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Bundesliga

Deutsch-holländische Trainerbelebung

Oliver Fritsch | Montag, 15. September 2008 Kommentare deaktiviert für Deutsch-holländische Trainerbelebung

4. Spieltag: Offensive sticht (bisher), oben in der Tabelle stehen Vereine, die auf Tore aus sind, vor allem der Hamburger SV unterhält die Beobachter aufs Beste, denen aber auch die Schwächen nicht entgangen sind / Schiedsrichter Lutz Wagner verliert das Derby Dortmund gegen Schalke (FAZ) / Lukas Podolski auf Heimatbesuch in Köln / Stuttgart gibt sich mit einem 0:0 in Hoffenheim zufrieden

29 Tore in bloß acht Spielen, dazu Spannung, Tempo, Rote Karten und Schiedsrichterfehler – in diesem Spieltag war Musik. Folglich applaudieren heute einige Kommentatoren, die einen neuen Trend zum Sturm erkannt haben möchten und diesen Trend auch an den neuen Trainern festmachen. Michael Horeni (FAZ) prognostiziert frohgestimmt eine Hebung der Qualität: „An der Tabellenspitze stehen vier Vereine, die mit intelligenten Trainern und zum Teil neuen Konzepten aufgebrochen sind: der HSV mit Jol, die Bayern mit Klinsmann, Schalke mit Rutten und Dortmund mit Klopp. So viel ist schon jetzt gewiss: Diese deutsch-holländische Trainerbelebung wird der Bundesliga auch in Zukunft noch sehr guttun.“

Andreas Burkert (SZ) stimmt ein und grenzt mit der hausüblichen Portion Spott den aktuellen Trainerjahrgang von seinen Vorvorgängern ab: „Die Vereine sind bereit, sich einer Idee und deren Urheber zu unterwerfen. Und die Liga hat, nachdem sie ihre Stadien (wegen der WM) und Lehrbücher (wegen Ribbeck, Vogts) modernisierte, nun endlich auch konsequent ihr Personalprogramm reformiert. Und Friedhelm Funkel ist wohl auch deshalb in Frankfurt noch im Amt, um die Generation Klinsmann stets an das einzige ewig gültige Gesetz zu erinnern: Nur Erfolg gewinnt.“

Burkert pocht darauf, Bruno Labbadia in Leverkusen in dieser Riege nicht zu vergessen: „Sollte jemand wie Labbadia, der letztlich beim HSV in Schönheit verlor, doch scheitern, bliebe ihm ein Trost: Die Generation Neururer wird ihm nicht folgen.“ Jörg Marwedel (SZ) ergänzt, der Niederlage in Hamburg zum Trotz: „Bayer inszenierte in den ersten 45 Minuten die wohl beste spielerische Darbietung eines Bundesliga-Teams in dieser Spielzeit.“

Nach van der Vaart sehnt sich kaum noch einer

Stefan Osterhaus (Financial Times Deutschland) hingegen diktiert eherne Fußballgesetze, uns Lesern jede Illusion nehmend: „Die Renaissance des Angriffs dürfte ein kurzfristiges Phänomen sein. Am Ende wird die Mannschaft vorn stehen, die ihre Defensive am besten im Griff hat. Und das sind nicht die Moralmeister vom HSV und auch nicht die Schalker, denen ein 3:0 nicht genügt, um es über die Restzeit zu bringen. Es sind die Bayern, die mit der Verpflichtung des Weltmeisters a. D. Massimo Oddo den richtigen Schritt auf dem Transfermarkt getan haben, nach dem Marcell Jansen zum HSV abgewandert ist: Verkaufe als Linksverteidiger getarnten Linksaußen, hole echten Verteidiger – die Flexibilität des bayrischen Spiels dürfte in Zukunft zunehmen. Am Ende wird sich die alte Regel bewahrheiten, wonach die Offensive Spiele, die Defensive aber den Titel gewinnt.“ Mit diesem humorlosen Ton hat sich Osterhaus aussichtsreich für den Udo-Lattek-Award 2008 ins Spiel gebracht.

