Deutsche Elf
Einmal ohne die alten Chefs
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| Freitag, 22. August 2008Den Fußballschreibern sind beim 2:0 Deutschlands über Belgien die ansprechenden Leistungen einiger Spieler aus der zweiten Reihe aufgefallen: allen voran Serdar Tascis und Marko Marins. Dabei schmieren sie Bundestrainer Joachim Löw nochmals die EM aufs Brot, wenn auch die Kritik versöhnlicher klingt. Die Alphatiere Michael Ballack und Torsten Frings sollen wohl genau hinhören
Die SZ schreibt Löw gut, dass er nun „den Konkurrenzkampf demonstrativ angeheizt“ habe. Von Philipp Selldorf heißt es: „Dieses Länderspiel war kein großes Ereignis, aber für den Bundestrainer erfüllte es exakt seinen Zweck. Löw wollte den ersten Schritt aus der Vergangenheit in die Zukunft tun, er wollte die EM und damit auch den Schatten der WM 2006 hinter sich lassen, und dafür bot die Vorstellung gegen Belgien zumindest Anhaltspunkte.“
Jan Christian Müller (FR) rät Löw dazu, die Mannschaftshierarchie zu lockern: „Der Artenschutz, das ist die eigentliche Botschaft der Tage von Nürnberg, ist nun aufgehoben worden. Ob nur als Versuchsanordnung für ein Benefizspiel oder konsequent auch für die Zukunft, muss sich zeigen. Es gibt ein paar Anzeichen, dass Löw den Schmusekurs mit den etablierten Kräften kündigt und nun ganz bewusst Reizpunkte setzt.“
Angesprochen fühlen dürfen sich Michael Ballack und Torsten Frings, aber auch Christoph Metzelder, der als einziger Feldspieler nicht zum Einsatz gekommen ist. Müller atmet auf: „Indem er Metzelder nicht berücksichtigte, räumte Löw den schwersten Fehler seiner an Fehlern sonst armen Amtszeit ein. Konsequent hatte der Coach während der EM ignoriert, dass Metzelder es nach seiner fast halbjährigen Zwangspause nie und nimmer schaffen konnte, sich auch nur annähernd auf internationalem Top-Niveau zu präsentieren.“ Und tatsächlich hat Löw, laut FR, gestanden: „Die Verteidigung war bei der EM nicht so stark und präsent wie bei der WM.“
Kann der kicken!
Roland Zorn (FAZ) glaubt, eine Befreiung gesehen zu haben: „Einige Stammkräfte wie Bastian Schweinsteiger und vor allem Philipp Lahm, der spielfreudigste deutsche Spieler, schienen die Partie zu genießen. Einmal ohne die alten Chefs den Charme der jungen Könner ausspielen zu können animierte gerade die beiden Münchner.“ Das „Gütezeichen des künftigen Stammspielers“, vergibt Zorn dem Neuling Tasci: „So elegant, so wendig, so kombinationssicher wie Tasci ist kein Metzelder, kein Per Mertesacker und schon gar kein Arne Friedrich oder Heiko Westermann.“
Christof Kneer (SZ) meint, dass der Auftritt Marins auch ein Nadelstich für Löw gewesen sein muss: „Einen kleinen Moment lang haben die Deutschen die Spanier nachgespielt: Lahm war Xavi. Marin war Iniesta. Dieses Tor war der Beweis, dass der Spieler im Zweifel immer noch mehr wert ist als das System. Löw hat dieses Tor so nicht in Auftrag gegeben, und zu hoffen steht, dass sich Löw nochmal kräftig geärgert hat, dass er den Mini aus Mönchengladbach nicht zur EM mitgenommen hat.“ Müller stimmt ein, schließt aber versöhnlich: „Umso mehr fragte man sich hinterher, wieso der Bundestrainer David Odonkor und nicht Marin mit zur EM genommen hatte. Es war wohl mehr die Macht des Gewohnten als der Mut zum Neuen. Den hat Löw inzwischen wiedergefunden.“
Die Neue Zürcher Zeitung bescheinigt den Deutschen wegen Marin sogar schon „schöne Aussichten“. Stefan Osterhaus schwärmt: „Wann hat man zuletzt so einen Spieler im DFB-Dress gesehen? Wer diesen Marko Marin beobachtete, der konnte nur staunen. Denn er ist nichts von dem, wonach der Fußball heute verlangt. Marin, geboren im ehemaligen Jugoslawien, fußballerisch sozialisiert in Frankfurt, ist klein (1,70 Meter). Und er ist dürr. Er ist von der Athletik, die Kicker wie Ballack, Drogba und Essien verkörpern, noch ein großes Stück weiter entfernt als ein deutscher 100-Meter-Läufer vom Olympiasieg. Aber er kann kicken.“
Er schreibt so, wie er früher Fußball gespielt hat
In der NZZ lesen wir auch über das harzige Comeback Marcello Lippis beim 2:2 Italiens gegen Österreich; Wolfsburg Barzagli kommt schlecht weg; aber Lippi habe Kredit bei den Medien: „Vorgänger Roberto Donadoni wäre bei einer ähnlichen Vorstellung seiner Mannschaft von den Medien geschlachtet worden.“ Außerdem: Ottmar Hitzfelds Debüt in der Schweiz (4:1 gegen Zypern).
Die FAZ überliefert uns ein Zitat Hitzfelds, der mit einem unliebsamen Bericht konfrontiert wurde: „Ich kenne diese Zeitung nicht, aber den Journalisten. Er schreibt so, wie er früher Fußball gespielt hat.“