Bundesliga
Fußball aus der Steinzeit
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| Montag, 29. September 20086. Spieltag: Jürgen Klinsmann und Bayern München unterschreiten beim 0:1 in Hannover alle eigenen und fremden Ansprüche; „Klinsmanns Rotationsstörfall“ (FAZ) / Bremens und Hoffenheims 5:4 reißt die Journalisten von den Sitzen; „die Geschichte des Offensivfußballs ist neu geschrieben worden“ (SZ)
Markus Lotter (Berliner Zeitung) hält Jürgen Klinsmann kopflosen Aktionismus vor: „Die Bayern des Jeden-Tag-Immer-Besser-Machers wirken nicht fitter als die Konkurrenz, leiden offensichtlich unter den zahlreichen Feldversuchen des Klubtrainernovizen. Im Gegensatz zu seiner Ankündigung, erst einmal eine Stammelf einspielen zu lassen, rotiert Klinsmann so wild mit Personal und Taktik wie sonst keiner in Europa. Sogar Kapitän van Bommel hat er für den internen Konkurrenzkampf frei gegeben. Eine Führungskraft sollte immer berechenbar sein, hat Ottmar Hitzfeld einmal gesagt. Und der ist bis auf weiteres Deutschlands erfolgreichster Klubtrainer.“ Roland Zorn (FAZ) stimmt ein in die Rotationskritik: „Klinsmann hat es mit seiner Experimentierlust und Belastbarkeitsrhetorik in dieser für ihn düsteren Laborwoche übertrieben. Vielleicht muss auch er in seinem Job noch viel besser werden.“
Rainer Schäfer (Spiegel Online) hingegen hofft auf verzögerte Klinsmann-Effekte und verlangt Langmut: „Selbst wenn Klinsmann die Schwierigkeiten beim Umbau der Mannschaft unterschätzt haben dürfte, es wäre zu einfach, das Reformprojekt Bayern 2008 für gescheitert zu erklären. Es lohnt sich, Geduld aufzubringen, wie Klinsmann bei der Neuausrichtung der Nationalmannschaft bewiesen hat. Wer ihn jetzt schon in Frage stellt, nach 540 Minuten gespielter Bundesliga, zählt auch zu den Verhinderern von Fortschritt. Klinsmann zählt mit Bruno Labbadia, Ralf Rangnick, Martin Jol oder Jürgen Klopp zu den Trainern, die es sich zum Ziel gesetzt haben, das Niveau der Profis und der Liga zu heben. Aber gerade im Umgang mit neuen Konzepten zeigt sich die ganze Engstirnigkeit, Skepsis und Rückständigkeit im deutschen Fußball. Gerne wird auf die Attraktivität der spanischen Liga oder der Oligarchen-Fußball-Kolonie England verwiesen, aber neuen Impulsen im eigenen Land wird mit Argwohn und Häme begegnet. (…) Zumindest bis zur Winterpause sollte man ihn in Ruhe arbeiten lassen.“
Wir haben uns verarscht gefühlt
Unter dem leicht hämischen Titel „Der Tag, an dem das Lächeln verschwand“ beschreibt Erik Eggers (Tagesspiegel) seine enttäuschten Eindrücke: „Von der konstruktiven Offensive, dem blitzschnellen vertikalen Angriffsspiel, wie es Klinsmann stets als modernen Fußball propagiert, war nichts zu sehen. Die Bayern spielten einen unansehnlichen Fußball, wie aus der Steinzeit.“
Sehr aufschlussreich auch, was die Gegner über Klinsmanns Rotation gesagt haben, etwa darüber, dass Breno und Sosa aufgestellt wurden. Robert Enke wird so zitiert: „Wir wussten, dass die Bayern mit dieser Aufstellung nicht eingespielt sein konnten.“ Und Mike Hanke sagt: „Wir haben uns verarscht gefühlt, als wir deren Aufstellung gesehen haben. Der Trainer hat gesagt: Nehmt das als Ansporn!“
Der Geist Thomas Schaafs spukt in der Liga
Ein „Gemälde von einem Fußballspiel“ hat die FR in Bremen betrachtet, die SZ erlebte beim 5:4 gegen Hoffenheim eine „Fußball-Orgie, die fast nichts ausließ an Höhepunkten und die wohl nur mit den Trainern Schaaf und Rangnick passieren konnte“. Jörg Marwedel lässt sich zu einer steilen These hinreißen: „Die Geschichte des Offensivfußballs wurde neu geschrieben.“ Sebastian Stiekel (FAZ) empfiehlt: „Man könnte dieses Spiel auf DVD brennen und zur Vermarktung des Fußballs und der Bundesliga in die Verkaufsregale stellen.“
Christof Kneer (SZ) sieht in der Bundesliga den „Geist Thomas Schaafs“ und schließt euphorisch: „Aus der 1:1-Liga ist eine 5:4-Liga geworden, ein Trend, der sich einer strategischen Umorientierung und vielen kleinen Einzelaspekten (wie dem plötzlichen Vorkommen begabter Freistoß- und Distanzschützen) verdankt. Spätestens seit der EM gilt es wieder als schick, Spieler mit dem Ball spielen zu lassen und nicht gegen ihn.“
Und Christoph Daum, 1:0-Sieger gegen Schalke, beschreibt seine Gärtnerabeit: „Dat is wie so‘n Samenkorn. Dat musste gießen. Immer gießen. Dann guckste, ob’s schon raus guckt. Und dann, wenn du gar nicht damit rechnest, dann guckt’s raus.“