Auch Rainer Schäfer (Berliner Zeitung) ermahnt die Hamburger, 3:2-Sieger gegen starke Leverkusener, zu mehr Abwehrkraft, erwartet aber eine Stabilisierung in der Rückrunde: „Der HSV hat mehr Schwächen, als sich ein Tabellenführer auf Dauer leisten kann. Es ist eine kuriose Situation: Auf dem Papier hat Martin Jol ein Spitzenteam beieinander, auf dem Platz steht beinahe unverändert die Mannschaft seines Vorgängers Huub Stevens. Bis Jols Wunschformation sich so einspielen kann, um auch die vereinsintern ins Kraut geschossenen Erwartungen erfüllen zu können, dürfte die Rückserie beginnen. Dann allerdings hat die Konkurrenz Anlass, sich zu sorgen. Martin Jol hat schon nach wenigen Spieltagen die Zuversicht vermittelt, dass er ein Team formen kann, das höchsten Ansprüchen genügt. Nach van der Vaart jedenfalls sehnt sich in Hamburg kaum noch einer.“

Crashkurs Derby

Gesprächsstoff ist natürlich Schiedsrichter Lutz Wagner und der Käse, den er in Dortmund gepfiffen hat. Richard Leipold (FAZ) schreibt ernst: „Lutz Wagner wurde zum Verlierer eines Derbys, das unentschieden ausging.“ Oskar Beck (Welt am Sonntag) verpackt seinen Unbill auf Schiedsrichter in Ironie: „Sie sind ein eigener Menschenschlag. Sie sind so eigen, dass nach dem Abpfiff keiner auf die Idee käme, das Trikot mit ihnen zu tauschen. Kein Fan hängt sich den Starschnitt eines Schiedsrichters an die Wand oder aus Sympathie eine Pfeife um den Hals – und kennen Sie jemanden, der sein Trikot nicht mit ‚Podolski’ oder ‚Ballack’ beflockt, sondern mit ‚Wagner’? Schiedsrichter sind einsam. Keiner liebt sie. Und ihre Lage, wir ahnen es, hat sich übers Wochenende nicht dramatisch verbessert.“

Schalkes Trainer Fred Rutten ist durch eine bemerkenswerte Aussage über eine aus der Hand gegebene 3:0-Führung auffällig geworden, die mit dem Schiedsrichter nichts zu tun hat: „Nach dem dritten Tor habe ich Arroganz bei meinen Spielern gesehen.“ Jan Christian Müller (FR) hat das imponiert: „Es ist angesagt, den Schalkern ein dickes Lob auszusprechen. Normalerweise zürnen Spieler und Verantwortliche angesichts der unzweifelhaften Fehler der Unparteiischen, die unmittelbar zu Gegentoren führten, unerbittlich mit den vermeintlich allein Schuldigen. Samstag aber war das anders: Da schimpften einige Schalker Profis zwar nach der Strafstoßentscheidung in der internationalen, nicht druckreifen Fußballersprache mit Wagner, hinterher aber stellten sie gemeinsam mit Fred Rutten vor die Schiri-Schelte das eigene Versagen. Das ist keine Selbstverständlichkeit und sollte anderen Trainern und Spielern als Vorbild dienen.“ Schalke-Manager Andreas Müller soll letzte Woche gesagt haben: „Fred ist unsere beste Wahl seit langem auf dieser Position.“ Ein lieber Gruß an Slomka und, vermutlich eher, an Rangnick, der sich jüngst nochmals über die damaligen Arbeitsverhältnisse in Schalke mokiert hat.

Freddie Röckenhaus (SZ) vertritt übrigens die Auffassung, dass Wagner nicht nur gegen Schalke gepfiffen habe (Dortmunder Abseitstor, falscher Elfmeter): „Wagner hat sich halbwegs paritätisch geirrt.“ Auch die Elfmeterentscheidung vor Schalkes erstem Tor sei ein Fehler gewesen, und Rafinha hätte schon in der ersten Halbzeit wegen einer Handgreiflichkeit in die Umkleide gehört.

