Bundesliga
Einmal kriseln ist Bremer Recht
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| Montag, 9. Februar 200919. Spieltag: Bremen bekommt nichts hin, aber Trainer Thomas Schaaf hat historische Verdienste (SZ) / Archaisches, unästhetisches, erfolgreiches Schalker Spiel (FAZ) / Michael Gravgaard, ein Wiedergänger Mladen Pralijas? / Hoffenheims Schönheit schwindet / Werden Linienrichter zu mächtig? (BLZ)
Werder Bremen steckt nach dem 0:1 in Schalke im Mittelfeld fest. Klar, dass manch Wegelagerer nach Trainer Thomas Schaaf fragt. Und fast hätte sich Sportdirektor Klaus Allofs am Samstag verplappert: „Wir geben hier keinen Treueschwur ab“, sagte er nach dem Spiel. So klingen normalerweise die Prologe einer Entlassung. Nicht jedoch in Bremen, wo Schaaf auf zehn erfolg-, teilweise glorreiche Jahre zurückblicken kann. Als allererstes hatte er Werder vor dem Abstieg bewahrt, Christof Kneer (SZ) ruft allen Zweiflern ins Gedächtnis, welche Bedeutung in Bremen der Vereinsgeschichte beigemessen wird: „Aus der Zweiten Liga heraus hätte sich kaum jene Elf entwickelt, auf die der deutsche Fußball endlich mal stolz sein durfte. Es ist Schaafs ewiges historisches Verdienst, dass er das düstere Interregnum der Nach-Rehhagel-Ära (1995-99) beendet hat, in dem die Trainer de Mos, Dörner, Sidka und Magath unterschiedliche Formen von Chaos angerichtet hatten.“ Auch Otto, der Große, konnte sich ein schlechtes Jahr erlauben, schreibt Kneer: „Rehhagel hat in seinen vierzehn Jahren einmal Neunter werden dürfen, einmal kriseln ist Bremer Recht.“
Auch die Sieger der schwachen Partie bekommen keine Blumen gereicht. In der FAZ ist die Rede ist vom „archaischen Schalker Spiel, ästhetisch ein Graus“. Gleichwohl habe das Schalker Publikum Reaktionen größten Vergnügens an den Tag gelegt: „Die Leute fühlten sich mitreißend unterhalten von dieser Begegnung, die so grob war wie eine Schotterpiste voller Schlaglöcher.“
Mladen Pralija II
2:3 in Karlsruhe trotz 2:0-Führung – der Hamburger SV erschrickt seine Anhänger nach zuletzt nur guten Nachrichten und Taten. Christian Kamp (FAZ) berichtet von einer Reduktion: „Der gefeierte Bayern-Bezwinger und vermeintliche Titelanwärter ist fürs Erste wieder auf das Format eines Meisterschülers gestutzt – mit jeder Menge Talent zwar, aber noch ohne die nötige Reife.“ Kamp nimmt sogar die Worte „Hamburger Arroganz“ in den Mund, denn es sei auffällig, dass der HSV nach guten Ergebnissen regelmäßig Niederlagen einstecken müsse: „Es hat beinahe System, wie der HSV leidenschaftliche Auftritte mit blutleeren mischt und sich damit selbst um den Maximalertrag bringt: Einem 3:2 gegen Leverkusen folgte ein 0:3 in Wolfsburg, einem 2:0 gegen Stuttgart ein 0:3 in Hannover.“
Bitter war der Einstand für den Dänen Michael Gravgaard, der Kamp wegen seiner Fehler an allen drei Gegentoren an Mladen Pralija erinnert. Pralija ist das Hamburger Synonym für hochnotpeinliches Debüt, in seinem ersten Spiel für den HSV im Jahr 1987 kassierte der jugoslawische Torwart sechs meist kuriose Tore.
