Bundesliga
Mir san nicht mehr mir!
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| Montag, 6. Oktober 20087. Spieltag: 3:3 gegen Bochum – Jürgen Klinsmann ist auf dem besten Weg, die Bayern so zu reformieren, dass die Bayern bald nicht mehr Bayern sein werden / Jos Luhukay muss Mönchengladbach verlassen; viele Tränen werden ihm nicht nachgeweint
Borussia Mönchengladbach entlässt Jos Luhukay nach sieben Spieltagen und sechs Niederlagen. Die Haie aus den Fernseh- und Radiosendern, allen voran Reinhold Beckmann in der Sportschau, witterten am Samstag nach dem 1:2 gegen Mitaufsteiger Köln schon längst Blutstropfen. Die Presse zeigt heute Verständnis für die Entscheidung der Gladbacher Klubführung, sich von dem Trainer zu trennen, mit dem der Verein vor fünf Monaten aufgestiegen ist; viel können sie dem Scheidenden nicht abgewinnen. Richard Leipold (FAZ) kommen Luhukays Aufstellungen so vor, als hätte er Lottozettel ausgefüllt: „Luhukay hinterließ zuletzt nicht mehr den Eindruck, als hätte er noch irgendwelche Trümpfe in der Hinterhand. Er schwankte zwischen allerlei Spielsystemen, als hoffte er im Ausschlussverfahren das richtige zu finden. Und so erinnerte er an einen Stürmer, der in der Nachspielzeit verzweifelt versucht, das befreiende Tor zu schießen.“
Daniel Theweleit (Financial Times Deutschland) ruft in Erinnerung, dass Luhukay nicht nur Gladbachs Aufstiegs-, sondern auch Gladbachs Abstiegstrainer ist: „Die Entscheidung, den Trainer zu entlassen, beruhte nicht nur auf den Erkenntnissen der ersten sieben Saisonspiele. Der Holländer ist schon einmal überfordert gewesen in einer Mönchengladbacher Krise. In der Saison 06/07 übernahm er die Mannschaft von Jupp Heynckes nach dem 19. Spieltag mit drei Punkten Rückstand auf einen Nicht-Abstiegsplatz. Am Saisonende betrug der Abstand elf Punkte. Es gibt Beobachter, die glauben, Luhukay fehle das Gespür für die richtigen Entscheidungen in Krisen. In Mönchengladbach darf er diese Skeptiker nun nicht mehr widerlegen.“
Opfer der Selbstüberschätzung
Doch es gibt auch Stimmen, die auf Umstände aufmerksam machen, auf die ein Gladbacher Trainer wenig bis keinen Einfluss habe. Markus Lotter (Berliner Zeitung) bereitet die Anhänger des Klubs auf chronische Leiden vor: „Das wesentliche Problem der Borussen ist nicht Trainingsmethodik oder Taktik, sondern in erster Linie die rasche Fortentwicklung der Bundesliga gegenüber der Zweiten Liga. Eine Ehrenrunde nach Abstieg ist eben nicht mehr nur ein Ausrutscher, eine Spielzeit mit Auswärtsfahrten nach Oberhausen, Aue oder Ahlen ist ein Schlag mit der Keule, von dem man sich kaum erholen kann. Kaum mehr möglich, diesen einjährigen Leerlauf zu kompensieren, nach dem Aufstieg wenigstens den Anschluss an das Mittelfeld der Bundesliga zu gewinnen. Die Top Ten der deutschen Vereine vergrößern nun mal Jahr für Jahr die Schrittlänge, und so wird sich womöglich der Kreis der Fahrstuhlmannschaften um namhafte Klubs wie den 1. FC Köln, 1. FC Kaiserslautern oder eben Borussia Mönchengladbach erweitern.“
Und Philipp Selldorf (SZ) will einen Rollentausch zwischen Mönchengladbach und Köln festgestellt haben: „In dieser Saison sind sie abermals gemeinsam zum Neuanfang gestartet, und das Überraschende ist, dass diesmal nicht der immer etwas überhebliche Klub aus der Großstadt, sondern der solidere Bruder vom Niederrhein Opfer seiner Selbstüberschätzung zu werden droht.“
Laptop und Lederhose kommen sich nicht näher
An Misserfolge der Klinsmann-Bayern scheint sich Fußballdeutschland fast schon gewöhnt zu haben. Platz 11 nach einem 3:3 im Heimspiel gegen Bochum trotz 3:1-Führung, nachdem die letzten beiden Spiele schon verloren gingen – doch die Leitglossen in den Sportteilen der großen Zeitungen befassen sich mit anderem. Es scheint fast ein Seite-2-Thema geworden zu sein. Elisabeth Schlammerl (FAZ) kritisiert Klinsmanns Konzept als unflexibel und den aktuellen Bedürfnissen seines Arbeitgebers nicht angemessen: „Klinsmann will seinem Ruf als Reformer gerecht werden – unter allen Umständen. In der Nationalmannschaft war dies einst richtig und wichtig, beim FC Bayern hingegen ist es gar nicht nötig. In München wäre man hochzufrieden, wenn der neue Trainer die Arbeit seines Vorgängers fortführen, sich höchstens etwas mehr als Hitzfeld um die Weiterbildung der jüngeren Spieler kümmern würde.“ Klinsmann ändere, bloß um der Änderung willen, Sachen, die nicht der Änderung bedürften: „Bayern soll flexibler und offensiver spielen, und dafür opfert er funktionierende Strukturen. Er ordnet eine Abwehr neu, die in der vergangenen Saison die beste in der Liga war.“
Klaus Hoeltzenbein (SZ) sammelt Fakten und Eindrücke der Notlage und diagnostiziert eine Selbstentfremdung: „Die anderswo so oft verfluchte Arroganz der Bayern, ihre Selbstherrlichkeit, ja selbst der Dusel ist verflogen. Mir-san-nicht-mehr-mir! 2:5, 0:1, 3:3 – das sind die Zahlen zum Kater während der Krisen-Wiesn. Klinsmanns Versprechen liegt in der Zukunft, der Bayern-Fan darbt in der Gegenwart. Der Laptop, auf dem Klinsmanns Trainerstab seine Pläne schreibt, und die Lederhose – sie kommen sich nicht näher.“