Bundesliga
Ein Dorfverein bereichert die Bundesliga
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| Montag, 18. August 2008Drei Themen stechen aus dem Wochenende hervor: Hoffenheims Sprung an die Spitze wird von selbstverschuldeten Zwischentönen begleitet; Klinsmanns durchwachsener Einstand in München legt bloß, dass sein Kredit klein ist; die neue Strenge im Strafraum findet die Zustimmung der Presse
Jan Christian Müller (FR) lässt sich von Hoffenheims Strategie und dem 3:0 in Cottbus zu einer kühnen Prognose verleiten, die wahrscheinlich nur halb im Scherz geschrieben ist: „Vermutlich dürfte sich in die Abneigung gegen ein 150-Millionen-Euro-Projekt, das den Klub in einem Jahrzehnt von der Kreisliga an die Tabellenführerposition der Bundesliga transportierte, nun mehr und mehr Respekt mischen. Und zwar zu Recht: Der Perfektionist Rangnick, der sich gemeinsam mit Dietmar Hopps Millionen und Ex-Hockey-Bundestrainer Bernhard Peters akribisch auch um die Nachwuchsarbeit kümmert, hat seiner Mannschaft ein attraktives Offensivsystem eingebimst, das dieser zwar nicht bis zum Saisonende den Platz an der Sonne erhalten dürfte, mindestens aber eine ganze Latte weiterer sehr ansehnlicher und erfolgreicher Auftritte. Milliardär Hopp hat sein Geld intelligent investiert. Beliebtheit wird er sich über die Grenzen der Rhein-Neckar-Region aber erst erwerben, wenn er den FC Chelsea im Champions-League-Finale besiegt. Vermutlich also in fünf, sechs Jahren. Eher eher.“ Der Kommentar trägt übrigens den Titel „Klein, aber oho“. Die FR weiß gar nicht wohin mit all ihren Geistesblitzen.
Jens Bierschwale (Welt) fügt hinzu: „Als das Spiel losgeht, wird rasch klar, welch ambitionierter Verein die Bundesliga von nun an bereichern wird. Hoffenheim ist alles andere als ein typischer Aufsteiger. Die Mannschaft hat eine Struktur, wirkt seltsam ballsicher, spielt mit klarem System, und sie ist jung.“
Rückblickend beglückwünscht Christian Eichler (FAZ) Ralf Rangnick zu einer mutigen guten Entscheidung: „Der Mann, der Beispielloses wagte, nämlich nach der Champions League drittklassig neu anzufangen, hat jetzt schon Beispielloses geschafft: den Sprung aus der Regionalliga auf Platz 1 der Bundesliga-Tabelle. Das ist nur eine Momentaufnahme, aber eine mit dem Zeug dazu, eine der spannendsten Geschichten der Saison zu werden: ein Dorf im Kraichgau als Bundesligagröße? Wenn es so käme, es gäbe für einige alte Vorurteile des deutschen Fußballs kein Halten mehr.“
Selbstinszenierte Neiddebatte
Doch lesen wir auch über Zwischentöne: „Nur Rangnick schießt ein Eigentor“, titelt die FAZ einen Bericht über dessen Aussagen nach dem Spiel. Rangnick hat, wohl nach der Lektüre eines Artikels in einer Lausitzer Lokalzeitung, klarstellen wollen, dass Hoffenheim einen ähnlich hohen (eher: niedrigen) Etat habe wie Cottbus – und das offenbar in dozierendem Eifer. Cottbus’ Sportlicher Leiter Steffen Heidrich hat in erstaunlich hartem Ton reagiert: „Was bildet der sich ein? Gewinnt ein einziges Spiel und führt sich auf, als ob er drei Mal die Champions League gewonnen und den Fußball erfunden hat.“ Da ist es also wieder, das ätzende Etikett „Fußball-Professor“. Rangnick scheint mit seiner Rechnung ohnehin falsch zu liegen, siehe dazu Jan C. Müllers Korrektur in der FR.