Spektakel
Beim KSC erlebt Tobias Schächter (Berliner Zeitung) hingegen eine Enthemmung: „Es wirkte fast so, als wollten Sebastian Freis und seine Kollegen mit diesem Spiel all das nachholen, was sie in den Wochen zuvor versäumt hatten. Es war ein Spektakel, das daran erinnerte, weshalb dieser Sport so großartig ist. Die 28.000 KSC-Fans zogen danach so glücklich in die Kneipen ihrer Stadt, wie nur zufriedene Fußballfans das nach neunzig Minuten im Dauerregen können.“
Schönheit bröckelt
Was macht der Tabellenführer? Stefan Hermanns (Tagesspiegel) weiß nicht so genau, wie er den Rückrundenstart Hoffenheims nach dem 1:1 in Mönchengladbach einordnen soll und klammert sich an die Fakten: „Zwei Spieltage sind absolviert, und jeder kann den Start der Hoffenheimer in die Rückrunde lesen, wie er will: Die Kritiker werden sagen, dass sich der Tabellenführer doch überraschend schwer getan habe gegen die beiden Abstiegskandidaten Cottbus und Mönchengladbach, Mannschaften von dürftigem Format. Andererseits haben die Hoffenheimer den Vorsprung auf die Bayern ausgebaut. Und auch Hertha, Leverkusen und der HSV konnten den Rückstand auf den Spitzenreiter nicht verkürzen.“ Die SZ ergänzt: „Die Hoffenheimer Fußballästheten verlieren ein bisschen von ihrer souveränen Schönheit. Von den jüngsten vier Spielen haben sie nur eines gewonnen.“
Vier Deppen
Im Blickpunkt wie fast jeden Spieltag die Schiedsrichter. Brauchen wir einen Videobeweis, hilft ein Oberschiedsrichter? An den Beispielen des Hoffenheimer Nicht-Elfmeters und Abseitstores haben Jan Christian Müller (FR) und seine Kollegen Empirie betrieben: „Die Sportredaktion der Frankfurter Rundschau hat sich die Szene mehrfach im Originaltempo und in Zeitlupe angeschaut. Vier Redakteure kamen zu einem klaren 3:1-Ergebnis: Strafstoß, keine Schwalbe! Am Ende hat Hoffenheim dann noch den Ausgleich aus einer fürs bloße Auge nur sehr, sehr schwer zu erkennenden Abseitsposition erzielt. Die vier FR-Oberschiedsrichter hätten das vermutlich auch mit Kamerahilfe so schnell gar nicht erkannt. Nicht auszudenken, wie heftig hinterher diskutiert worden wäre über die vier Deppen von der FR.“ Dieses Experiment heißt noch gar nichts. Niemand würde auf die blöde Idee kommen, Redakteure der Frankfurter Rundschau in das Schiedsgericht zu berufen 😉
Über-Ich Linienrichter
Letzte Woche wurde das Tor Luca Tonis aberkannt, diese Woche ein Elfmeter Hoffenheims zurückgenommen. Beide Entscheidungen gingen auf Korrekturen von Außen zurück. Technikfeind Matti Lieske (Berliner Zeitung) stellt im Fran-Beckenbauer-Modus fest, dass der Linienrichter mittels neuer Medien inzwischen das Sagen habe: „Seit die Linienrichter zu Assistenten befördert und kommunikationsmäßig aufgerüstet wurden, haben sie beträchtlich an Autorität gewonnen, machen davon emsig Gebrauch und mischen sich ungefragt in alles ein. Offenbar fällt es den Schiedsrichtern schwer, Kommandos zu ignorieren, die per Funk oder sogar über Kopfhörer an sie herangetragen werden. Moderne Technik verleiht Macht, der Assistent gerät zum Über-Ich, dem unbedingt zu gehorchen ist. Wo die Schiedsrichter früher nur einen wedelnden Deppen an der Linie sahen, vernehmen sie nun die Stimme des Herrn.“
Falscher Automatismus
Einen Spieltag mit fünf Roten und Gelb/Roten-Karten nimmt Christian Eichler (FAZ) zum Anlass, über den Automatismus von Platzverweis und Sperre nachzudenken. Vor allem den Schiedsrichtern möchte Eichler mit seiner Reformgedanken beistehen: „Man lastet den Schiedsrichtern eine Verantwortung auf, die über den Augenblick hinausgeht. Dabei haben sie es schon schwer genug, die oft hauchdünne Trennlinie zwischen fiesem Foul und freiem Fall, zwischen Tätlichkeit und Theatralik zu erkennen. Warum nicht einen Spieler, der Rot sah, von einer Sperre verschonen, wenn sich die Tat im Rückblick als eher harmlos erweist? Das muss keine Schwächung der Autorität der Schiedsrichter bedeuten.“ Auf Rot folgt so gut wie immer eine Sperre; eine Sperre von nur einem Spiel gleicht fast einem Freispruch. Zumindest in Deutschland. Als Gegenbeispiel nennt Eichler England, wo man Sperren weniger dogmatisch ausspreche.