaltung von McDonald’s und Coca Cola, die die nächsten Wochen in China stattfinden wird, hält sich in Grenzen. Doch der Olympia-Blog des ehemaligen Sportchefs der Berliner Zeitung Jens Weinreich, das er seit letzter Woche aus Peking führt, werde ich immer lesen. Aus den Kommentaren von allesaussersport: „Liebe Medienkonzerne! Die nächste Zeitung, die Herrn Weinreich zum Sportchef macht, hat mich als Kunden gewonnen.“