Viel Adrenalin ist jedenfalls freigesetzt worden; Leipold schließt dialektisch: „Am Ende erging es den Protagonisten und ihren Anhängern so ähnlich wie Briefmarkensammlern. In der Welt der Postwertzeichen gelten Fehldrucke als besonders wertvoll. Insofern war das 132. Ruhrgebietsderby von herausragendem Wert.“ Und Jürgen Klopp lässt von seiner neuen Erfahrung wissen: „Beide Trainer haben in einem Crashkurs erfahren, wie so ein Derby abläuft.“

Holger Pauler (taz) analysiert kühl, nachdem der Rauch verzogen ist, Dortmunder Mängel: „Der Klopp-Zögling Mohamed Zidan scheiterte bereits an den fußballerischen Basics. Der Tausch Zidan gegen den letztjährigen Topscorer Mladen Petric, der nun für den HSV spielt und trifft, könnte noch zur Belastung für Klopp werden. Am Samstag ging der Spielverlauf noch über dieses Personalie hinweg. (…) Wenn die Euphorie verflogen ist, sollten die Dortmunder schnell daran denken, dass nur zweimal im Jahr Derby ist.“

Geld regiert

Eine nette Soap wurde, wie zu erwarten, in Köln gedreht: Lukas Podolski, dem es in der Fremde so schwer ergeht, auf Heimatbesuch. Sein Tor (Eigentor?) gegen Köln ist ihm einerseits sicher schwer gefallen; andererseits muss es ihm eine Genugtuung gewesen sein, findet Daniel Theweleit (Berliner Zeitung): „Er hat den uneinsichtigen Bayern einen weiteren Beweis geliefert, wie falsch sie liegen, wenn sie Podolski immer und immer wieder in den Kreis der Ersatzspieler bannen.“ Mehr über Podolski in Köln lesen Sie in der FR und der SZ.

Jürgen Klinsmann hatte vor dem Spiel ungewohnt unverblümt Podolski die Grenzen gezeigt: „Lukas muss zeigen, dass er besser ist als die zwei anderen. Das kann ein langfristiger Prozess sein, das kann ein, zwei Jahre dauern.“ DFB-Sportdirektor Matthias Sammer hat auch eine Meinung dazu: „An Podolskis Stelle hätte ich die Bayern verlassen.“

Und Uli Hoeneß kennt angeblich die Kontoauszüge der um ihren Spieler werbenden Kölner – und redet wieder mal darüber in der Öffentlichkeit: „Es ist klargeworden, dass die hinten und vorne kein Geld haben, den Lukas Podolski zu holen. Die können sich das ein für alle mal abschminken.“ Da feiert das Kölner Publikum herzzerreißend einen Torschützen der Bayern, und „J.R.“ Hoeneß lässt kein Missverständnis daran aufkommen, dass alleine das Geld regiert. Dass jemand freiwillig die Rolle des kühlen, bösen Geschäftsmanns spielt – dafür danken wir Soap-Süchtigen ihm immer wieder.

Über Podolskis interne Konkurrenz schreibt Theweleit: „Miroslav Klose hat den Schwung aus dem Länderspiel in Finnland ganz schnell wieder verloren, 18 Ballkontakte hatte er, er war an keiner wichtigen Szene beteiligt und wurde gegen Lukas Podolski ausgewechselt. Luca Toni ereilte derweil genau das umgekehrte Schicksal.“

Zu wenig Leidenschaft

Hans-Joachim Leyenberg (FAZ) staunt warnend über die Stuttgarter, die erst ein 0:0 in Hoffenheim verteidigten und es dann genügsam abhakten: „Arg bescheiden, der Meister von einst: Er kuschte vor dem Emporkömmling, statt die Muskeln spielen zu lassen. Ganz so, als gäbe es keinen Konkurrenzkampf um die Gunst des Publikums in der Region. Demnächst, wenn erst mal das Stadion in Sinsheim steht, rückt Hoffenheim den Schwaben noch dichter auf den Pelz.“

Thomas Haid (Stuttgarter Zeitung) erwartet mehr Einsatz: „Der Kader des VfB besitzt zweifellos Talent und Klasse – zumindest theoretisch. In der Praxis spulen die Profis ihr Pensum jedoch zu oft relativ emotionslos ab. Das Feuer fehlt, wie bereits gegen Leverkusen und Hannover und wie auch jetzt in Hoffenheim, das spielerisch über weniger Mittel verfügt, aber mehr Leidenschaft investierte und mehr aus seinen Möglichkeiten machte.“

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