Claudio Catuogno (SZ) wundert sich über diese Themenwahl: „Es war seltsam. Da war der Dorfklub aus Nordbaden genau so in die Liga gestartet wie erhofft: mit einem eindrucksvollen, mit technischer Leichtigkeit herausgespielten Sieg seiner jungen Debütanten. Und gleichzeitig haben sich die Hoffenheimer – ungefragt – genau mit jener Debatte eingeführt, die sie doch gerade verhindern wollten. Geld, Geld, Geld, das war bald wieder das bestimmende Thema.“
Matthias Wolf (Berliner Zeitung) stimmt ein: „Die Geld- und Neiddebatte, die den Emporkömmling seit Jahren begleitet, ist nun gleich zum Bundesliga-Debüt auch in der Beletage angekommen – und das auch noch selbst inszeniert.“
Abwartende Scheinfreundlichkeit
Jürgen Klinsmann darf sich nach seinem ersten Spiel, einem 2:2 gegen (immerhin) Hamburg, schon einiges anhören. Die FAZ vermisst Erhellung: „Klinsmann Funke zündet nicht“; die Stuttgarter Zeitung stört sich, ein alter Vorwurf, an seinem Optimismus: „Klinsmann übt sich im Schönreden“; die taz frotzelt: „Buddha lächelt heute nicht“.
Roland Zorn (FAZ) spürt latenten Missmut im Umfeld: „Der Weg des FC Bayern München bis zur nächsten sportlich erkämpften Trophäe ist noch sehr lang. Zum Start ein Unentschieden, das passte zur Münchner Gemengelage der vergangenen Wochen, in denen das Wort ‚Geduld’ fast schon überstrapaziert wurde. So sehr Klinsmann wieder um Nachsicht bat, so ungeduldig reagierten ein Teil des Publikums und ein Teil der Medien.“ Mirko Weber (Stuttgarter Zeitung) schaut in die Köpfe der Fans: „Im Stadion wird Klinsmann bisher eine abwartende Scheinfreundlichkeit entgegengebracht.“
Klaus Hoeltzenbein (SZ) sucht nach einem Vergleich mit Klinsmanns WM-Mission: „Vieles war im Sturm und Drang des neuen Anfangs zu erkennen, was einst auch beim WM-Start im selben Stadion zu sehen war – im Liga-Start war schon sehr viel Klinsmann drin: der Wille zu Gestaltung und Geschwindigkeit, die Sehnsucht, den Gegner früh und entscheidend zu beeindrucken. Nur wurde nach der furiosen Auftaktviertelstunde ein gravierender Unterschied zum Gestern offenbar: Der HSV ist nicht Costa Rica. Der HSV hat sich nicht ergeben.“
Christoph Leischwitz (taz) hat im Münchner Spiel Gutes und Neues entdeckt, lässt aber Ausreden nicht gelten: „Im Spiel nach vorne war Klinsmanns Handschrift schon zu erkennen, auch wenn das mit der Chancenauswertung noch lange nicht so gut klappte wie seinerzeit mit der Nationalmannschaft. Apropos Nationalspieler: Es wirkt schon ein bisschen komisch, wenn bei den Bayern ständig vom Trainings- und Kraftrückstand der EM-Teilnehmer gesprochen wird, und dann sind ebenjene, mit Ausnahme von Miroslav Klose, die besten Spieler, namentlich Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger.“
Rasenjustiz
Die zwei Elfmeter im bei Bayern gegen HSV, die offenbar einer neuen Richtlinie des DFB entsprechen, sind von den Beteiligten unterschiedlich bewertet worden. Die Presse billigt diese neue Strenge. Eichler erhofft sich davon eine Befreiung von Altlasten: „Zwei Elfmeter für Zupfer und Zupacker, wie man sie bisher dutzendfach im Strafraum hin-, ja kaum noch wahrgenommen hatte, das gab schon im Auftaktspiel die neue Richtung vor. Es ist das allerletzte Adieu für den altdeutschen Vorstoppertypus, wie ihn etwa Dortmund mit der Pensionierung von Christian Wörns gerade noch rechtzeitig vorweggenommen hatte. Der Manndecker gehört nun wie der Scherenschleifer oder Lokführer endgültig zu den aussterbenden Berufen. Woran soll er sich noch klammern?“
Hoeltzenbein verspricht sich eine Läuterung der Profis: „Fast jede Saison gab es ja ein Verbrechen, das gerade groß in Mode war: Grätsche von hinten. Ellbogenschlag beim Kopfball. Rudelbildung. Wäscheklammern. Meist gibt es dann ein Drei-Phasen-Szenario, in dem sich die Rasenjustiz entwickelt: a) Rechtsunsicherheit, b) Rechtssicherheit, c) Rechtsverfall. Das Zupfen befindet sich in Phase a).“